Attendorn. Die Wartezeiten für einen Therapieplatz sind lang. Der approbierte Psychologische Psychotherapeut Markus Stutte aus Attendorn erklärt die Gründe.

Statistisch gesehen praktizieren im Kreis Olpe zu viele Psychotherapeuten. Laut aktueller Zahlen der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe (KVWL) arbeiten 32 Psychotherapeuten in den sieben Städten und Gemeinden des Kreises – das entspricht einer Versorgungsquote von rund 140 Prozent. Der Kreis Olpe ist damit auf dem Papier überversorgt. In der Praxis zeichnet sich allerdings ein anderes Bild: Die Nachfrage übertrifft vielerorts das Angebot um ein Vielfaches.

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Die logische Konsequenz: Patienten mit psychischen Erkrankungen müssen wochen-, wenn nicht monatelang auf einen Termin warten. 37 Prozent der Attendorner Teilnehmer unserer großen Medizin-Check-Umfrage geben an, mehr als acht Wochen auf einen Termin beim Spezialisten warten zu müssen. Dies entspricht in etwa auch den Zahlen der Bundes-Psychotherapeuten-Kammer.

Markus Stutte ist Psychologischer Psychotherapeut in Attendorn.
Markus Stutte ist Psychologischer Psychotherapeut in Attendorn. © Privat

Von diesen Wartezeiten kann Markus Stutte ein Lied singen. Der 35-jährige Neu-Listernohler ist approbierter Psychotherapeut in der ambulanten Praxis für Psychologische Psychotherapie am Westwall in Attendorn. „Der Bedarf ist hoch. Mehr als jeder dritte Deutsche durchlebt mindestens eine psychisch kranke Episode im Jahr“, erklärt der Fachmann aus der Hansestadt und ergänzt: „Es gilt die 3:5-Faustformel. Das heißt, dass von fünf psychisch erkrankten Menschen nur drei zum Facharzt gehen und die anderen aus vielerlei Gründen nicht in die Psychotherapie kommen. Zum Beispiel, weil sie krankheitsbedingt nicht in der Lage sind, sich selbstständig Hilfe zu suchen. Diese Menschen sehen sich schlimmstenfalls gezwungen, ihre Gesundheit zu faken.“

Erstgespräch: Vier bis sechs Monate Wartezeit

Doch diejenigen, die den Schritt zum Psychologen wagen, müssen viel Geduld aufbringen. Wer einen Termin bei Markus Stutte oder seinen Kollegen in der Praxis direkt neben dem Rivius-Gymnasium ausmacht, muss schon für das Erstgespräch im Schnitt vier bis sechs Monate warten. Diagnostiziert Stutte eine psychische Erkrankung, dauert es wiederum sechs bis zwölf Monate, bis der Patient zum zweiten Gespräch kommen kann. Und erst danach beginnt die eigentliche Behandlung, die abhängig von der Therapieform zwischen zwölf und 60 Stunden umfasst.

Die Frustration und Enttäuschung der Patienten kann der Attendorner Facharzt nachvollziehen, wenngleich er viel häufiger die Rückmeldung seiner Patienten bekommt, dass diese froh seien, überhaupt einen Therapeuten zu bekommen. Denn in vielen anderen Praxen sind die Wartelisten längst geschlossen. Seine Verzweiflung äußert ein unbekannter Teilnehmer unserer Umfrage, der sich innerhalb eines Monats einen probatorischen Termin (Diagnosegespräch) als Standard wünschen würde. „Meine damals 18-jährige Tochter musste nach ihrer Entlassung aus der Psychiatrie mit der Diagnose Borderline und schweren Depressionen anderthalb Jahre auf eine Therapie warten. Sie bekam in der Zeit Medikamente zur Überbrückung, dadurch wurde ihre Leber geschädigt. Außerdem wurden die Chancen auf eine Ausbildung gefährdet. Nur mit viel Glück und großem Engagement vieler Menschen in unserer Umgebung ist sie heute beruflich erfolgreich. Mit den Nebenwirkungen der verzögerten Therapie in Bezug auf körperliche Erkrankungen kämpft sie immer noch. Im schlechtesten Fall wäre sie heute Sozialhilfeempfänger“, berichtet der Teilnehmer.

Fehlende Lobby

Für Markus Stutte liegen die offensichtlichen Probleme gar nicht mal darin begründet, dass es zu wenige Psychologen gibt. Aber: „Wir haben zu wenige zugelassene psychologische Psychotherapeuten. Viele approbierte Kollegen bekommen keinen Kassensitz.“ Darüber hinaus fehle seiner Branche eine Lobby. Insofern ist es schon erstaunlich, dass laut KVWL im Kreis Olpe derzeit noch 2,5 weitere Niederlassungsmöglichkeiten ausschließlich für ärztliche Psychotherapeuten bestehen – trotz der Überversorgung. Das wiederum hängt mit fehlenden Quotensitzen zusammen.

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Ein Sprecher der KVWL klärt auf: „Die Quotensitze beziehen sich allgemein auf zusätzliche Niederlassungsmöglichkeiten für ärztliche Psychotherapeuten, Kinder- und Jugendpsychotherapeuten sowie Psychosomatiker. Hintergrund ist, dass mit der Gesamtzahl der psychotherapeutischen Sitze in einer Region auch ein bestimmtes Verhältnis zwischen den einzelnen Fachrichtungen erfüllt sein muss. Ist dies nicht der Fall, dann entstehen zusätzliche Sitze.“ So wie im Kreis Olpe.

116 117

Markus Stutte ist 35 Jahre jung, verheiratet und Papa eines zweijährigen Sohnes. Sein Abitur machte der Neu-Listernohler am St.-Ursula-Gymnasium. Anschließend studierte er Psychologie in Freiburg, Köln und Münster. Sein Examen erhielt er an der Akademie für Verhaltenstherapie in Köln. Seit Juni 2021 arbeitet Stutte mit vier Kollegen in der Praxis am Westwall.

Die Terminservicestelle (TSS) der KVWL unterstützt Bürger unter der Telefon-Nummer 116 117 bei der Suche nach einem Termin für die dauerhafte Behandlung bei Haus-, Kinder- und weiteren Fachärzten sowie Psychotherapeuten. Dabei ist allerdings zu beachten, dass es sich bei dem vermittelten Termin nicht um einen Wunschtermin bei einem Wunscharzt handelt. Die TSS vermittelt Termine bei Ärzten, die über freie Kapazitäten verfügen. Zudem werden keine Therapieplätze, sondern Termine für „Psychotherapeutische Sprechstunden“ (Erstgespräche) und ggf. im Anschluss Termine für Akutbehandlungen / dringende probatorische Sitzungen vermittelt.

Ein übersichtliches Schema zum jeweils unterschiedlichen Ablauf der Terminvermittlung bei den genannten Arztgruppen finden Sie hier: www.kvwl.de/buerger/terminservice-stelle-tss

Der Sprecher ergänzt, dass die Menschen in Deutschland heute eher als noch vor einigen Jahren bereit seien, bei psychischen Krankheitsbildern einen Psychotherapeuten aufzusuchen. „Darüber hinaus haben sich auch die Diagnose- und Behandlungsmöglichkeiten verbessert und weiterentwickelt, sodass die Versorgung psychischer Probleme mittlerweile viel differenzierter erfolgen kann.“ Insofern sei die Nachfrage nach Psychotherapie gestiegen. Psychotherapeuten wie Markus Stutte spüren dies täglich in der Praxis.