Olpe. Nicole Ernst (50) aus Gerlingen hat mal fast 180 Kilogramm gewogen. Nun hat sie 76 Kilogramm abgenommen. Sie zeigt uns, wie sie vorher aussah.

Es ist sozusagen ein ganzer Mensch, den Nicole Ernst (50) aus Gerlingen verloren hat. Damit ist nicht etwa ein familiärer Schicksalsschlag gemeint, sondern es geht vielmehr um das Bild für eine außergewöhnliche äußerliche Veränderung, die Nicole Ernst hinter sich gebracht hat. Sie hat in knapp eineinhalb Jahren 76 Kilogramm abgenommen. Also soviel, wie ein Erwachsener mit Normalgewicht auf die Waage bringt.

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Viele Olper Autofahrer kennen die freundliche 50-Jährige aus ihrem Hauptberuf: Sie betreibt die Star-Tankstelle (Orlen-Gruppe) an der Olper Bruchstraße. Einige von ihnen, die länger nicht mehr dort getankt, Zigaretten oder Zeitschriften gekauft oder sich einen Kaffee zwischendurch gegönnt hatten, dürften sie auf den ersten Blick gar nicht wiedererkannt haben: „Ja, das kommt vor, ich nehme es niemand übel“, strahlt sie. Denn sie hat das geschafft, was unzählige Übergewichtige viele Male erfolglos versucht haben: Abzunehmen ohne Bumerang-Effekt. Ohne psychische Kollateralschäden und ohne Unsummen für Diäten, für Säfte, Pulver und Pillen aus dem Fenster geworfen zu haben.

Nicole Ernst vor ihrer Magen-OP. Mit einem Körpergewicht von fast 180 Kilogramm.
Nicole Ernst vor ihrer Magen-OP. Mit einem Körpergewicht von fast 180 Kilogramm. © Josef Schmidt

Warum sie uns ihre Geschichte erzählt, begründet sie, ohne zu zögern: „Ich will anderen in einer ähnlichen Situation, in der ich gesteckt habe, Mut machen.“ Mut machen, den wohl entscheidenden letzten Schritt am Ende einer unvorstellbar langen Leidenszeit zu gehen: „Die Magen-Operation war der richtige Entschluss und der wichtige Anfang auf einem langen Weg, der noch nicht zu Ende ist.“ Denn mit den 76 Kilogramm will sich Nicole Ernst noch nicht zufrieden gaben: „20 Kilogramm sollen noch runter.“

Zahlt die Krankenkasse?

Hendrik Ernst weist darauf hin, dass die Kosten für eine medizinisch als notwendig diagnostizierte Magen-Operation von den Gesetzlichen Krankenkassen übernommen werden: „Da sollte sich niemand von seiner Kasse entmutigen lassen, auch, wenn es mal schwierig wird.“

Medizinische Informationsportale bestätigen das. Dort heißt es unter anderem: „Die Krankenkassen übernehmen normalerweise die Kosten für eine Magenverkleinerung, wenn ein Arzt bestätigt, dass der Eingriff medizinisch notwendig ist. Als Voraussetzung gilt u. a.: Der Body-Mass-Index (BMI) liegt über 40 oder ab 35, dann aber mit schweren Begleit- bzw. Folgeerkrankungen. Eine konventionelle Adipositas-Therapie soll bereits versucht worden sein.

Während sie ihr Leben im Zeitraffer vorübergleiten lässt, wird schnell klar, dass ihr Weg viele Parallelen zu Menschen hat, die ebenfalls von klein auf deutlich mehr wiegen als Normalos, deren sogenannter Body-Mass-Index zwischen 21 und 26 liegt - geltend für eine Frau mit 50 Jahren. „Ich hatte kurz vor der OP einen BMI von 60.“ Einstufung: Extrem starkes Übergewicht, Adipositas-Grad 3.

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Zwei-Meter-Maßband reichte nicht

Mit solchen oder ähnlichen Superlativen musste Nicole Ernst immer wieder zurecht kommen, irgendwie: „Man geht zum Beispiel automatisch an Biergärten mit Plastikstühlen vorbei. Im Bikini am Strand liegen? Fehlanzeige. Wir konnten keinen Flugurlaub machen, da ich nicht fliegen konnte. Der Gurt hätte nicht um mich herum gereicht“, zuckt sie mit den Schultern. „Und meinen Bauchumfang aus dieser Zeit kann ich Ihnen nicht einmal genau nennen. Ein übliches 2-Meter-Maßband reichte nicht.“

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Lebensweg

Nicole Ernst stammt aus Neunkirchen im Siegerland. Schon von klein auf sei sie stämmig gewesen, „ein kräftiges Kind eben, wie man bei uns sagt“, erinnert sie sich. Die Mutter kochte wie viele Frauen im Sieger- und Sauerland: „Deftige Hausmannskost eben, und aufgegessen wird natürlich auch immer.“

