Attendorn. Um das neue Industriegebiet Fernholte wird heftig gestritten. Naturschützer klagen gegen die Pläne. Doch worum geht es eigentlich konkret?

Möglicherweise biegt der seit vielen Jahren andauernde Rechtsstreit um das geplante Industriegebiet Fernholte auf die Zielgerade ein. Die Stadt Attendorn will im Eckenbachtal auf einer Nettobaufläche von rund 26 Hektar Gewerbeflächen ausweisen, damit die heimischen Unternehmen expandieren können. Just in diesen Tagen beginnen die ersten vorbereitenden Baumaßnahmen. Die Landesgemeinschaft Naturschutz und Umwelt aus NRW (LNU) und die hiesige Interessengemeinschaft zur Erhaltung des Eckenbachtals wollen die Ansiedlung von Gewerbe auf der grünen Wiese jedoch seit Jahren verhindern. Am Dienstagmorgen wurde – mal wieder – vor dem Verwaltungsgericht in Arnsberg verhandelt.

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Im Kern geht es darum, dass die Stadt Attendorn ein durch zwei Quellen gespeistes kleines Gewässer aus der Mitte des Plangebietes an dessen Rand versetzen möchte und dafür bereits im Winter 2020 vom Kreis Olpe (Genehmigungsbehörde) die Erlaubnis erhielt. Die Richter müssen nun entscheiden, ob das öffentliche Interesse an dem neuen Gewerbegebiet gewichtiger einzuordnen ist als der Eingriff in ein schützenswertes Biotop – sie müssen also klären, ob die wasserrechtliche Genehmigung zur Verlagerung des kleinen Bachlaufs rechtlich vertretbar war. Genau hier sehen die LNU und die Interessengemeinschaft erhebliche Mängel.

Zwei Welten prallen aufeinander

Zwar sprach der vorsitzende Richter Rainer Gießau noch kein Urteil – dieses kommt auf schriftlichem Wege aber in den nächsten Tagen –, immer wieder hörte man jedoch heraus, dass die Kammer den dringenden Bedarf höher priorisieren könnte. Die Anzeichen deuten zumindest daraufhin, dass die LNU und diese hiesige Interessensgemeinschaft erneut scheitern, nachdem ein Eilantrag bereits vom Verwaltungsgericht in Arnsberg und vom Oberverwaltungsgericht in Münster abgelehnt wurde. Am Dienstagmorgen ging es jedoch nicht um den Eilantrag, sondern um das Hauptverfahren.

Und es wurde – mal wieder – deutlich, dass zwei Welten aufeinanderprallen. „Wir sehen einen dringenden Bedarf an neuen Arbeitsstätten, die Anfragen liegen auf dem Tisch. Die Stadt Attendorn ist gesegnet mit einem hohen produzierenden Gewerbe in herausragender Stellung für Südwestfalen“, betonte Dr. Felix Pauli, Rechtsanwalt der Stadt, mit Blick auf die mittelständischen Weltmarktführer etwa aus der Automobil- und Sanitärbranche. Für genau solche Unternehmen müsse die Stadt zwingend neue Gewerbeflächen bereitstellen.

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„Wir sind als Stadt seit zehn Jahren nicht mehr in der Lage, interessierten Firmen ein städtisches Gewerbegrundstück zur Verfügung zu stellen“, ergänzte Bürgermeister Christian Pospischil (SPD). Er verwies darauf, dass die Stadt die unter anderem von der IHK Siegen ermittelten Bedarfe selbst dann nicht abdecken könne, wenn Fernholte gebaut sei. Darüber hinaus würden weitere 34 Hektar fehlen, geeignete Flächen gibt es in der Hansestadt de facto aber nicht mehr. Pospischils Stellvertreter Carsten Graumann wurde sogar noch deutlicher: „Wir können von Glück sagen, dass unsere familiengeführten Unternehmen eine enge Bindung zu Attendorn haben, sonst sähe es in Sachen Abwanderung schon ganz anders aus.“

Diverse Mängel

Für die Klägerseite, also LNU und Interessensgemeinschaft, leiden die Planungen jedoch unter diversen Mängeln. So kritisieren die Naturschützer unter anderem, dass die Ausmaße des Eingriffes in die Landschaft mangel- bzw. fehlerhaft errechnet wurden. Vor allem würde der neue Bach deutlich mehr Wasser verlieren als angenommen, bemängelte Tobias Kroll, Rechtsanwalt der Klägerpartei. Er begründete dies mit der Länge des neuen Bachlaufs, der gut 200 Meter mehr misst, und mit der Topographie. Darüber hinaus würde zu viel Grundwasser versickern. Der Jurist forderte daraufhin ein Sachverständigengutachten, das die tatsächlich zu erwartenden Wasserverluste ausrechnen möge, jedoch lehnte die Kammer nach kurzer Beratung diesen Antrag ab. Eine fehlerhafte Ermittlung der zu bewegenden Erdmassen im Eckenbachtal mahnte Rechtsanwalt Groll ebenfalls an.

Kritisch sehen LNU und die hiesige Interessensgemeinschaft auch das Versprechen der Stadt, den neuen Bachlauf ökologisch aufzuwerten. Hier hat allerdings auch Richter Rainer Gießau Zweifel: „Von einer vollständigen Ausgleichbarkeit gehen wir nicht aus“, sagte er. Um dann jedoch nachzuschieben, dass sowohl die Richter am Verwaltungsgericht als auch beim Oberverwaltungsgericht den dringenden Bedarf an zusätzlichen Gewerbeflächen schon im Eilverfahren höher bewertet haben. Eine endgültige Entscheidung des Gerichts folgt in den nächsten Tagen – möglicherweise mit der Option, dass die Klägerseite Berufung gegen das Urteil einlegen kann. Geschieht das nicht, ist der Rechtsstreit um die Wasserverlegung nach vielen Jahren beendet.