Attendorn. In der Rivius-Aula in Attendorn fand ein Aktionstag zum Thema „Antisemitismus und Rassismus“ statt. Der Nahost-Konflikt dominierte das Event.

Zum Ende der Podiumsdiskussion über Rassismus und Antisemitismus kochten in der Aula des Rivius-Gymnasiums in Attendorn die Emotionen hoch. Die Kulturwissenschaftlerin Mayaan Klaßing, die auf Einladung des Gymnasiums, der Stadt, der Initiative „Jüdisch in Attendorn“ und in Zusammenarbeit mit der Konrad-Adenauer-Stiftung angereist war, reagierte laut eigener Aussage bestürzt auf die „propagandistischen Äußerungen“ zwei Schülerinnen, die sich zum Nahost-Konflikt und der Frage äußerten, wer den Schuld sei an dem Überfall der terroristischen Hamas auf Israel am 7. Oktober.

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Genau diese aufgeheizte Stimmung wollte Klaßing, die als Religionswissenschaftlerin an der Uni Münster arbeitet und Coach für Antisemitismusfragen ist, nicht aufkommen lassen. Wiederholt betonte die Referentin, dass man zwischen dem „unglaublich komplexen“ Nahost-Konflikt, der seit Jahrzehnten andauert, und dem „bestialischen Terrorangriff“ unterscheiden müsse, während die beiden Schülerinnen einen kausalen Zusammenhang betonten. „Ich will euch gar keinen Vorwurf machen, es zeigt mir vielmehr, dass es in unserem Bildungssystem keine adäquate Vorbereitung auf dieses schwierige Thema gibt“, versuchte die erfahrene Bildungsreferentin Druck vom Kessel zu nehmen.

Impulsvortrag vor Podiumsdiskussion

Denn eigentlich hatte der Aktionstag am städtischen Gymnasium unter dem Motto „Judenhass reloadad – Antisemitismus heute“ ausschließlich den Zweck, wachzurütteln, aufzuklären und die Schüler dahingehend zu motivieren, für eine lebendige Erinnerungskultur an die auch aus Attendorn vertriebenen Juden während der Nazi-Herrschaft zu sorgen. Wäre die Veranstaltung wie zunächst geplant im Sommer über die Bühne gegangen, wäre der aktuelle Krieg zwischen Israel und der Hamas kein Thema gewesen. Doch der „böse Zufall“, wie Tom Kleine als Mitglied der Initiative „Jüdisch in Attendorn“ sagte, wollte es anders.

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Und so kam auch Mayaan Klaßing, die vor der Podiumsdiskussion einen Impulsvortrag über die Entstehung und die Funktionen von Antisemitismus hielt, nicht umher, in ihren einleitenden Sätzen auf den brandaktuellen Krieg einzugehen – und zwar so: „Ich bin erschüttert. Dieser bestialische Angriff der Terroristen auf Israel, dieses geplante Massaker und alles, was in den Tagen danach folgte, bedeutet eine tiefe Zäsur. So stark wie jetzt ist die Lage seit 1945 nicht mehr aus den Fugen geraten“. Klaßing war jedoch darum bemüht, sich anschließend dem Rassismus-Problem grundsätzlich zu nähern.

Hohe Zahl antisemitischer Übergriffe

So erklärte sie unter anderem: „Jedes Jahr erleben wir eine hohe Zahl antisemitischer Übergriffe. Antisemitismus ist schon lange in der Mitte unserer Gesellschaft angekommen und wir müssen uns die Frage stellen, ob er jemals weg war.“ Sie betonte, dass Judenhass ein gesamtgesellschaftliches Problem und es wichtig sei, „nicht beim Gedenken stehen zu bleiben, sondern sich aktiv gegen Antisemitismus aufzulehnen und sich für jüdisches Leben heute einzusetzen.“

Für ein lebendige Erinnerungskultur setzt schon seit Jahren die Initiative „Jüdisch in Attendorn ein“, die nicht nur an der Entstehung des jüdischen Wanderweges in der Hansestadt beteiligt war, sondern auch regelmäßig die Stolpersteine reinigt oder jüdische Stadtführungen anbietet. Und dabei gerne Projekte mit den Rivianern macht, unter anderem wurde die Geschichte der Anna Kahn als Theaterstück am Rivius aufgeführt. Die Schüler besuchen zudem seit vielen Jahren die KZs in Auschwitz oder Buchenwald.

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Tom Kleine erinnerte an das „lebendige Judentum“ in Attendorn, das während des zweiten Weltkrieges komplett zerstörte wurde. Viele Juden hätten ihr Abitur auf dem Rivius gemacht und nicht wenige seien später in Konzentrationslagern ums Leben gekommen. „Unsere Aufgabe ist es, die jüdischen Menschen aus Attendorn nicht zu vergessen“, betonte Kleine. Florian Müller, der als CDU-Bundestagsabgeordneter ebenso Gast und Podiumsmitglied in der Rivius-Aula war, machte deutlich, dass es nicht verhandel sei, dass Juden heute sicher in Deutschland leben. Sein Appell an die Rivianer: „Wir dürfen Antisemitismus weder im Schulalltag noch im familiären Umfeld zulassen, genauso wenig wie Hass.“

Ein kleines Geschenk brachte der in Kirchhundem aufgewachsene, aber in Attendorn lebende Siegbert Rickert mit: Er überreicht dem Gymnasium eine Bank mit dem Schriftzug „Kein Platz für Rassismus“, die ansonsten auf dem Müll gelandet wäre. Es war der versöhnliche Schlussakt einer emotionalen Diskussion in der Aula des städtischen Gymnasiums, der deutlich machte, dass es viel Gesprächsbedarf im Hinblick auf den Nahost-Konflikt bei den Schülern gibt.