Rönkhausen. Nadine Böer (36) aus Rönkhausen leidet an Endometriose. Die Ärzte brauchen 20 Jahre für die Diagnose. Heilung gibt es nicht – aber Unverständnis.

Die Krämpfe kommen jeden Monat. Die Schmerzen vom Unterbauch strahlen in den Rücken, in die Beine, in die Füße. „Oft fällt mir dann das Gehen schwer“, sagt Nadine Böer (36) aus Rönkhausen. Alles begann, als bei der damals 16-Jährigen zum ersten Mal die Periode einsetzte. Menstruationsbeschwerden seien normal, wurde ihr gesagt. Normal fühlt es sich für Nadine Böer aber nie an. Ärzte und Familie suggerierten ihr 20 Jahre lang, dass mit ihr körperlich alles in Ordnung sei. Bis zum Mai 2021. Bei einer Bauchspiegelung im Lennestädter Krankenhaus entdeckt ein Gynäkologe die Ursache für ihre Schmerzen: Ansiedlungen von Gewebe an der Bauchwand und über der Blase. Die Diagnose: Endometriose.

+++ Lesen Sie auch: Bitter für Olpe: Das „Café con leche“ schließt die Pforten +++

Nach der Erleichterung kommt Angst, Wut und Frustration

„Ich war froh, als ich endlich eine Diagnose hatte. Es war eine Erleichterung, weil ich in all den Jahren glaubte, verrückt zu werden“, erinnert sich Nadine Böer. „Gleichzeitig hatte ich Angst, war wütend und frustriert. Weil es so viele Jahre von so vielen Ärzten unentdeckt blieb.“ Ihr damaliger Frauenarzt verschrieb ihr mit 16 Jahren die Pille. Die sollte den Zyklus regulieren und die Schmerzen reduzieren. Geholfen hatte das nicht. „Im Gegenteil: Ich hatte das Gefühl, dass es mir eher schlechter ging, vor allem bei der Verdauung und beim Wasserlassen“, erzählt Böer. Nach etwa sechs Jahren, in denen sie verschiedene Pillenpräparate verschrieben bekam, setzte sie die hormonellen Medikamente ganz ab.

Weil die Schmerzen rund um den Eisprung nicht aufhörten und die starken Blutungen zum Teil zwei Wochen andauerten, ging Böer zu verschiedenen Ärzten. Zum Hausarzt, zum Orthopäden, zum Urologen, zum Neurologen, wieder zum Frauenarzt. „Ich fühlte mich wie ein Ping-Pong-Ball“, sagt sie rückblickend. Zu den erschöpfenden Unterleibsschmerzen kamen Migräneanfälle hinzu. Doch keiner konnte die Ursache für ihre Leiden feststellen. Im Mai 2021 blähte sich ihr Bauch schließlich unnatürlich auf. Böer hatte schon davor bemerkt, dass sie Lactose und Gluten nicht mehr gut vertrug. Und obwohl sie weitestgehend darauf verzichtete, veränderte sich an ihrem Bauch nichts. Sie ging wieder zum Hausarzt und wurde schließlich ans Krankenhaus für eine Bauchspiegelung überwiesen. Verdacht auf eine Blinddarmentzündung. An dem Blinddarm wurde nichts gefunden – dafür entdeckte der Gynäkologe schließlich die gebärmutterähnlichen Gewebewucherungen im Bauchraum. Der Grund für Nadine Böers Schmerzen. Sie war nicht verrückt. War es nie.

+++ Lesen Sie auch: Kreis Olpe: Erste Apotheken starten mit der Corona-Impfung +++

„Endometriose-Herde“ müssen operativ entfernt werden

Das Gewebe, die sogenannten „Endometriose-Herde“, mussten operativ entfernt werden. Geheilt ist Böer dadurch jedoch nicht. Denn neue Endometriose-Herde können jederzeit wieder entstehen. Das Gewebe verhält sich wie Gebärmutterschleimhaut: In der ersten Hälfte des Monatszyklus wachsen sie heran und werden am Ende wieder abgestoßen. Das abgelöste Gewebe der Endometriose-Herde kann aber aus dem Bauchraum nicht abfließen wie eine Regelblutung. Bei vielen Frauen entfernt der Körper Gewebe und Blut zwar unbemerkt und folgenlos. Bei anderen führen die Gewebereste jedoch zu Verklebungen, Entzündungen und Zysten.

