Attendorn. Die Volksbank Bigge-Lenne wird ein großes Baugebiet in Petersburg entwickeln und auf den Markt bringen. Was die Genossenschaftsbank antreibt.
Die Volksbank Bigge-Lenne wird im Attendorner Ortsteil Petersburg ein neues Baugebiet entwickeln und auf den Markt bringen. Das steht nach einem Ratsbeschluss, der in nicht-öffentlicher Sitzung zuletzt für großen Streit zwischen Befürwortern und Kritikern gesorgt hat, fest. Die Stadt wird nun einen städtebaulichen Vertrag mit der Bank ausarbeiten. Wir haben mit Folkert Matrose, Bereichsleiter Unternehmensentwicklung bei der Genossenschaftsbank, ausführlich über das Großprojekt gesprochen.
Warum ist es für die Volksbank so lukrativ, ein neues Baugebiet in Petersburg zu entwickeln?
In den vergangenen Jahren hat sich die Bankenwelt stark gewandelt. Mit Geld lässt sich kaum noch Geld verdienen. Deshalb haben wir vor Jahren damit begonnen, neue Geschäftsfelder zu erschließen. Der Leitgedanke dabei: wie können wir noch relevanter im Leben der Menschen und unserer Kunden werden. Das Thema „Bauen und Wohnen“ ist hier naheliegend und deshalb haben wir unser Portfolio hierzu ständig erweitert. Wir haben bereits verschiedene Wohnbaugebiete in Kooperation mit den jeweiligen Kommunen entwickelt und vermarktet. Die Erschließung und Vermarktung von Gewerbegebieten gehört ebenfalls zu unserem Leistungskatalog. Das immer drängendere Thema „Wohnen im Alter“ haben wir vor Jahren identifiziert und mit dem WohnGut Saalhausen unsere erste Einrichtung eröffnet. Mit dem Baugebiet Petersburg möchten wir Bauwilligen helfen, sich ihren Wunsch nach einem Eigenheim zu erfüllen. Es ist bekannt, dass im entstehenden Baugebiet in Neu-Listernohl die Nachfrage das Angebot um ein Vielfaches übersteigt und das neue Gewerbegebiet Fernholte weiter Nachfrage erzeugen wird. Wir sind daher den politischen Vertretern der Stadt für ihre weitsichtige Entscheidung dankbar und möchten die Stadt dabei unterstützen, möglichst zügig neue Wohnbauflächen zu entwickeln. Natürlich muss sich ein solches Projekt wirtschaftlich tragen. Deshalb haben wir ein Vermarktungskonzept entwickelt, das die Interessen beider Partner angemessen berücksichtigt.
Sie planen in drei Bauabschnitten mit rund 75 Baugrundstücken. Bis wann sollen diese auf dem Markt sein?
Wir stehen praktisch in den Startlöchern, alle Planungen und Kalkulationen sind auf unserer Seite nahezu abgeschlossen. Dies betrifft zunächst die Bauabschnitte eins und zwei mit rund sechs bis neun bzw. 27 bis 35 Baugrundstücken, abhängig von der Aufteilung nach Ein-, Reihen- und Mehrfamilienhäusern. Sobald die Stadt Baurecht geschaffen hat, könnte die Baureifmachung beginnen. Auch unter Berücksichtigung der notwendigen Beteiligungsverfahren und einzuhaltenden Auslegungsfristen ist es möglich, mit den Erschließungsarbeiten Mitte 2023 zu beginnen. Die ersten Häuser könnten in 2024 gebaut werden.
Gerade der dritte Bauabschnitt für rund 35 Grundstücke ist knifflig: Die vorgesehene Fläche ist im Flächennutzungsplan der Stadt noch gar nicht für Wohnbauzwecke ausgewiesen. Bis wann wird das geschehen?
Diese Fläche ist tatsächlich nicht im Regionalplan als zukünftige Baufläche ausgewiesen. Da die Verringerung der Flächenversiegelung die übergeordnete politische Leitidee ist, wird es nicht einfach werden. Aber diese Fläche drängt sich doch aus mehreren Gründen für eine Entwicklung auf: Sie schafft den Lückenschluss zwischen dem Baugebiet Petersburg und Neu-Listernohl-Nord. Zum anderen zeichnet sie sich durch die räumliche Nähe zum Stadtzentrum und zum zukünftigen Gewerbebiet Fernholte aus. Die Anbindung an die L 512 sowie an die Ihnestraße/L 539 sowie die fußläufige Erreichbarkeit der Bigge macht diese Wohnlage hochattraktiv. Um diese Fläche jedoch erschließen zu können, ist neben dem politischen Willen und der Unterstützung der Stadtverwaltung die Bezirksregierung Arnsberg Teil der Entscheidungsfindung. Wir gehen davon aus, dass möglicherweise über die Herausnahme einer anderen, bisher im Flächennutzungsplan ausgewiesenen, vielleicht höherpreisigen Fläche im Austausch nachgedacht werden muss. Aber das ist eine politische Entscheidung.
