Herdecke. Größte Demonstration der Stadtgeschichte: Am Kampsträter Platz zeigen Hunderte Flagge. Teils kreativ werben sie für Vielfalt (mit vielen Fotos).
Zunächst eine historische Einordnung. Am 3. Februar 2024 erlebte Herdecke die größte Demonstration in der Stadtgeschichte. Ob es nun, wie von der Polizei geschildert, knapp 700 oder laut Veranstalter rund 1000 Teilnehmende waren – auf dem Kampsträter Platz war quasi jeder Quadratzentimeter besetzt. Dort sowie an der Wetter- und Hauptstraße hatten sich am Samstagvormittag viele aus der vermeintlichen Mitte der Gesellschaft zusammengefunden. Kreativ, emotional und eindeutig ging von dieser Kundgebung die Botschaft aus: kein Platz für Rechtsextremismus! Wobei viele mit teils spitzfindigen Protestbotschaften gegen die AfD protestierten.
„Herdecke steht auf“: Bilder zur Demo am Kampsträter Platz
Das Aktionsbündnis „Herdecke steht auf - Für Vielfalt und Demokratie“ hatte innerhalb weniger Tage eine Versammlung organisiert, die auch viele aus Wetter oder genauer Volmarstein (auf Plakaten gut zu erkennen) anlockte. Diese ehrenamtlichen Akteure als Veranstalter und alle Teilnehmenden erhielten sowohl ein lautes Lob als auch ein dickes Dankeschön in der Antrittsrede der Bürgermeisterin. Wobei Katja Strauss-Köster selbst für einen Gänsehaut-Moment sorgte: Als sie kurz nach 11 Uhr die Menge begrüßen wollte, kämpfte sie angesichts der überwältigenden Resonanz gerührt mit den Tränen.
Herdecke profitiert von Vielfalt
Als sich ihre Stimme stabilisiert („Ich war selten so aufgeregt wie heute“) hatte, sprach Strauss-Köster von Herdecke als vermeintliche „Insel der Glückseligen“. Doch auch in der Stadt an den Ruhrseen sorgen Menschen mit Migrationshintergrund beispielsweise für ein vielfältiges Geschäftsumfeld. Ohne diese Mitbürger wäre es hier nur halb so schön.
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Harald Müller bestätigte als einer von insgesamt acht Rednern den „überwältigenden“ und beeindruckenden Blick auf den Kampsträter Platz. Der CDU-Fraktionsvorsitzende schnappte sich durchaus aufgeregt das Mikro und gab den Tenor für weitere Wortbeiträge vor: „Wir müssen angesichts der Sorgen der Menschen in diesem Land besser zuhören und uns gegen Ausgrenzung einsetzen.“
Verantwortung übernehmen und keine Fehler wiederholen
Auch Nico Fischer (Die Partei) fühlte sich wie sein Vorredner im Sinne der älteren plus kommenden Generationen verantwortlich, jetzt aktiv zu werden und Antisemitismus zu bekämpfen. Zur Resonanz sagte der Herdecker: „Wahnsinn, wie viele heute hier sind.“ Wilhelm Huck von der FDP betonte unterdessen den Wohlstand und die demokratischen Werte in diesem Einwandererland, das von ausländischen Fachkräften profitiere, aber auch auf einen kontrollierten Zugang achten solle. „Wer unsere freiheitliche Ordnung nicht respektiert, muss Deutschland verlassen.“
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Der linksorientierte Lokalpolitiker Dieter Kempka sprach sich für ein AfD-Verbot aus. „Oder wählt sie ab!“ Seinen Beitrag dürften viele länger noch im Kopf haben, trug der 65-Jährige doch nach sehr langer Zeit mal wieder ein Gedicht vor. Und zwar jenes von dem farbigen Schauspieler Simon Pearce mit dem bezeichnenden Titel: „Bei Hitlers brennt noch Licht“. Die immer mehr aufkommende Nationalismus-Gefahr erinnere ihn sehr an die Nazi-Herrschaft, meinte Kempka und erhielt viel Applaus.
„Herdecke ist bunt und wird bunt bleiben“
Die Herdecker Fraktionsvorsitzenden von SPD und Grüne verzichteten zugunsten eines Duos auf ihre Reden. Stattdessen sagte die grüne Landtagsabgeordnete Verena Schäffer, dass ihr angesichts der vielfältigen Kundgebung das Herz aufgehe. Auch im NRW-Parlament trete die AfD immer radikaler auf und „ätzt offen gegen Minderheiten. Wir dürfen uns an Rassismus aber nicht gewöhnen und müssen uns im Alltag immer vor Betroffene stellen.“ Dass nun Tausende auf die Straßen gehen, gebe ihr Mut und Zuversicht. Der Kampf um Demokratie und Menschenwürde sei noch lange nicht verloren. „Herdecke ist bunt und wird bunt bleiben.“
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Viel Zuspruch bekam auch Axel Echeverria von der SPD bei seinem Aufruf zur Verteidigung der Demokratie. Der heimische Bundestagsabgeordnete, der die Kundgebung im Vorfeld mitorganisiert hatte, brachte beispielsweise seinen ausländischen Namen ins Spiel und erinnerte bei diesem Aufstand der Anständigen an Gastarbeiter wie seinen Vater. Die haben sich nicht nur gut integriert, sondern vieles hier aufgebaut. „Ohne sie wäre das Ruhrgebiet heute nicht das, was es ist.“ Der Sozialdemokrat, der um 11 Uhr auch die Begrüßung übernommen hatte, erinnerte an den Fußballer Leon Goretzka und seinen Aussage zur Herkunft: Auf die Frage zur Nationalität antworten die Menschen hier „mit Bochumer, Schalker oder Dortmunder“.
Ukrainerin liest Text vor
Emotional reagierten manche auch, als die Ukrainerin Natalia Klymchuk einige Worte an die Menge richtete. Nach dem Ausbruch des Krieges kam sie mit ihren Kindern hier in Herdecke bei Silke Edelmayer und Achim Neuhaus. Der hatte einen Text für sie geschrieben, in dem es unter anderen hieß: „1933 darf sich nicht wiederholen.“ Dem blieb nichts mehr hinzuzufügen, so dass der Sänger Moritz Ludwig mit seiner starken Stimme und Gitarrenbegleitung durch Nicola Neuberth die Kundgebung musikalisch beschließen konnte. Auch die Polizei, die angesichts des Andrangs die Hauptstraße für den Durchgangsverkehr abgesperrt hatte (Ausnahme Busse), zog zufrieden ein Fazit nach dem friedlichen wie fröhlichen Aufruf zu Menschlichkeit und Toleranz.