Weil Böers Endometriose 20 Jahre lang unentdeckt blieb, haben sich die Schmerzen chronifiziert. „Viele meiner Symptome sind zyklusunabhängig. Die Schmerzen deuten sich nicht an, sondern können von jetzt auf gleichkommen“, erzählt die 36-Jährige. Spontan mit Freundinnen verabreden: undenkbar. Sie muss Treffen planen und dann eventuell doch absagen, wenn die Schmerzen sie vereinnahmen. Bei der Arbeit hat sie sich versetzen lassen, ist jetzt nicht mehr Pflegekraft auf der Normalstation im St.-Martinus-Hospital Olpe, sondern Kodierfachkraft bei der KHS. Wenn die Schmerzschübe, die bis zu einer Woche andauern können, zu stark werden, muss sie sich krankschreiben lassen. „Dadurch hat man natürlich ein schlechtes Gewissen dem Arbeitgeber gegenüber. Man macht sich zusätzlich Druck, was die Beschwerden aber nur noch stärker macht“, sagt Böer.

+++ Lesen Sie auch: Riesige Hanf-Plantage in Olpe: Duo am Landgericht angeklagt +++

Die 36-Jährige hat sich gegen eine hormonelle und für eine natürliche Behandlung entschieden. Dazu gehört viszerale Osteopathie, bei der durch Dehnübungen und Massage Verklebungen gelöst werden sollen. Sie macht regelmäßig spezielle Yoga-Übungen, die bei Endometriosen-Leiden helfen sollen. Bei akuten Schmerzen nutzt sie ein sogenanntes TENS-Gerät; das löst per Elektrode auf der Schmerzstelle elektromagnetische Impulse aus, die krampflösend wirken. Zwei Mal im Jahr macht sie außerdem eine Probiotika-Darmaufbaukur. Die Schmerzen sind dadurch nicht verschwunden. „Aber mir hat es geholfen, mich bewusster wahrzunehmen und in solchen Momenten mir und meinem Körper etwas Gutes zu tun“, so Böer. Ein gesundes Körpergefühl fehlte ihr nämlich all die Jahre vorher.

Petition „EndEndosilence“ richtet sich an Gesundheitsminister Lauterbach

Ihren langjährigen Frauenarzt hat Böer gewechselt. Sie ist jetzt Patientin bei Dr. Gabriela Petcu in Finnentrop, die für das Krankheitsbild „Endometriose“ sensibilisiert ist. „Sie nimmt sich bei den Terminen immer viel Zeit für mich und ist empathisch. Dafür bin ich sehr dankbar“, meint Böer. Selbstverständlich ist das nicht. Denn in Deutschland wird Endometriose nicht als lebenseinschränkende Krankheit anerkannt. Das soll sich mit der Petition „EndEndosilence“ von der 19-jährigen Theresia Crone ändern. Darin fordert sie Gesundheitsminister Karl Lauterbach auf, für Gleichberechtigung im Gesundheitssystem zu sorgen. Es soll eine „Nationale Strategie Endometriose“ geben, mit einer bundesweiten Aufklärungskampagne sowie mehr Fördergelder für die Forschung. Bislang haben knapp 96.000 Unterstützerinnen und Unterstützer unterschrieben.

+++ Lesen Sie auch: Wenden: Christina Gleibs schließt ihr Geschäft „Aufgemöbelt“ +++

„Es ist gut und wichtig, dass viele Frauen jetzt laut werden“, meint Böer. Dass „Endo-Frauen“ als chronisch Erkrankte anerkannt werden und sich dadurch auch etwas im Arbeitsrecht ändert. „Denn ich habe von vielen Frauen gelesen, die wegen ihrer Fehltage gekündigt wurden“, so Böer. Das Thema müsse mehr Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit bekommen, um besser aufzuklären. Frauen, aber auch Mediziner. Um das Leiden nicht weiter zu bagatellisieren.

>>> KOSTENLOSE BERATUNGEN FÜR BETROFFENE UND ANGEHÖRIGE

  • Nach der Diagnose hat sich Nadine Böer Unterstützung bei der Endometriose-Vereinigung Deutschland geholt.
  • Dort gibt es mehr Informationen zum Krankheitsbild, aber auch kostenlose Beratungen für Betroffene und Angehörige.
  • Mehr Eindrücke unter www.endometriose-vereinigung.de