Herdecke. Am 5. August 1821 wurde der Friedhof am Wienberg eingesegnet. 200 Jahre später lässt sich an der Zeppelinstraße Herdecker Geschichte aufzeigen.
Der Friedhof am Wienberg, so sein ursprünglicher Name, ist nicht der erste Friedhof in Herdecke. Schon das mittelalterliche Dorf Herricke hatte natürlich eine Ruhestätte. Diese lag wie in den meisten Orten um die jeweilige Kirche, im Falle Herdeckes an der Stiftskirche St. Marien. Im 18. Jahrhundert änderte sich vielerorts diese Tradition im Zusammenhang mit dem Wachstum der Städte, einer veränderten Begräbniskultur und – besonders wichtig – aus seuchenhygienischen Gründen. Im Zeichen der wachsenden Bedeutung der Wissenschaft und des aufgeklärten Absolutismus sollten Friedhöfe wegen der von ihnen ausgehenden gesundheitlichen Gefahren generell nicht mehr innerhalb der geschlossenen Wohnbebauung liegen.
Nach langem Widerstand gegen eine Verlegung erwarb die Stadt 1818 ein jenseits des Herdecker Baches am Wienberg gelegenes ca. 2500 Quadratmeter großes Grundstück. Dort entstand eine der typischen Friedhofsarchitektur des 19. Jahrhunderts entsprechende Friedhofsanlage in Kreuzform, also mit einem Haupt- und einem Querweg. Die Wege wurden mit Bäumen eingefasst. Am 5. August 1821, morgen vor 200 Jahren, fand die feierliche Einsegnung des neuen Friedhofs statt.
Immer wieder Erweiterungen
Das Herdecker Bürgertum deckte sich in der Folgezeit quasi auf Vorrat sehr schnell mit großzügigen Erbgruften ein, schon 1839 musste der Friedhof vergrößert werden. Der ersten Erweiterung folgten in den nächsten 100 Jahren immer wieder Vergrößerungen, so dass die heute charakteristische Terrassenform entstand. Von Beginn an war die seit dem 17. Jahrhundert in Herdecke ansässige Gärtnerei Hülsberg an der Entwicklung des Friedhofs maßgeblich beteiligt.
Feierliche Einsegnung vor 200 Jahren
Der Friedhof zwischen Wienbergweg und Zeppelinstraße ist der historische Friedhof in Herdecke und besteht seit 200 Jahren.Die beiden Gastautoren Creutzenberg (ehemaliger Geschichtslehrer in Herdecke) und Harder von der evangelischen Kirchengemeinde fordern: Trotz aller Zerstörung sollte die Örtlichkeit als würdevoller Friedhof und als Stätte der Besinnung, Erinnerung und Erholung erhalten werden.
Ein wichtiger Entwicklungsschritt war die Integration des jüdischen Friedhofs, nachdem der alte jüdische Friedhof an der Bahnhofstraße voll belegt war. 1891 fand die erste jüdische Beerdigung auf dem Friedhof am Wienberg statt. Das war ein starkes Symbol für die rechtliche Gleichstellung und Eingliederung der Juden in die Herdecker Gesellschaft. Tatsächlich währte diese Integration nicht sehr lange. Die letzte jüdische Beerdigung, das Begräbnis von Leopold Speyer, fand im August 1938 statt. Aufgrund der Verfolgung durch den NS-Staat verließen danach alle noch in Herdecke jüdischen Einwohner die Stadt.
Die nächste wichtige Veränderung für den Friedhof war die Einführung von Urnenbegräbnissen. Seitdem in Hagen ein Krematorium – übrigens das erste in ganz Preußen – in Betrieb genommen worden war, nahmen auch in Herdecke die Urnenbegräbnisse zu. So wurde 1929/30 am damals nördlichen Rand des Friedhofs eine für Herdecke typische Bruchsteinmauer gesetzt, in der Urnen Platz finden können. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde schließlich eine der sich ändernden Friedhofskultur angepasste Friedhofshalle mit Sargkammern errichtet. Bis dahin bestand an ungefähr gleicher Stelle eine kleine Friedhofskapelle, die als sogenanntes „Totenhaus“ diente. Dennoch wurden vor 1950 die Verstorbenen bis zur Beerdigung überwiegend im Haus aufgebahrt.
