Herdecke. Geschichte in Zeiten des Kriegs: Willi Creutzenberg blickt mit Gästen am alten jüdischen Friedhof und im Stiftsplatz-Theater in die Vergangenheit

Kaum ein Thema polarisiert aktuell mehr als der Krieg in Israel. In Folge dessen häufen sich die Berichte über antisemitische Straftaten in Deutschland. Auch die jüdische Bevölkerung in Herdecke hatte einen steinigen Weg: Mal waren sie „Schutzjuden“, dann „Bürger, Verfolgte und Vergessene“, wie es im Untertitel eines Buches von Willi Creutzenberg heißt. Der frühere Geschichtslehrer am heimischen Gymnasium führte nun einige Gäste bei einem Streifzug durch die jüdische Geschichte in Herdecke.

Rund 20 Interessierte trafen sich mit Creutzenberg am alten jüdischen Friedhof an der Bahnhofstraße in Herdecke. Eine Anwohnerin aus der hiesigen Sally-Grünewald-Straße erzählte, dass sie gekommen sei, da sie sich auch wegen der Straße, in der sie wohnt, mehr mit der Familie Grünewald beschäftigt habe und vielleicht noch etwas über diese jüdische Familie aus Herdecke lernen könnte. Andere besuchten die Veranstaltung vermutlich auch wegen der aktuellen Brisanz der Thematik und dem damit verbundenen Interesse, mehr über das jüdische Leben hier zu erfahren.

Start am alten Friedhof

Creutzenberg richtete an der Bahnhofstraße einige Begrüßungsworte an die Teilnehmenden. Neben Sagen und Mythen über den alten Friedhof vermittelte der ehemalige Lehrer der Friedrich-Harkort-Schule spannende und für den einen oder anderen Herdecker sicher völlig neue Informationen. Der alte Friedhof sei beispielsweise um 1700 außerhalb von Herdecke gebaut worden. Innerhalb der Stadt habe es keine jüdischen Friedhöfe geben dürfen. Rund um die Kirchen, wo Christen ursprünglich ihre Friedhöfe hatten, sowieso nicht. Und so wurde klar, dass das Stück, welches heute unmittelbar an der Kern der Stadt Herdecke grenzt, um 1700 lediglich ein Feldweg darstellte, der nicht mehr zum Stadtgebiet gehört hatte. Die Stadtgrenze habe damals etwa auf Höhe von Haus Pfingsten bestanden, erklärte Creutzenberg.

Nach etwa 200 Jahren habe es auf dem alten Friedhof dann keinen Platz mehr für neue Bestattungen gegeben, aus diesem Grund setzte sich die damalige jüdische Bevölkerung in Herdecke dafür ein, auch einen Teil auf dem allgemeinen städtischen Friedhof an der Zeppelinstraße nutzen zu können. Für Creutzenberg ein wichtiger Schritt der Emanzipation bzw. Gleichberechtigung von Juden in Herdecke.

Fußmarsch ins Theater

Jüdische Emanzipation stellte einen Schwerpunkt des folgenden Vortrages im Theater am Stiftsplatz dar. Creutzenberg referierte in gewohnter Art und professioneller Manier aus den immensen Recherchen zu seinem Buch „Schutzjuden - Bürger - Verfolgte - Vergessene“, an dem er nach eigenen Aussagen vier Jahre lang arbeitete. Der pensionierte Lehrer kann auf ein riesiges Fachwissen zur Entwicklung jüdischen Lebens in Deutschland, aber auch in Herdecke und Wetter zurückgreifen. Berichte über die erste jüdische Familie, Generationsforschungen der jüdischen Gemeindemitglieder bis in die Neuzeit und nebenbei immer wieder auch charmante Information zur Stadt Herdecke – all diesen Informationen lauschten die Besucher bei gedimmter Beleuchtung gebannt.

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Aber auch viele Fragen, beispielsweise nach den sogenannten Schutzbriefen, welche jüdische Menschen damals benötigten, um in Herdecke offiziell leben zu dürfen, beantwortete der Fachmann routiniert. Nach diversen emanzipatorischen Erfolgen der jüdischen Bevölkerung, beispielsweise dem Absetzen verschiedener Sondersteuern für Juden oder eben dem Aussetzen der besagten Schutzbriefe vor dem 20. Jahrhundert, wurde aber natürlich auch über das dunkelste Kapitel jüdischen Lebens weltweit, aber auch in Herdecke gesprochen: von der Shoah beziehungsweise dem Holocaust.

Willi Creutzenberg leistet mit seiner Arbeit, so der Eindruck der Teilnehmenden, einen wichtigen Beitrag der Erinnerungsarbeit in Kombination mit der Vermittlung wertvoller Herdecker Stadtgeschichte.