Attendorn. Die Ankündigung des Erzbistums Paderborn, das Tagesinternat im Collegium Bernardinum zu schließen, löst eine Welle der Enttäuschung aus.
Mit einer gehörigen Portion Wut im Bauch und großer Trauer reagieren Mitarbeiter sowie Schüler und deren Eltern auf die Ankündigung des Erzbistums Paderborn, dass das Tagesinternat im Collegium Bernardinum am Nordwall in Attendorn nach dem Schuljahr 2022/23, also im Sommer nächsten Jahres, geschlossen wird. Von diesem Plan wusste das eigene Personal nichts. In einer Pressemitteilung nennt der kirchliche Träger aus Ostwestfalen strategische und finanzielle Gründe für seine Entscheidung. So wolle das Erzbistum seine Bemühungen vor allem auf die beiden St.-Ursula-Schulen konzentrieren und dort 15 Millionen Euro investieren – unter anderem für den Bau einer neuen Mensa.
Gute Küche: Mehr als 300 Essen kommen täglich aus dem Konvikt
Für seine gute Küche war das Collegium bekannt. Mit über 300 Essen täglich wurden nicht nur die Anwesenden im Konvikt, sondern auch vier Kindergärten und drei Schulen in Attendorn versorgt. In der Zeit des letzten Lockdowns hatte das Konvikt nicht geschlossen und die Schüler wurden in kleinen Gruppen unterrichtet. Im letzten Jahr sind auch Investitionen in das denkmalgeschützte Haus geflossen, unter anderem richtete man einen Begegnungsraum ein. Das Collegium Bernardinum wurde vor rund 135 Jahren durch den Attendorner Pfarrer Bernard Pielsticker deklariert.Was aus dem Gebäude, das auch die Kirche nutzt, nun wird, sei noch nicht geklärt, so das Erzbistum. In Kürze solle ein Wertgutachten erstellt werden. Bekannt sei, dass das Gebäude bei Weiterführung der bisherigen Nutzung aufwändig zu sanieren wäre. Es bliebe dennoch viel zu groß.
Deshalb stand den 30 Mitarbeitern in der vergangenen Woche der Schock im Gesicht, als ihnen der Leiter des Bereichs Schule und Hochschule im Erzbischöflichen Generalvikariat (EGV), Monsignore Joachim Göbel, sowie der Leiter Personal und Verwaltung im EGV, Frank Rosenberger, das bevorstehende Aus überbrachten. Es flossen Tränen, eine Mitarbeiterin brach gar zusammen. Ein Sozialarbeiter, der vor Jahren nach Attendorn zog, als das Erzbischöfliche Konvikt in Werl geschlossen wurde, erlebt jetzt die zweite Schließung und muss sich wie seine Kollegen einen neuen Job suchen.
Seit elf Jahren im Konvikt
Die kommissarische Leiterin Annette Hermes, die auf Präses Michael Lütkevedder gefolgt ist (er hat eine Pastorstelle in Attendorn übernommen), ist fassungslos: „Es gibt nie den richtigen Zeitpunkt. Aber es gibt immer einen richtigen Weg. Das ist jetzt nicht der, der jetzt gegangen wird.“ Hermes, seit elf Jahren im Konvikt, hatte erst im Januar die kommissarische Leitung übernommen und sich in den vergangenen Jahren vor allem um die Integration der Flüchtlinge bemüht. Auch Ellen Möncks, die als Pädagogin die älteren Kinder bis zur zehnten Klasse betreut, resümiert: „Nach dem ersten Satz wussten alle, was los war. Wir waren in einer regelrechten Schockstarre.“
Im Gespräch mit dieser Redaktion berichtet sie über die nicht immer leichte Arbeit mit den unbegleiteten jugendlichen Flüchtlingen, die im Haus ab 2015 untergekommen waren. „Das war harte Arbeit. Wir haben unsere privaten Möglichkeiten genutzt, denn die jungen Menschen suchten nach dem Schulabschluss eine eigene Wohnung, einen Ausbildungsplatz oder gingen zum Studium.“
„Volles Haus“ mit 80 Schülern
Kerstin Schulte-Druck, die sich im Collegium um die jüngsten Tagesschüler kümmert und selbst zwei Kinder in der Grundschule hat, bedauert: „Den Kindern nimmt man die Chance auf Bildung, soziale Kompetenz und Struktur im Alltag. Ich habe schon viel erlebt, aber schlimmer geht immer.“ Genauso wie alle anderen war auch Pädagogin Tanja Voss fest davon ausgegangen, dass das Tagesinternat bestehen bleibt. Für sie ist die Entscheidung umso unverständlicher, da derzeit ein „volles Haus“ mit 80 Schülerinnen und Schülern vorhanden sei. Immerhin sicherte das Erzbistum den betroffenen Mitarbeitern Unterstützung bei der Suche nach neuen Arbeitsplätzen zu.