Besondere Grabwidmungen
Der Friedhof ist auch geprägt durch eine Reihe von Grabfeldern mit besonderer Widmung. Neben dem bereits erwähnten Grabfeld für die jüdischen Bürger in der südöstlichen Ecke des Friedhofs kamen bedingt durch die Weltkriege weitere Grabfelder hinzu. Zwar fanden die Kämpfe und Schlachten des Ersten Weltkriegs ausschließlich außerhalb der Reichsgrenzen statt. Auf dem Ehrengrabfeld für Opfer des Ersten Weltkriegs liegen daher nur wenige Herdecker Soldaten, die in Lazaretten in der näheren Umgebung verstorben sind, sowie Herdecker, die nach dem Krieg an den Folgen ihrer von Kriegsverletzungen gestorben sind.
Spuren des Zweiten Weltkriegs sind auf dem Friedhof am Wienberg stärker sichtbar. So sind auf einem Ehrengrabfeld unmittelbar angrenzend zu den jüdischen Gräbern 23 sowjetische Kriegsgefangene beerdigt, die infolge systematischer unmenschlicher Behandlung nach ihrer Gefangennahme an ihrem Einsatzort Herdecke gestorben sind. Sie waren zur Zwangsarbeit nach Herdecke geschafft worden. Heute gibt es am Grabfeld einen von der Sowjetunion unmittelbar nach dem Krieg aufgestellten Gedenkstein und eine 1989 aufgestellte Gedenkplatte für alle ausländischen Opfer der Zwangsarbeit in Herdecke. Zwei hier verstorbene französische Kriegsgefangene wurden übrigens nach dem Krieg vom französischen Staat auf einen Soldatenfriedhof in Frankreich umgebettet.
Ehrenfeld für Zwangsarbeiter
Auch für die Opfer unter den zivilen Zwangsarbeitern, die praktisch in jedem Herdecker Betrieb während des Krieges beschäftigt waren, gibt es ein Ehrenfeld auf der vorletzten Terrasse des Friedhofs. Dort liegen acht Zwangsarbeiter und vier Zwangsarbeiterinnen aus Polen, der Ukraine, Weißrussland und Russland, die entweder durch Krankheit oder durch Kriegswirkung in Herdecke verstorben sind. Der jüngste unter ihnen starb mit 16 Jahren, die älteste im Alter von 80 Jahren. Übrigens kam es auch hier zu Umbettungen. Verstorbene Zwangsarbeiter aus Belgien und Holland wurden nach dem Krieg in ihr Heimatland umgebettet.
Ein letztes Ehrengrabfeld liegt direkt daneben und besteht aus 36 Gräbern für zivile deutsche Opfer des Zweiten Weltkriegs, vornehmlich aus Herdecke. Es zeigt, dass der Angriffskrieg Deutschlands kurz vor dem Ende des Kriegs auch die Stadt Herdecke erreichte. Allein beim letzten Bombenangriff am 23. März 1945 auf den Herdecker Bahnhof starben 16 Einwohner, darunter sechs Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter. An eine weitere Folge des Krieges erinnert der weiter unten stehende Gedenkstein für die Toten in den ehemaligen deutschen Ostgebieten mit folgender Inschrift: „Den Toten unserer ostdeutschen Heimat“, vermutlich in den 1950er Jahren aufgestellt. Dieses als Mahnmal angelegte Denkmal ist heute eine Erinnerung an eine Epoche der Nachkriegsgeschichte.
Seit einem 1968 gefassten, später wieder rückgängig gemachten Beschluss, den Friedhof zu schließen, ist viel von der historischen Substanz zerstört worden. Dabei findet sich bei genauem Hinsehen Wichtiges und Interessantes aus der Herdecker und deutschen Geschichte.