Attendorn. An genau zwei Stellen hatte die Stadt Attendorn Berührung mit dem Fall des achtjährigen Mädchens, das jahrelang unter Verschluss gehalten wurde.

Der Fall des jungen Mädchens, das jahrelang im Haus ihrer Großeltern von der eigenen Mutter versteckt wurde, ist auf den Straßen der beschaulichen Hansestadt – natürlich – ein großes Gesprächsthema. Wie kann das Schicksal der Achtjährigen so lange unentdeckt bleiben, in einer Kleinstadt mit rund 24.000 Einwohnern, in der sich doch jeder kennt und man aufeinander achtet? Warum haben Nachbarn am Grafweg, wo sich das Drama abspielte, nichts mitbekommen? Welches Motiv könnten die Mutter, die schon seit Jahren (genauso wie ihr Kind) nicht mehr in Attendorn gemeldet ist, und die Großeltern verfolgen, dass die Kleine noch nie an der frischen Luft war? Noch nie einen Wald gesehen oder mit anderen Kinder gespielt hat? Es gibt viele unbeantwortete Fragen.

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„Und natürlich war auch meine erste Reaktion: Wie konnte das so lange unentdeckt bleiben?“, gesteht der Erste Bürger dieser Stadt. Für Bürgermeister Christian Pospischil ist zumindest eines offensichtlich: Selbst in einer Stadt, in der sich doch jeder kennt, werden die sozialen Strukturen immer anonymer. Man kennt seine Nachbarn doch nicht so richtig. Oder schaut man nicht richtig hin? „Genau diese Entwicklung begünstigt Fälle wie diesen bei uns in Attendorn, der letztlich überall auftreten kann.“ Überall bedeutet dieses Mal aber hier, mitten in der Hansestadt.

Im Bürgerbüro abgemeldet

Selbstverständlich weiß der SPD-Politiker aus Ennest, dass bundesweit über das versteckt gehaltene Mädchen aus Attendorn geschrieben und gesprochen wird. Und der Name Attendorn mit diesem Drama verbunden wird. Droht der Stadt ein Imageschaden? Pospischil glaubt das nicht. Zumindest langfristig würde Attendorn vom Radar der überregionalen Medien wieder verschwinden. Auch wenn die Stadt zumindest zwei Berührungspunkte mit dem Fall hatte.

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Zunächst im Jahr 2015. Vor sieben Jahren geht die Mutter ins Bürgerbüro und meldet sich und ihre Tochter ab. Mit der Ankündigung, nach Italien zu ziehen. Den Umzug kontrollieren kann die Stadt nicht, schlicht und ergreifend deshalb, weil es keinen Datenaustausch zwischen der Behörde in Attendorn und Behörden außerhalb Deutschlands gibt. In Attendorn sind die beiden seitdem nicht mehr gemeldet. Wo sie im Ausland leben, kann man im Rathaus nicht mehr kontrollieren. Anders wäre es gewesen, wenn Mutter und Kind innerhalb Deutschlands umgezogen wären, dann hätte besagter Datenaustausch funktioniert.

Mit Großeltern telefoniert

Berührungspunkt Nummer zwei: Nachdem beim Kreis-Jugendamt im Jahr 2020 ein anonymer Hinweis eingeht, wendet sich der Kreis an die Stadt – und zwar mit der Frage, ob man im Attendorner Rathaus Kenntnis darüber habe, ob das Mädchen ihrer Schulpflicht nachkomme. „Wir haben damals Rücksprache mit den Großeltern genommen, die uns den Wegzug bestätigt haben“, weiß der Bürgermeister nach Recherchen im eigenen Haus. Weil das Kind zu diesem Zeitpunkt längst nicht mehr in Attendorn gemeldet war und damals auch das Jugendamt noch lange nicht von einer Freiheitsberaubung ausgegangen war, „hatten wir keinen Grundlage dafür, an der Aussage der Großeltern zu zweifeln“, so Pospischil.

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Hätte die Stadt trotzdem an ihren Grundschulen nachhorchen können? Das wäre sinnlos gewesen, erklärt Christof Schneider, Amtsleiter Bürgerservice bei der Stadt. Denn weil das Kind ja offiziell nicht mehr in Attendorn lebte, sei es auf keiner Schulliste zu finden. Schneider: „Grundsätzlich ist es so, dass unser Schulamt fortlaufend prüft, ob alle in Attendorn gemeldeten Kinder ihrer Schulpflicht nachkommen und in einer Grundschule angemeldet werden.“ Wenn dies in Einzelfällen nicht geschehe, setze man sich automatisch mit den Eltern in Verbindung. Häufig komme es vor, dass Kinder in Grundschulen benachbarter Kommunen – oder in Einzelfällen auch gar nicht – angemeldet werden. Doch selbst diese engmaschige Kontrolle hilft nicht, wenn das Kind offiziell nicht mehr in der Hansestadt lebt.

Einfach zur Tagesordnung zurückkehren, das ist auch für den Bürgermeister keine Option. Man werde in Zukunft wachsamer sein und „jeden Schnipsel, der auf ein ähnliches Szenario hindeuten könnte, noch genauer prüfen, auch wenn am Ende der Aufwand vergeblich ist“, verspricht er. Das sei allerdings nicht nur Aufgabe einer Behörde, sondern auch von aufmerksamen Nachbarn, Bekannten oder Familienangehörigen, die sich sofort und möglichst konkret melden sollten, wenn sie beispielsweise von einer Kindeswohlgefährdung ausgehen. Das muss auch in einer immer anonymer werdenden Gesellschaft noch funktionieren. Damit sich der unglaubliche Fall aus Attendorn nicht wiederholt.