Kreis Olpe. Die neuesten TÜV-Zahlen zeigen: Fast jeder zweite Fahrschüler rasselt durch die Prüfung. Gerade bei der Theorie tun sich viele schwer.
Immer häufiger rasseln junge Menschen aus dem Kreis Olpe durch ihre Führerschein-Prüfung. Besonders bei der Theorie ist die Durchfallquote in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen – von 36,8 Prozent im Jahr 2018 auf 39,5 Prozent im vergangenen Jahr. Waren es 2018 noch knapp 1400 Männer und Frauen, die nicht bestanden haben, wuchs diese Zahl in 2022 auf knapp 1600 an. Und auch bei den praktischen Prüfungen lässt sich an den Zahlen des TÜV Nord ablesen, dass immer mehr Prüflinge durchfallen. Aber warum eigentlich?
Michael Kirchhoff aus Finnentrop ist seit knapp 30 Jahren Fahrschullehrer. Er kennt den Trend und vor allem die Gründe. Wer heute für seine Theorie-Prüfung lernt, tut dies fast ausnahmslos digital über entsprechende Programme – via PC; Tablet oder Handy. Die Zeiten, in denen man Papier-Fragebögen ausfüllen musste, sind vorbei. Doch dieses „neue“ Lernen hat Nachteile. Kirchhoff beobachtet immer wieder: „Es ist viel komplexer geworden. Wer mit Handy lernt, und das tun mittlerweile die meisten, wird immer wieder abgelenkt.“ Ein konzentriertes, vor allem fokussiertes Lernen sei so kaum noch möglich.
Viele Prüflinge würden blauäugig in die Prüfung gehen. Nämlich schon dann, wenn ihnen das digitale Lernprogramm anzeige, bislang nur 60 oder 70 Prozent der Fragen richtig beantwortet zu haben. „Einige versuchen es dann nach dem Motto ‘no risk, no fun’, aber das geht häufig schief“, weiß Kirchhoff, der Geschäftsführer der Fahrschule Block und Kirchhoff unter anderem mit Standorten in Finnentrop, Attendorn und Heggen ist. Dabei hätten die wenigsten die Kosten im Blick, die bei einem Nicht-Bestehen schnell mal 100 Euro betragen können. „Und dann muss man sagen, dass die Prüfungsnervosität deutlich angestiegen ist. Die Jugendlichen sind heute nicht mehr so belastbar wie vor 10 oder 15 Jahren.“
Bei der praktischen Prüfung sieht Kirchhoff indes keinen negativen Trend, die Durchfallquoten seien gar besser geworden. Der Grund: Fast alle Prüflinge bei ihm würden heute im Automatik-Wagen (Führerscheinklasse B 197) geprüft, kaum noch jemand muss also während der Prüfung kuppeln und schalten. „Während der Fahrt können sich die Schüler viel mehr auf den Straßenverkehr konzentrieren. Für einen jungen Fahranfänger ist es schon ein riesen Unterschied, ob er nur bremsen und Gas geben muss und sich ansonsten komplett auf den Straßenverkehr konzentrieren kann, oder er parallel auch noch schalten muss.“ Das Fahren auf Automatik sei schlicht einfacher. Allerdings muss jeder Prüfling zuvor auch mindestens 10 Schaltkompetenzstunden erlangt haben.
Die Kosten für den Führerschein sind abhängig von den Fahrstunden. Die reinen Fahrschulkosten in der Klasse B starten für jemanden, der 30 bis 35 Stunden geübt hat, bei 2300 Euro, erklärt Kirchhoff. Noch nicht enthalten sind darin die Kosten für den TÜV oder auch die Gebühren, die der Kreis Olpe erhebt. Sie betragen für begleitetes Fahren ab 17 Jahren 52,40 Euro (zuzüglich 8,30 Euro für jeden Begleiter) sowie 43,90 Euro für die Ersterteilung des Führerscheins. Durch die Energiekrise und die deutlichen Verteuerungen, die jeder Verbraucher spürt, seien viele Eltern von Kindern, die kurz vor der Prüfung stehen, zurückhaltender geworden. Kirchhoff nennt ein Beispiel: Ein Familienvater mit zwei Kindern müsste im günstigsten Fall 4600 Euro zahlen - und das nur für die reinen Fahrschulkosten.
Ein großes Problem, so Kirchhoff, sei in den vergangenen Jahren auch die nur spärlich vorhandene Anzahl an Prüfungsterminen gewesen. „Wir haben Wartezeiten von bis zu drei Monaten erlebt, das ist eine Katastrophe.“ Schuld sei dafür der TÜV gewesen, der er in der Vor-Corona-Zeit versäumt habe, eigenen Nachwuchs auszubilden. Und als dann nach Corona ein ganzer Schwall an Prüflingen auf der Matte stand, war das Dilemma perfekt. Seit wenigen Wochen würde es aber wieder mehr Termine geben.