Wie teuer wird der Quadratmeter im neuen Baugebiet in Petersburg?
Da wir das Projekt vollständig geplant und durchkalkuliert haben, können wir den durchschnittlichen Verkaufspreis je Quadratmeter sehr genau bestimmen, mit dem Stand vor Kriegsausbruch. Wir sind bereit, diesen in dem städtebaulichen Vertrag festzuschreiben. Aktuell liegt der Preis auf dem Niveau, das schon vor vielen Jahren an anderer Stelle gezahlt wurde. Konkret zum Beispiel ab 2016 in Biekhofen. Und er liegt deutlich unter den heute aufgerufenen Preisen in Ennest. Allerdings, und das sage ich offen und ehrlich, macht nicht nur uns die Preisentwicklung, die schon im vergangenen Jahr begann und nach dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine noch einmal um rund 30 Prozent zugelegt hat, Sorgen. Deshalb muss der städtebauliche Vertrag auch eine Preisindexierung beinhalten. Heißt: Wir werden die späteren Ausschreibungsergebnisse mit unseren kalkulierten Preisen vergleichen und notwendigenfalls anpassen müssen. Aber: Wir verpflichten uns, mögliche Preissenkungen weiterzugeben.
Bekanntlich gab es einen politischen Streit über die Preisgestaltung, vor allem über die Orientierung am Bodenrichtwert. Wie stehen Sie dazu?
Zunächst: Wir können das Ansinnen der Stadtverwaltung und Politik nachvollziehen, preisdämpfend wirken zu wollen, um möglichst vielen Menschen den Traum vom Eigenheim zu ermöglichen. Aber die Idee, alleine über die Orientierung am Bodenrichtwert regulierend eingreifen zu wollen, wird in der Realität nicht aufgehen. Denn grob gesagt: Bodenrichtwerte bilden die Vergangenheit ab, weil sich der festlegende Gutachterausschuss an den Verkaufsfällen der Vorjahre orientiert. In Petersburg hat es seit über zehn Jahren keine derartigen Verkaufsfälle mehr gegeben, weshalb der Bodenrichtwert aktuell bei 110 Euro/Quadratmeter liegt. Für diesen Preis kann heute niemand, auch die Stadt Attendorn nicht, das Baugebiet erschließen.
Wieso nicht?
Vereinfacht ausgedrückt, besteht der spätere Verkaufspreis aus zwei Komponenten: Dem Rohbaulandpreis, also dem Preis, den man dem Eigentümer des Grundstücks zahlt, und den Erschließungskosten. Letzteres sind sämtliche Kosten, die im Zuge der Entwicklung anfallen – also Ingenieurleistungen, Kosten für Tiefbau, ökologische Ausgleichsmaßnahmen, Bauleitung etc. – die Erschließungskosten, auf die der Projektentwickler keinen nennenswerten Einfluss hat. Der Durchschnittspreis für Rohbauland im Kreis Olpe lag 2021 laut Grundstücksmarktbericht bei 35 Euro pro Quadratmeter. Ziehen Sie diesen Betrag von dem Bodenrichtwert für Petersburg ab, verbleiben 75 Euro für die gesamte Erschließung. Da das aber nur einen Teil der tatsächlich anfallenden Kosten deckt, müssten Verluste in Kauf genommen werden, was unternehmerisch nicht zu verantworten wäre. Und noch eines: Die gesamte Infrastruktur des Baugebietes wie etwa Straßen und Kanal sowie die rund 900 Quadratmeter große von uns vorgesehene Begegnungsfläche mitten im Gebiet wird von uns nach Abschluss kostenlos an die Stadt Attendorn übergeben. Auch diese Kosten müssen natürlich über den Verkaufspreis mitfinanziert werden. Wir haben der Stadt angeboten, uns diese Infrastruktur abzukaufen, damit wir den Verkaufspreis pro Quadratmeter entsprechend senken können. Dies ist aber wohl unüblich und wurde daher abgelehnt.
Sie haben ein Gutachter beauftragt, der sagt: Mindestens 160 Euro/Quadratmeter sind in Zukunft maßgeblich. Wer wird sich in Petersburg ein Grundstück leisten können?
