Finnentrop. Verdeckt vom Gestrüpp liegt der alte Luftschutzbunker an der B 236 in Finnentrop. Martin Hageböck ging als Jugendlicher hier auf Entdeckungstour.
Sie waren jung, neugierig und abenteuerlustig. Ohne Angst vor Konsequenzen begaben sich Martin Hageböck und ein leider schon verstorbener Kumpel Anfang der 1970er-Jahre auf Entdeckungstour. Ihr Ziel: der alte Luftschutzbunker an der B 236 in Finnentrop, direkt gegenüber vom Stahlriesen Thyssen-Krupp. Heute ist der Schutzstollen im Hang verschwunden, sein Ausgang an der Ahornstraße ist zugeschüttet, das Gestrüpp verhindert eine freie Sicht.
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Martin Hageböck, der nicht weit entfernt aufgewachsen ist, heute im Frettertal lebt und für die CDU im Gemeinderat sitzt, braucht tatsächlich ein paar Minuten, um hinter dem Dickicht an der steilen Ahornstraße die Reste des Bunker-Ausgangs zu entdecken. „Hier muss es gewesen sein“, sagt er euphorisch, als er fündig wird. Er kann sich an einige Details erinnern. An die rostige Eisentür, die in den Stollen im Berg führte und später ersetzt wurde. An die Eisenklappe, durch die sich die beiden Abenteurer zwängten, um ins Innere zu gelangen. An die Belüftungsschächte, die sie im Hang entdeckten.
Martin Hageböck weiß noch genau, dass es zwei Ein- bzw. Ausgänge gab – einen hinter den heutigen Häusern an der Bundesstraße 236, den anderen an der Ahornstraße. Er erinnert sich, dass der Luftschutzstollen zwei kürzere Gänge und einen längeren Hauptgang besaß, von dem links und rechts Kammern abgingen. „Wir haben diesen Luftschutzbunker komplett ausgespäht. Ich kann mich an die Holzpfähle und die Bleche unter der Decke erinnern, die zum Teil schon heruntergekommen waren. Größere Felssteine lagen in den Gängen. Wir haben sogar Erkennungsmarken gefunden.“ Die Erinnerungen sprudeln, als sei es gestern gewesen. Dabei sind Jahrzehnte vergangen.
Alte Bänke und Stühle
Während des 2. Weltkriegs suchten unzählige Menschen in dem Stollen Schutz. Gedacht war er nicht nur für die Mitarbeiter des Thyssen-Krupp-Vorgängers Mannesmann, der damals den Schutzstollen baute. Sondern auch für die Anwohner der umliegenden Straßen, die den Bunker ab Frühherbst 1944 regelmäßig aufsuchten, wie der Finnentroper Chronik zu entnehmen ist. In diesem Buch findet folgender Absatz: „An der Grenze Neubrückes nach Bamenohl hatte die Mannesmann AG einige Meter über der Talsohle (...) einen hufeisenförmigen Stollen in den Berg getrieben. Vom Werk her führte eine getarnte Holzbrücke (...) hoch über die B 236 in den nördlichen Teil des Bunkers. Die Bevölkerung erreichte den südlichen Eingang über die heutige Ahornstraße. Dieser Teil des Bunkers war sehr primitiv geblieben. Dort, auf alten Bänken und Stühlen, mit gelegentlich tröpfelnder Decke und wenigen elektrischen Birnen zur Beleuchtung, fühlten sich die Menschen sicher. Gesprochen werden durfte nicht viel, denn die Belüftung war mangelhaft.“
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Im Archiv von Thyssen-Krupp schlummert eine Akte, die Unterlagen zum Bau des Luftschutzstollens sowie dessen Verbleib nach Kriegsende enthält. Darin zu finden ist auch ein Plan der Anlage, aus dem ersichtlich wird, dass der Bunker über zwei Eingänge und 15 Kammern verfügte und eine Grundfläche von gut 500 Quadratmetern aufwies – mit Platz für rund 1000 Menschen.
Die vorhandenen Unterlagen überliefern einen regen Schriftwechsel zwischen der Rechtsabteilung der Mannesmannröhren-Werke aus Finnentrop und der Firma Kaiser Söhne, einem Betriebsstoff-Großhandel aus Neheim-Hüsten. Den Arnsbergern gehörte nämlich das Grundstück, auf dem Mannesmann seinen Bunker bauen wollte. In einem Brief vom 14. September 1943 formuliert Mannesmann sein Vorhaben wie folgt: „Wir beabsichtigen auf Ihrem Grundstück (...) einen Luftschutzstollen zu bauen. Derselbe soll dem Schutz unserer Belegschaft wie auch öffentlichen Luftschutzzwecken dienen.“ Weil das Unternehmen mit Baukosten in Höhe von rund 50.000 bis 60.000 Reichsmark kalkulierte – offenbar ein Vielfaches des Grundstückswertes, wie aus den Unterlagen hervorgeht – und man eine solche Anlage nicht auf fremden Boden bauen wollte, favorisierte Mannesmann den Kauf des Grundstücks.
Doch Kaiser Söhne wollte die Fläche nur verpachten, obwohl die Firma aus Neheim-Hüsten gar keine Verwendung für das Grundstück im Hang gehabt haben soll. Weil der Betriebsstoff-Großhandel hartnäckig blieb, einigten sich die beiden Parteien schließlich auf einen 15-jährigen Vertrag mit einer jährlichen Pacht in Höhe von 250 Reichsmark.
1944 unterschrieben
Explizit wurde Mannesmann in dem Vertrag, der im Januar 1944 unterzeichnet wurde, die Nutzung des Stollens auch für gewerbliche Zwecke eingeräumt. Als der Krieg 1945 vorbei, stellte sich jedoch die Frage: Wie geht’s jetzt weiter mit dem Stollen, den Mannesmann nur noch als Lagerraum nutzte. In einem Schreiben äußerte der Mannesmann-Rechtsanwalt große Zweifel zu der Frage, ob die Finnentroper Firma frühzeitig aus dem 15-jährigen Pachtvertrag herauskommen würde, selbst wenn ein angedachtes Vorkaufsrecht nie im Vertrag festgehalten wurde.
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Doch genau dieses nicht verankerte Vorkaufsrecht nannte Mannesmann als Argument, um Kaiser Söhne Mitte August 1949 darum zu bitten, Ende desselben Jahres aus dem Vertrag wieder aussteigen zu dürfen. Denn offenbar, so die Lesart von Mannesmann, habe Kaiser Söhne weiterhin kein großes Interesse am Verkauf. Überraschend Antwort aus Neheim-Hüsten: Plötzlich war man doch bereit, das Grundstück samt Bunker an Mannesmann zu verkaufen, was die Finnentroper wiederum ablehnten, und zwar „wegen der ungünstigen Lage des Grundstück“ im Hang, wie Mannesmann in einem Antwortschreiben formulierte.
Schließlich einigten sich die beiden Firmen darauf, dass Mannesmann gegen Zahlung der doppelten Jahrespacht in Höhe von 500 D-Mark – diese hatte die Reichsmark mittlerweile abgelöst – aus dem Vertrag ausschied. Der Thyssen-Krupp-Vorgänger konnte so einen Strich unter seinen Luftschutzbunker machen, den viele Menschen aus Finnentrop nutzen, um mit dem Leben davonzukommen. Heute ist von diesem Bunker, einem längst vergessenen Ort, nichts mehr zu sehen.