Olav Röske, Teamleiter bei TÜV Nord und auch zuständig für den Kreis Olpe, kann bestätigen, dass es in den Jahren vor Corona nicht so viele Prüfer gegeben habe wie heutzutage. „Aber wir hatten nie Wartezeiten von bis zu drei Monaten. Diese Fälle kennt man eher vom TÜV Rheinland.“ Im ländlichen Bereich habe man in der Zeit nach dem Lockdown nur ein bis zwei Wochen auf einen Prüfungstermin gewartet. Zumal die Prüfungszulassung nicht nur abhängig sei vom TÜV, sondern auch vom Straßenverkehrsamt, das die Prüfungsanträge zunächst erstmal bearbeiten muss. Und dort sei es durch Corona, Krankheitswelle und allgemeinen Personalmangel ebenfalls zu Verzögerungen gekommen.
Wolfgang Gräve aus Drolshagen, ein Alter Hase in der Fahrlehrer-Branche, kann die Erfahrungen seines Kollegen bestätigen: „Die Durchfallquote ist auch in meinem Kundenkreis spürbar gestiegen. Knapp ein Drittel, die den Führerschein Klasse B machen wollen, rauschen beim ersten Mal durch. Und wir sind hier ja auf dem Land. In den Großstädten sind es deutlich mehr. Da fällt jeder zweite durch. Wir hatten bei uns im vergangenen Jahr eine Bestehensquote von 64 Prozent beim ersten Versuch.“ Gräve ist 32 Jahre im Geschäft und stellv. Vorsitzender im Fahrschulverband Westfalen für den Regierungsbezirk Arnsberg. Somit hat er auch den Blick über die Kreisgrenzen hinaus. Nach den Gründen für den Abwärtstrend befragt, sagt Gräve: „Der Führerschein hat für viele junge Leute eine andere Wertigkeit als noch vor 20 oder 30 Jahren. Vieles andere ist offenbar wichtiger.“
Ganz andere Verkehrssituation
Die statistischen Daten hätten sich erheblich geändert. Aktuell brauche ein Fahrschüler im Schnitt 30 bis 40 Fahrstunden. Allerdings bei einer „ganz anderen Verkehrssituation als vor 30, 40 Jahren“. „Zu meiner Zeit gab es kaum Staus, da konnte man rollen lassen.“ Zudem dürfe man sich nichts vormachen: „Zu unserer Zeit sind viele vor dem Führerschein doch viele schwarz gefahren.“ Im Klartext: Irgendwo mit Papa auf eine abgelegene Strecke, und dann habe man testen dürfen. Heute undenkbar. Gräve sieht einen grundlegenden gesellschaftlichen Wandel: „Wir haben doch auf den Verkehr geachtet, wenn wir hinten als Jugendliche gesessen haben. Heute wird mit dem Handy gedaddelt.“ Das Gespür für den Verkehr werde so nicht trainiert. Heute könne man den Eltern nur raten, die jungen Leute auf dem Verkehrsübungsplatz fahren zu lassen. Gräve nennt Extrembeispiele für die technische Unbedarftheit der heutigen Jugend: „Es kommt vor, dass einer einsteigt, der sagt: Da sind ja drei Pedale, ich hab’ doch nur zwei Füße.“
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Die Kosten des Autoführerscheins lägen heute kaum einmal unter 2.000 Euro: „Das muss schon jemand sein, der vorher Trecker oder Moped gefahren ist“, klärt Gräve auf, „der Durchschnitt liegt bei 2.500 Euro plus x. Es gibt aber auch Ausreißer nach oben mit 4.000, 5.000 oder sogar 6.000 Euro.“
Bernhard Bruchmüller von Fahrschule Allebrod und Bruchmüller aus Würdinghausen hat ähnliche Erfahrungen gemacht: „Der Hauptgrund ist, dass jungen Menschen grundsätzliche motorische Fähigkeiten fehlen.“ Früher hätten Kinder einen Trampeltrecker geschenkt bekommen und gelernt, wie man rückwärts fahre. „Heute lenken Fahrschüler schon mal in die falsche Richtung beim rückwärts fahren. Auch die Aufmerksamkeit fehlt. Früher haben die jungen Leute aus dem Fenster geschaut, wenn sie bei den Eltern mitgefahren sind, heute nur noch ins Handy.“ Auch Bruchmüller sieht die Situation in einem ländlichen Kreis besser als in den Städten. Zur Kostenfrage sagt Bruchmüller: „Die Kosten für den Führerschein sind im Verhältnis zu anderen Kosten weniger stark gestiegen.“ Im Schnitt benötige ein durchschnittlich begabter Fahrschüler etwa 30 Fahrstunden.