Wir haben den Gutachter, übrigens den einzigen öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen für die Bewertung bebauter und unbebauter Grundstücke im Kreis Olpe, kurzfristig gebeten, eine Einschätzung zu Bodenrichtwerten und der Entwicklung von Wohnbaulandpreisen für Grundstücksflächen abzugeben, weil wir den Verantwortlichen im Rathaus vor der entscheidenden Ratssitzung noch eine objektive unabhängige Meinung an die Hand geben wollten. Seine Bewertung zeigt, dass sich die Marktpreise inzwischen auch in Petersburg weiterentwickelt haben und Bodenrichtwerte nicht das aktuelle Marktgeschehen abbilden können. Die Frage, wer sich zukünftig noch ein Eigenheim leisten können wird, ist angesichts der Preisentwicklungen einerseits sowie der Zinsentwicklungen andererseits mehr als berechtigt. Bedenken Sie aber, dass sich der Anteil des Grundstücks an den Gesamtkosten des Hausbaus irgendwo zwischen 15 und 20 Prozent bewegt. Die steigenden Baukosten sind das eigentliche Problem. Um dennoch einen dämpfenden Einfluss auf die Baukosten zu realisieren, haben wir in unser Erschließungskonzept verschiedene soziale Komponenten eingebaut: kostenoptimierte Grundstücksgrößen binden weniger Kapital des Bauherrn und 40 Prozent der Grundstücke werden an bevorrechtigte Personenkreise, die die Politik festlegt, zu Sonderkonditionen vergeben. Diese Kombination aus optimierter Fläche und vergünstigtem Quadratmeter-Preis wird zu einer wirksamen Entlastung der Bauwilligen führen. Die Vergünstigung von einem Teil der Gesamtfläche führt natürlich dazu, dass ein anderer Teil der Fläche einen etwas höheren Preis zahlen muss, um Kostendeckung zu erzielen. Im Durchschnitt ergibt sich dadurch das angesprochene Quadratmeter-Preisniveau.
Welche Rückmeldungen aus der Attendorner Bevölkerung, vor allem aber aus der Industrie, bekommen Sie auf Ihr Vorhaben, in Petersburg mehr als 70 neue Bauplätze zu schaffen?
Es wird begrüßt, dass wir uns als regionale Genossenschaft an der Entwicklung der Stadt beteiligen möchten. Viele, die in Neu-Listernohl nicht zum Zuge gekommen sind, hoffen jetzt auf ein Grundstück in Petersburg. Und die Bedeutung des Projektes für die Stadt und die heimische Industrie hat Arndt Kirchhoff dem Bürgermeister bereits im Februar in einem Schreiben dargelegt. Darin weist er unter anderem darauf hin, dass zentralörtliche Wohngebiete insbesondere für junge Menschen attraktiver sind, was die Mitarbeitergewinnung der Unternehmen positiv unterstützen wird und dass sich ein Wohngebiet in unmittelbarer Nähe der Innenstadt durch den damit verbundenen Kaufkraftzufluss positiv auf die zentralörtlichen Dienstleistungs-, gastronomischen und Einzelhandelsangebote auswirken wird.
Wie können Sie das Projekt eigentlich umsetzen, wenn Ihre Kernkompetenz doch im Bankwesen und nicht im Bauplanungsrecht liegt?
Auch wenn wir inzwischen über umfangreiches Erfahrungswissen verfügen, wie ich bereits ausgeführt habe, werden wir uns ergänzendes Know-how natürlich über die entsprechenden privaten Planungs- und Ingenieurbüros zusätzlich beschaffen, wobei diese Kosten bereits eingepreist sind. Dies entlastet im Übrigen massiv die Verwaltung, die diese teilweise zeitintensiven Dinge ansonsten selbst erarbeiten müsste, und sich so ausschließlich auf die Abstimmung und Kontrolle der Verfahrensschritte beschränken kann.
Wie geht es jetzt weiter?
Der politische Auftrag lautet, zunächst einen städtebaulichen Vertrag zu verhandeln, auf dem das weitere Verfahren dann fußt. Da die Politik diesen Vertragsentwurf in der ersten Sitzung nach der Sommerpause beraten möchte, haben wir vorgearbeitet und der Verwaltung in dieser Woche einen ersten Entwurf als Gesprächsgrundlage zukommen lassen. Nun warten wir auf die Einladung ins Rathaus.
+++ Zur Person +++
Folkert Matrose ist 44 Jahre, verheiratet und Vater einer elfjährigen Tochter. Er wohnt in Kirchhundem und kommt gebürtig aus Saalhausen. Matrose machte sein Abitur am Gymnasium Maria-König, danach folgte die Wehrpflicht, ehe er im August 1998 eine Banklehre bei der damaligen Volksbank Hundem-Lenne in Kirchhundem begann. Weitere Stationen waren ein berufsbegleitendes BWL-Studium, rund acht Jahre Kreditgeschäft zunächst im privaten und zuletzt im Firmenkreditgeschäft und neun Jahre Interne Revision. Seit 2017 ist er Bereichsleiter Unternehmensentwicklung, Prokurist und leitender Angestellter der Bank. Seit 2019 ist er Geschäftsführer von drei bankeigenen Tochtergesellschaften.