Wenden/Hagen. In der Modellregion Westfalen-Lippe gibt’s seit September das E-Rezept. Was man braucht, um es zu bekommen, und warum es noch ausgedruckt wird.
Eigentlich, sagt Dr. Stefan Spieren, „bin ich kein Freund von halben Sachen“. Aber diese derzeit noch halbe Sache weist in die Zukunft. Deshalb macht er mit – und versucht sich zudem an Verbesserungen. Der 42-Jährige ist Hausarzt in Wenden/Kreis Olpe und gehört zu jenen 250 Medizinern, die sich an einem deutschlandweit einzigartigen Pilotprojekt beteiligen: der Ausstellung des elektronischen Rezepts, die seit dem 1. September im Bereich der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe (KVWL) vorgenommen wird.
E-Rezept soll Arzt und Patient das Leben erleichtern
Die rosafarbenen Zettelchen kennt jeder: Darauf notiert der Arzt, welches Medikament die Apotheke dem Patienten doch bitte zur schnellen Genesung aushändigen soll. Heißt aber eben auch: Wer krank ist und Medizin braucht, der muss erst zum Arzt und danach in die Apotheke. Nicht mehr zeitgemäß, findet nicht nur Spieren.
+++ Das denken Apotheker über das E-Rezept +++
„Warum sollten wir einen Papierzettel persönlich übergeben, wenn man den auch verschicken kann? Ich bin überzeugt, dass das das Leben von Arzt und Patient deutlich erleichtert“, sagt er. „Wir arbeiten in unserer Praxis so modern es geht. Wenn es unbeliebte und redundante Tätigkeiten gibt, die auch eine Maschine übernehmen kann, dann geben wir das gern ab.“ Bisher werden diese rosafarbenen Zettel vom Arzt händisch unterschrieben. 100 oder 150 am Tag sind es manchmal in der Praxis Spieren. Einzeln werden sie dann abgeholt. „Was das an Ressourcen bindet…“, sagt Spieren.
Warum das E-Rezept derzeit zumeist noch ausgedruckt wird
Nun wird das Rezept am Computer erstellt und mit dem Heilberufe-Ausweis versehen. „Das kann man sich wie die Speicherung eines Text-Dokumentes vorstellen“, sagt er. Kurzes Computer-Rechnen, verifizieren, digitale Signatur drauf, fertig. Problem: Das digitale Rezept kann in den allermeisten Fällen noch nicht digital an den Patienten weitergegeben werden. Die E-Rezept-App und die dazu nötige elektronische Gesundheitskarte hat bisher kaum jemand. Deshalb wird der Nachweis derzeit oft ausgedruckt. E-Rezept? E wie: euer Ernst?
„Das einzige derzeit wirklich funktionierende Übertragungsmedium des E-Rezepts in Westfalen-Lippe ist der Papierausdruck“, sagt Thomas Müller, KVWL-Vorstand und für Digitalisierung und IT verantwortlich: „Die App spielt aktuell praktisch keine Rolle, weil noch kaum jemand sie hat. Aber der Ausdruck des E-Rezepts kann nur ein Provisorium sein.“ Noch ist es ein zähes Ringen um die richtigen technischen Lösungen für Praxen, Patienten und Apotheker.
Verschlüsselte SMS oder E-Mail als Königsweg?
Stefan Spieren will so lang nicht warten und sucht selbst nach Lösungen. Auf eigene Kosten hat er eine Software-Firma engagiert. „Wir stecken derzeit jede freie Minute in die Programmierung und Überprüfung der Software“, sagt er. Ziel sei es, ein Praxisverwaltungssystem zu erstellen, aus dem verschlüsselte SMS oder Mails versendet werden können an die Patienten. Diese führen zu einem Login, hinter dem sich das E-Rezept verbirgt.
+++ Das E-Rezept ist da: Was Patienten wissen müssen +++
„Das wäre der Königsweg“, sagt Spieren: „Der Vorteil gegenüber der elektronischen Gesundheitskarte ist, dass der Patient sein E-Rezept digital vorliegen hat und selbst entscheiden kann, was er damit anstellt. Das heißt: Ob er damit persönlich in die Apotheke geht oder das Rezept dem Apotheker digital weiterleitet und ihm ein Bote das Medikament bringt.“ Im Falle einer vorherigen Videosprechstunde müsste der Patient für den gesamten Prozess nicht einen Fuß vor die Tür setzen. Spieren hofft, dass die Software in wenigen Wochen soweit ist.
Ziel: Medikament erhalten, ohne das Krankenbett verlassen zu müssen
Viele Patienten, sagt er, goutierten die Fortschrittlichkeit. Wenn gewünscht druckt er das E-Rezept aus, in Ausnahmefällen verschickt er es auch mal per Mail, was allerdings aus Datenschutzgründen der ausdrücklichen Aufforderung des Patienten bedarf – wie bei Alexander Starke aus Olpe. Der 41-Jährige – selber in der EDV-Branche tätig – konsultiert Dr. Spieren zumeist per Video. „In die Praxis zu fahren, kostet mich Zeit, die rar ist. Daher ist mir sehr recht, wenn auch das Rezept auf elektronischem Wege zu mir kommt und ich in der Apotheke nur noch den Barcode vorzeigen muss“, sagt Starke.
Spieren denkt, dass es bald mehrere Wege geben wird, das E-Rezept digital zu erhalten: per Mail/SMS, per App oder mit elektronischer Gesundheitskarte. Der erste Schritt in diese Richtung ist gemacht. „Selbst wenn viele Ärzte jetzt noch das E-Rezept ausdrucken, ist es ja doch so, dass wir uns in diesen Prozess reindenken und seine Stärken und Schwächen erkennen“, sagt Spieren. Deswegen kann er sich ausnahmsweise mal mit einer vorerst halben Sache anfreunden.
<<< HINTERGRUND >>>
Damit Patienten an ihr E-Rezept gelangen, gibt es grundsätzlich vier Möglichkeiten:
1. In einer eigenen E-Rezept-App können Patienten den Code speichern und an die Apotheke übermitteln. Voraussetzung für die App: eine neuartige Krankenkassenkarte mit sechsstelliger Zugangsnummer und Pin (bei der Kasse anfragen) sowie ein entsprechendes Handy (ab z.B. iPhone 6 und neuer mit Betriebssystem iOS14).
2. Der Papier-Ausdruck (s.o.) ist der zweite bislang offiziell zugelassene Weg zum E-Rezept.
3. Die verschlüsselte Übertragung per SMS oder Mail befindet sich derzeit „in Prüfung“, wie die KVWL mitteilt.
4. Auch die Speicherung auf der elektronischen Gesundheitskarte ist in Prüfung. In drei Monaten soll sie lauf KVWL möglich sein. Vorteil: Jeder Patient hat die Karte. Nachteil: Besuch in Praxis und Apotheke notwendig.