Kreis Olpe. Die Zahl der Obdachlosen im Kreis Olpe ist zuletzt stark gestiegen. Ein neues Konzept soll das Problem lösen – mit einem nie da gewesenen Ansatz.

Die Zahlen sehen auf den ersten Blick nicht dramatisch aus. Doch hinter jeder dieser Zahl steht ein Mensch. Ein Schicksal. Und ein gesellschaftliches Problem. Im vergangenen Jahr waren 71 Menschen im Kreis Olpe wohnungslos. „Nachdem sich die Zahl zwischenzeitlich auf etwa 50 reduziert hatte, ist sie zuletzt wieder angestiegen. Die Auswirkungen von Corona, die hohe Inflation und die steigenden Energiepreise haben dafür gesorgt, dass Menschen ihre Wohnung verloren haben“, erklärt Britta Weiße vom Fachdienst Soziale Dienste beim Kreis Olpe. Besonders tragisch: Diese Zahlen bilden nicht die ganze Notlage ab. Denn viele Betroffene werden in dieser Statistik gar nicht berücksichtigt. Dazu gehören unter anderem Asylbewerber, Opfer von Häuslicher Gewalt oder Haftentlassene. Die eigentliche Zahl der Wohnungslosen im Kreis Olpe liegt damit bedeutend höher. Sie alle kämpfen mit Vorurteilen, die ein Mietverhältnis dramatisch erschweren.

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Housing First soll Angebote der Wohnungslosenhilfe im Kreis Olpe ergänzen

Mit einem neuen Ansatz soll dieses Problem nun angegangen werden: „Housing First“. Damit sollen wohnungslose Menschen als erste Hilfe eine eigene Wohnung mit Mietvertrag bekommen. Ohne Vorbedingungen wie zum Beispiel eine erfolgreiche Suchttherapie oder gelöschte Schufa-Einträge. Dahinter steht die Überzeugung, dass es mit dem erfüllten Grundbedürfnis des Wohnens einfacher ist, Probleme zu überwinden. Nachdem das Konzept drei Jahre lang bis Ende 2020 durch das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales NRW gefördert wurde, übernimmt nun der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) die Förderung bis 2027. Vier Millionen Euro wird er in diesem Zeitraum finanzieren, weitere zwei Millionen Euro stellt die LWL-Sozialstiftung zur Verfügung. Damit soll das bestehende Angebot der Wohnungslosenhilfe im Kreis Olpe ergänzt werden.

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Am Montagnachmittag stellten Mitarbeiter des LWL das Housing-First-Konzept im Olper Kreishaus vor. Auch private Vermieter sowie Vertreter von Wohnungsgenossenschaften, Wohlfahrtsverbänden, Bauträgergesellschaften und Immobilienvermittlungen wurden dazu eingeladen. Peter Wachter, Ansprechperson beim LWL für wohnbezogene und ergänzende Leistungen im Kreis Olpe, machte in diesem Rahmen deutlich, dass Wohnungslose häufig stigmatisiert werden. „Oft hat man das Bild eines Schnorrers im Kopf, der am Bahnhof herumhängt, ungepflegt ist und Drogen nimmt. Und ohne es zu beschönigen: Die gibt es auch. Aber es gibt eben auch Menschen, die in schwierige Situationen geraten sind und Hilfe benötigen.“ Dazu gehörten zum Beispiel Menschen, die ihren Job verloren haben, deren Wohnung gekündigt wurde oder die schwer erkrankt sind. „Wir müssen die Komplexität der Schwierigkeiten sehen, aber nicht verurteilen“, so Wachters Appell.

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Einer dieser Menschen, der lange mit Stigmatisierung zu kämpfen hatte, ist Thorsten Klees. Der 53-Jährige lebte über ein Jahr in der Notunterkunft im Stachelauer Weg in Olpe. Krankheit, Arbeitslosigkeit und schließlich eine einschneidende Trennung brachten ihn hier hin. „Da hat man 30 Jahre lang hart gearbeitet und wird fallen gelassen wie eine heiße Kartoffel“, erzählte Klees im Rahmen der Infoveranstaltung. Immerhin hat er durch das Unterstützungsangebot des Kreises mittlerweile eine Wohnung gefunden. Ganz im Gegensatz zu Mohamed Diawara. Der 21-Jährige kam 2014 aus Guinea nach Deutschland, hat eine Ausbildung zum Fachlageristen abgeschlossen und einen festen Job in Attendorn. Seit mittlerweile drei Jahren ist er auf Wohnungssuche. Ohne Erfolg. Er lebt in einem Wohncontainer in Ennest. „Bei Herrn Diawara liegt keine Suchtproblematik vor, er hat einen festen Arbeitsvertrag und keine Schulden – und trotzdem hat ihm bisher niemand eine Chance auf dem Wohnungsmarkt gegeben. Das ist schon schlimm“, so Britta Weiße.

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Für Menschen wie Mohamed Diawara könnte „Housing First“ eine reelle Chance sein. Ein Ansatz, bei dem er nicht in einem Stufenmodell verharrt, in dem er erst seine Wohntauglichkeit unter Beweis stellen muss. Und damit auch den Kreislauf der Stigmatisierung durchbrechen könnte.

>>> DAS SIND DIE VORAUSSETZUNGEN FÜR DIE LWL-FÖRDERRICHTLINIEN

  • Der Fokus liegt auf alleinstehenden Personen mit komplexerem Hilfebedarf. Dieser liegt vor, wenn die Person mindestens durchgehend ein Jahr lang oder mindestens in vier Episoden über einen Zeitraum von drei Jahren wohnungslos war.
  • Priorität bei der Vergabe von Wohnraum haben obdachlose Frauen, Frauen in Notsituationen, obdachlose Männer über 50 Jahre mit gesundheitlichen oder pflegerischen Einschränkungen und Menschen, die immer wieder obdachlos werden und dabei gesundheitliche oder pflegerische Einschränkungen haben.
  • Bei einer Wohnungsvergabe mit Housing-First-Ansatz gilt eine Bindefrist von zehn Jahren.
  • Informationen zum Umfang und zur Höhe der Zuwendung für Vermieter, Investoren und Wohnungsgenossenschaften hat der LWL hier zusammengefasst.