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Im Übrigen hatte das Erzbistum erst im Sommer 2020 verkündet, dass der Wohnbetrieb im Internat zwar mittelfristig aufgegeben werden solle, dafür aber „der Betrieb der Tagesbetreuungsangebote für Schülerinnen und Schüler (...) dauerhaft und uneingeschränkt weitergeführt und das Tagesinternat weiter ausgebaut werden“ sollten, erklärte Paderborn im Juni 2020 in einer Mitteilung. Doch von dieser Ausrichtung ist der Träger in der Zwischenzeit abgerückt, weshalb nicht nur die Mitarbeiter, sondern auch die betroffenen Eltern Sturm laufen. Zumal sie erst aus der Presse von der für sie so unschönen Entwicklung erfuhren. Elisabeth Schlüter, deren Sohn (15) und Tochter (13) das Rivius besuchen und nach dem Unterricht ins Tagesinternat gehen, wirft dem Erzbistum Paderborn gar die Verbreitung von Unwahrheiten und eine „bodenlose Lügerei“ vor: „Wir werden bewusst getäuscht. Das ist Augenwischerei“, sagt sie stellvertretenden für die vielen anderen betroffenen Eltern.
Falsche Zahlen genannt?
Die aufgewühlte Mutter aus Attendorn wirft dem Träger unter anderem vor, falsche Schülerzahlen in der Pressemitteilung genannt zu haben. Denn nicht nur 60 Schülerinnen und Schüler, wie in der Mitteilung behauptet, würden in das Tagesinternat gehen, sondern 80. Und 15 weitere Interessenten seien auf einer Warteliste vermerkt. Schlüter weist zudem auf einen vom Erzbistum selbst genannten Bestandsschutz des Internates bis zum Jahr 2027 hin, von dem wenige Kinder noch betroffen seien.
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Ihre eigenen Kinder waren ebenso fassungslos. „Meine Tochter saß neben mir im Auto, als wir die Nachricht erhielten. Sie hat sofort geweint. Genauso wie mein Sohn, dem doch versprochen worden war, dass er bis zu seinem Abitur das Tagesinternat besuchen darf.“ Schlüters Wunsch: „Wir möchten, dass unsere Kinder auch in Zukunft eine vernünftige Anschlussbetreuung bekommen.“ Denn im Tagesinternat würde hervorragend geschultes Personal die Kinder unterstützen. Möglicherweise ließe sich ein Förderverein gründen oder aber die Unternehmen aus der Hansestadt tun sich zusammen. „Wir brauchen jetzt schnellstmöglich einen neuen Träger.“ Bei einer solchen Vermittlung wolle die Stadt auch helfen, verspricht Bürgermeister Christian Pospischil (SPD).
Von einer Bereicherung der pädagogischen Arbeit spricht auch Markus Ratajski, Leiter des St.-Ursula-Gymnasiums, mit Blick auf das Tagesinternat, das von einem Teil seiner Schüler besucht wird. „Ich schätze die Arbeit dort sehr und natürlich fängt nun auch für uns die traurige Situation des Abschiednehmens an.“ Zudem werde sich die Schule – genauso wie Realschule und Rivius – mit der Frage auseinandersetzen, wie man das im Internat wegfallende, pädagogisch wertvolle Angebot auffangen könne.