Gerlingen/Hatay. Ali Atasoy aus Gerlingen ist mit seiner Mutter in ihre türkische Heimat Hatay geflogen. Während ihres Aufenthalts gibt es wieder ein Erdbeben.

Ali Atasoy, ehemaliger Betriebsratsvorsitzender von Thyssen-Krupp Olpe, hat kurz nach dem Erdbeben um Teile seiner Familie in der Provinz Hatay, vorwiegend in der Stadt Antakya, gebangt. Einen Tag nach Weiberfastnacht, bestieg er mit seiner Mutter (56) ein Flugzeug, um sich für gut eine Woche mit einem Leihwagen vor Ort ein Bild von der Katastrophe zu machen. Erst am Samstag kehrte er zurück: „Es waren für mich sehr emotionale Augenblicke. Meine Mutter musste mit ansehen, dass die Häuser und Plätze ihrer Kindheit in Schutt und Asche lagen. So stelle ich mir eine Stadt vor, die in einem Krieg mehrfach bombardiert worden ist. Da steht kaum noch etwas.“

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Eine Häuserreihe sei so eingestürzt, dass das Dach fast unversehrt auf den Trümmern gelegen habe. Ein Bild, dass sich ihm häufiger geboten habe: „Wir mussten davon ausgehen, dass darunter noch Leichen lagen.“ Das Haus seines Großvaters, also das Elternhaus seiner Mutter, sei ein einstöckiger Bungalow, der noch halbwegs aufrecht stehe, aber unbewohnbar sei und mit den mehrstöckigen Nachbarhäusern dem Erdboden gleichgemacht werde.

Weiteres Beben der Stärke 6,4

Während seines Aufenthaltes habe es am Mittwoch ein weiteres Beben gegeben. „Ich meine, mit der Stärke von 6,4. Das hat vielen Gebäuden, die bis dahin noch halbwegs senkrecht standen, vermutlich den Rest gegeben.

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Atasoy hatte vor seinem Flug eine Spendenaktion ins Leben gerufen und berichtete im Gespräch mit unserer Redaktion, für wen und was die Spenden verwendet worden seien: „Wir konnten einigen Menschen aus der Stadt helfen. Die standen mit ihrem wenigen Hab und Gut, manchmal nur mit ein bis zwei Koffern und wussten nicht, wie sie aus der Stadt kommen sollten.“

Ali Atasoy, ehemaliger Betriebsratsvorsitzender von Thyssen-Krupp in Olpe, sah Bilder in Antakya, der Heimatstadt seiner Familie, die er nicht mehr vergessen wird: „So stelle ich mir eine mehrfach bombardierte Stadt vor.“ 
Ali Atasoy, ehemaliger Betriebsratsvorsitzender von Thyssen-Krupp in Olpe, sah Bilder in Antakya, der Heimatstadt seiner Familie, die er nicht mehr vergessen wird: „So stelle ich mir eine mehrfach bombardierte Stadt vor.“  © WP | Ali Atasoy

Ein schlimmes Erlebnis aus Antakya lässt Atasoy noch einmal Revue passieren: „Wir sahen dort einen großen Park mit rund 100 Zelten, davon maximal 15 von staatlichen Organisationen, der Großteil von privaten Helfern. Darunter auch Hobbyzelte, wie man sie in jedem Realmarkt in Deutschland für einige Euro kaufen kann. Darin aber keine Betten, kein Wasser, nichts, womit Wärme hätte erzeugt werden können.“ Ganz dringlich hätten die Zeltbewohner Autos benötigt. „Warum Autos, habe ich sie gefragt“, erzählt Atasoy: „Weil es dort in der Stadt keinen Arzt, keine Praxis mehr gab, und die nächstgelegene Krankenstation einer italienischen Organisation weiter außerhalb liege.“ Zudem hätten die Obdachlosen nach weiteren Zelten gefragt: „Ich habe in Tarsus und Mersin dann nachgefragt, aber nirgends gab es mehr Zelte.“

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Den Großteil des Spendengeldes, so Atasoy, habe er für den Kauf von Essenspaketen verwendet: „Wir konnten für etwa 40 Familien mit jeweils fünf bis sechs Personen Essen besorgen für zehn bis 14 Tage. Das hat mich sehr gefreut.“

Auch in Tarsus und Mersin

Den Großteil seiner Reise hielt sich der türkischstämmige Gerlinger in den Nachbarstädten Tarsus und Mersin auf: „Dort lebt auch ein Teil meiner Familie, die wir besucht haben.“ In 100 Quadratmeter-Wohnungen seien die Menschen extrem zusammengerückt: „Dort leben jetzt 15 bis 20 Personen. Mehrere Generationen aus einer Familie.“ Glück im Unglück: Ein Verwandter, der Besitzer der Immobilie, wohne in der Schweiz und habe den Menschen sein Haus zur Verfügung gestellt. „Er hat gesagt, ihr könnt dort wohnen, so lange ihr wollt.“

Atasoy nahm angesichts der Nachrichtenlage in der Türkei mit, dass sich die Erdplatte unter dem Erdbebengebiet um siebeneinhalb Meter in Richtung Europa verschoben. Und jetzt befürchten die geologischen Experten, dass in Istanbul in den nächsten drei bis sechs Jahren ein großes Erdbeben zu befürchten sei: „Dann habe ich die schlimmsten Befürchtungen, es könnte Millionen von Menschenleben kosten.“