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Die Folge: Nicole Ernst, die nie eine Sportskanone war und die entsprechende Veranlagung hatte, wurde schwerer und schwerer. Bis zur ersten Hürde. Und bis zur ersten Diät: „Mit 17 wog ich schon 104 Kilo. Und für eine Ausbildung bei der Post durften es maximal 95 Kilogramm sein“, blickt sie zurück. In einem der unzähligen Frauenmagazine entdeckt sie die Pellkartoffel-Diät und isst für ein halbes Jahr als Grundnahrungsmittel nur noch die gesunden Knollen, manchmal mit fettarmen Beilagen. Mit Erfolg: „Ich schaffte es, auf fast 80 Kilo runterzukommen.“ Der erste große Abnehm-Erfolg, nachdem sie sich schon in der Pubertät jahrelang mit ihren Körpermaßen auseinandergesetzt hatte: „Ich war in der Schule immer die Schwerste.“

Die 80 Kilo blieben allerdings nur eine Momentaufnahme: „Nach dem Ende der Kartoffel-Diät ging’s wieder rauf.“ Nach der Schwangerschaft mit ihrem ersten Kind zeigte die Waage schnell wieder ein dreistelliges Ergebnis. Und als sie auch noch ihren Führerschein hatte, „machte ich alles mit dem Auto, ging kaum noch zu Fuß.“ 2005 wog Nicole Ernst dann 154 Kilo. In der Zwischenzeit war ihr zweites Kind zur Welt gekommen, sie hatte sich von ihrem Ehemann getrennt und war nach Norddeutschland gezogen. Und der nächste ernsthafte Diätanlauf folgte: „Das funktionierte auch, ich reduzierte mein Gewicht extrem stark auf unter 100 Kilogramm. Aber es hielt einfach nicht“, verzieht sie ihr Gesicht. Nachdem sie ihren zweiten und heutigen Ehemann Hendrik Ernst kennenlernt, ziehen die beiden 2007 nach Gerlingen, und ihre Körperfülle erreicht schließlich die Maximalausdehnung - bei 178 Kilogramm. Nicole Ernst verzieht erneut ein wenig ihre Miene, als sie zurückblickt: „Ich konnte kaum noch etwas. Treppen steigen war eine Tortur, ein Bett beziehen nicht denkbar, weil der Bauch einfach im Weg war. Und in unserem neuen Wohnmobil konnte ich die Dusche nicht benutzen - zu eng.“

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Dann kamen heftige Knieschmerzen hinzu und noch weniger Bewegung. Der Teufelskreis hatte sie längst gepackt. Auslöser für den Wendepunkt in ihrem Leben war eine niederschmetternde Diagnose: „Mein Hausarzt in Hünsborn machte mir klar, dass ich eine schwere Arthrose hätte und ein neues Knie benötigen würde. Mit meinem Gewicht sei das aber nicht machbar.“ Eine erneute Diät, diesmal intermittierendes Fasten (18 Stunden nichts essen, nur während der restlichen 6 Stunden), brachte zwar den Verlust von 9 Kilogramm. Doch das reichte bei weitem nicht für das neue Knie.

Die große Wende

Erst die jetzt folgende Strategie, erzählt Nicole Ernst, habe ihr Leben mit immerhin 48 Jahren grundlegend auf den Kopf gestellt. Und nichts weniger sei auch nötig gewesen: „Der Schritt zur Magen-Operation, einer Verkleinerung um mehr als 80 Prozent, war der Startschuss. Genauso wichtig war aber mein Kopf und die Einsicht, alles zu ändern.“ Das gelang nicht sofort, wie sich ihr Ehemann Hendrik erinnert: „In den ersten sechs Wochen nach der OP war sie völlig niedergeschlagen, fiel in ein tiefes Loch.“ Größere Mahlzeiten als beispielsweise eine halbe Scheibe Brot und ein Ei am Morgen, ein Stück Lachs zum Mittag und ein halber Apfel am Abend ließ der kleine Magen nicht zu. Eine durchaus menschliche Anekdote: „Einmal hatte ich Heißhunger auf eine Currywurst mit Pommes frites. Aber nach zwei, drei Stückchen Wurst und einer Handvoll Fritten machte mir mein Magen klar: Das war es jetzt.“

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Tag um Tag, Woche um Woche, besserte sich die Situation der spürbar schlanker werdenden Frau: „Die Schmerzen im Knie verschwanden, gemeinsam mit meinem Mann mache ich Nordic Walking, dazu noch Yoga. Und wir gehen ins Fitnessstudio. All das ist ganz wichtig.“ Ebenso wie die Begleitung durch das Adipositaszentrum in Remscheid. „Ich hatte zwar immer das Glück, keine typischen Übergewichtskrankheiten zu haben, wie Bluthochdruck oder Diabetes, aber vor und nach der OP war die psychologische Unterstützung und die Ernährungsberatung des Zentrums ganz wesentlich. Wer den Kopf bei diesem Weg nicht mitnimmt, setzt sich fast zwangsläufig der Gefahr des Bumerang-Effekts aus. Denn auch ein verkleinerter Magen kann sich wieder dehnen.“ Und genau das will Nicole Ernst für immer hinter sich lassen.