Attendorn. Der Fall Attendorn sorgt für Bestürzung: Wie kann es sein, dass eine Frau mit ihrer Tochter durch einfaches Ummelden komplett abtauchen kann?
Der Fall des achtjährigen Mädchens, das nach derzeitigen Erkenntnissen die letzten sieben Jahre seines Lebens ohne Kontakte nach außen im Haus seiner Großeltern in Attendorn verbracht hat, bewegt die Menschen in ganz Deutschland. Michael Färber, für das Kreisjugendamt zuständiger Fachgebietsleiter der Kreisverwaltung, hat derzeit kaum etwas anderes zu tun als Medienanfragen aus der ganzen Republik zu beantworten. ARD, ZDF, RTL, Sat1 – die Sender geben sich im Kreishaus die Klinke in die Hand. Zu unglaublich das Geschehen, zu unvorstellbar die Vorwürfe, die der Mutter und ihren Eltern gemacht werden. Und trotz einer ausführlichen Pressemitteilung der Kreisverwaltung, trotz vieler Informationen der Staatsanwaltschaft Siegen stellen sich viele Fragen. Unter anderem die, wie es im digitalisierten, vernetzten Europa sein kann, dass eine Frau sich und ihre Tochter durch einfaches Ummelden dem Zugriff der Behörden entziehen und sieben Jahre lang komplett abtauchen kann.
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Ob und wer die Abläufe im Kreisjugendamt Olpe zum Fall des eingesperrten Mädchens in Attendorn prüft oder gegenprüft, war im Rahmen unserer Recherche nicht zweifelsfrei zu ermitteln. Die Bezirksregierung in Arnsberg, so versicherte deren Pressesprecher Christoph Söbbeler, sei als Kommunalaufsicht für so etwas nicht zuständig: „Das gehört nicht zu unseren Aufgabenbereichen. Fachaufsichtlich ist für die Kreisjugendämter das Landesjugendamt tätig, bekanntermaßen beim Landschaftsverband angesiedelt oder das Fachministerium in Düsseldorf, also das Ministerium für Kinder, Jugend, Familie etc.“
Nach Rücksprache mit der Schulabteilung der Bezirksregierung erklärte Söbbeler, dass das Kind abgemeldet oder von der Bildfläche in Attendorn verschwunden sei, als es ein- oder eineinhalb Jahre alt gewesen sei: „Und dann wird eine solche Familie natürlich auch nicht mehr angeschrieben, wenn es um eine Einschulung geht.“ Dem Zugriff der Schulaufsichtsbehörde sei es dadurch entzogen gewesen: „Das Kind war weg, lange bevor es schulpflichtig war.“
Ministerien uneins
Die Rechtsaufsicht läge beim Kommunalministerium von Ministerin Ina Scharrenbach (CDU), teilt die Pressesprecherin des NRW-Ministeriums für Kinder, Jugend, Familie, Désirée Linde, auf Anfrage mit: „Dort liegt die Aufsicht über die Kommunen.“
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Dass die angeblich in sauerländischen Kleinstädten so umfassende soziale Kontrolle nicht funktioniert hat, hatte Landrat Theo Melcher bereits am Sonntag in der Stellungnahme des Kreises unterstrichen. Fachbereichsleiter Michael Färber sagte auf Anfrage unserer Redaktion, ein Grund für das späte Eingreifen der Behörden sei, dass die ersten Hinweise anonym erfolgt seien.
„Wir hatten zwar im Oktober 2020 erste Hinweise, dass das Kind sich im großelterlichen Haus aufhalte, aber wir konnten das mit den Möglichkeiten, die wir hatten, nicht feststellen.“ Die Behörden seien vor Ort gewesen, hätten das Haus zwar nicht betreten dürfen, aber hineinsehen können. „Es gab kein Spielzeug, nichts, das auf die Anwesenheit eines Kindes hätte hinweisen können“, so Färber. „Wir hatten wirklich keinerlei Hinweise, dass die anonymen Hinweise stimmen könnten.“
Erst vor knapp zwei Monaten eingegangene neue Hinweise hätten dann zum Eingreifen geführt: „Diese waren nicht mehr anonym, wir konnten mit den Hinweisgebern sprechen und so im Gespräch Ansatzpunkte festmachen, die die weiteren Schritte möglich machten.“ Dass vom Stellen eines Amtshilfeersuchens in Richtung Italien bis zur Reaktion zwei Monate ins Land gegangen sind, „war für uns ja keine Routine. Wir hatten bisher keinen vergleichbaren Fall, sodass wir nicht abschätzen konnten, wie lange so ein Verfahren dauert“.
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Nach derzeitigem Kenntnisstand habe das Mädchen in den sieben Jahren außer zur Mutter und den beiden Großeltern zu keinem anderen Menschen Kontakt gehabt. Derzeit ist dieser abgeschnitten: „Das Familiengericht hat das Jugendamt zum Ergänzungspfleger gemacht. Beide Eltern, also die Mutter und auch der Vater, haben weiterhin ein eingeschränktes Umgangsrecht, aber derzeit wird kein Kontakt ermöglicht“.
Ganz zentraler Punkt bei allen weiteren Verfahrensschritten sei das Wohlergehen des Kindes, daher sei dieses auch bei einer Pflegefamilie außerhalb des Kreises Olpe untergebracht. Rein rechtlich greife nun die Schulpflicht, „aber bevor es soweit ist, muss ganz schonend geprüft werden, wie weit das Mädchen in seiner Entwicklung ist und wie eine Beschulung irgendwann einmal erfolgen kann“. Auch hier gelte, dass das Wohlergehen des Mädchens die erste Rolle spielt.