Sondern. Die MS „Westfalen“ fährt nun ganz ohne Dieselgeruch und laute Motorgeräusche. Was die Umrüstung auf „grünen Strom“ für die Umwelt bedeutet.

Bei ihrer ersten Fahrt mit dem „neuen“ MS „Westfalen“ hatte Seniorchefin Gisela Keseberg von der Personenschifffahrt das Gefühl, über dem Biggesee „zu schweben“. Das hat seinen guten Grund. Die „Westfalen“ ist seit Christi Himmelfahrt als Europas größtes vollelektrisch betriebenes Fahrgastschiff auf der Talsperre unterwegs, ohne Dieselgeruch und laute Motorgeräusche. Daher wird sie künftig auch „EMS“ als „Elektromotorschiff“ genannt. „Das Schiff fährt zu 100 Prozent mit grünem Strom“, betont Dr. Rainer Miebach, Schiffsbauingenieur und Geschäftsführer der Lux-Werft und Schifffahrt aus Mondorf am Rhein, beim Pressetermin in Sondern.

Betriebsleiterin Nicole Keseberg, Werft-Geschäftsführer Dr. Rainer Miebach und Kapitän Bernd Stumpf (von links) knien vor einer Luke mit einigen der über 300 Batterien im Schiffsrumpf.
Betriebsleiterin Nicole Keseberg, Werft-Geschäftsführer Dr. Rainer Miebach und Kapitän Bernd Stumpf (von links) knien vor einer Luke mit einigen der über 300 Batterien im Schiffsrumpf. © Martin Droste

Für die Umstellung des Antriebes und den erforderlichen Bau einer Trafostation im Hafen der Personenschifffahrt gab es zwar 80-prozentige Förderungen durch das Land NRW bzw. den Bund. Trotzdem musste die Lux-Werft laut Geschäftsführer Dr. Rainer Miebach eine „hohe sechsstellige Summe investieren“. Die „Westfalen“ ist das zweite von fünf Schiffen der Mondorfer auf den Sauerländer Stauseen, die einen umweltfreundlichen E-Antrieb erhalten hat. Bis Ende 2024 sollen alle Dieselmotoren ausgetauscht werden. Das 1982 gebaute MS „Bigge“, das andere Schiff der Weißen Flotte auf dem Biggesee, ist im Winter an der Reihe.

Mehr als fünf Kilometer Kabel

„Das war eine Meisterleistung. Das Team hat klasse Arbeit hingelegt“, blickt Dr. Rainer Miebach auf die Arbeiten auf dem EMS „Westfalen“ in den letzten Monaten zurück. Eine Arbeit unter erschwerten Bedingungen, denn von Diesel- auf Akkuantrieb umgerüstet wurde im Hafen von Sondern, ohne Aufenthalt in der Werft. Der mit GTL Fuel, einem aus Erdgas gewonnenen synthetischen Dieselkraftstoff, angetriebene Dieselmotor wurde ausgebaut und steht auf dem Werftgelände. Genau 304 Akkumulatoren mit insgesamt zwei Megawatt Kapazität, dazu 38 Steuerungseinheiten, mussten durch enge Luken in den Schiffsrumpf getragen werden. Jeder Akku wiegt 70 Kilogramm. Über fünf Kilometer Kabel wurden bis zum Führerhaus verlegt.

Dr. Rainer Miebach sowie Nicole, Gisela und Wolfgang Keseberg (von links) sind stolz auf die Umrüstung der MS Westfalen von Diesel- auf umweltfreundlichen E-Antrieb.
Dr. Rainer Miebach sowie Nicole, Gisela und Wolfgang Keseberg (von links) sind stolz auf die Umrüstung der MS Westfalen von Diesel- auf umweltfreundlichen E-Antrieb. © Martin Droste

Den Umbau vor Ort managten Betriebsleiterin Nicole Keseberg und Kapitän Bernd Stumpf von der Personenschifffahrt Biggesee. „Wir sind wochenlang durch das ganze Schiff gekrabbelt“, sagt der 1,90 Meter große Stumpf. Die Akkus können über Nacht wieder vollständig aufgeladen werden. Ein unterarmdickes Kabel versorgt das EMS „Westfalen“ mit der nötigen Energie. Die 1978 von Gisela Keseberg im zweiten Versuch getaufte „Westfalen“, beim ersten Versuch ging die Sektflasche nicht kaputt, wurde nicht zum ersten Mal zur Großbaustelle.

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Seniorchef Wolfgang Keseberg, der nach wie vor am Steuer der Weißen Flotte steht, erinnert sich vor allem an den spektakulären Umbau 1991, als das Fahrgastschiff buchstäblich in der Mitte aufgeschnitten, um zwölf Meter verlängert und um den charakteristischen „Bauch“ verbreitert worden ist. „Das war eines der ersten Galerie-Schiffe“, berichtet Keseberg. Nach der Umrüstung von Diesel auf Strom ist das 55 Meter lange und elf Meter breite Drei-Decks-Schiff vom Biggesee derzeit Europas größtes Fahrgastschiff mit reinem E-Antrieb.

Photovoltaik-Anlage am Biggesee?

Laut Lux-Werft werden allein bei der „Westfalen“ 165 Tonnen CO2 jährlich eingespart. Das hat aber seinen Preis. „Wir gehen im Vergleich zum sinkenden Dieselpreis beim Einsatz von Ökostrom von deutlich höheren Kosten aus“, erwartet Dr. Rainer Miebach steigende Betriebskosten. Der Werft-Geschäftsführer kann sich alternativ eine Photovoltaik-Anlage am Biggesee vorstellen, um für einen geschlossenen Stromkreislauf dank Sonnenenergie zu sorgen. Aber das sei noch Zukunftsmusik.

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Keine Zukunftsmusik ist das neue Rooftop-Deck hinter der Kapitänsbrücke etwa mit bodentiefen Fenstern und einer lockereren Lounge-Bestuhlung. „Wir wollen weg vom Charakter eines Ausflugsdampfers“, betont Nicole Keseberg. Bereits im letzten Jahr wurde die „Bigge“ zum modernen Eventschiff, unter anderem mit Sand- und Strandbar. Auf beiden Schiffen der Weißen Flotte gibt es Trauzimmer. „Heute haben wir drei Trauungen an Bord“, freut sich Gisela Keseberg.

Linie und Miete

Das Elektro-Personenschiff „Westfalen“ ist bis zum Saisonende am 15. Oktober im Linienverkehr auf dem Biggesee im Einsatz, kann aber auch für Betriebsfeste, private Feiern oder Tagungen angemietet werden.

Weitere Informationen unter www.biggesee.de

Und wie fährt sich das Schiff mit E-Antrieb? „Man merkt sonst keinen großen Unterschied, aber es ist deutlicher leiser“, erzählt Kapitän Rüdiger Siebers, nachdem er in Sondern angelegt hat, wo schon eine große Hochzeitsgesellschaft auf das EMS „Westfalen“ wartet. Der Fahrpreis für die 90-minütige Biggesee-Rundfahrt hat sich für Erwachsene von 14 auf 15 Euro erhöht. „Die Erhöhung war unabhängig vom Umbau“, erklärt Betriebsleiterin Nicole Keseberg.