Herdecke. Eine alte Postkarte erinnert an eine Familiengeschichte mit traurigem Ausgang aus Herdecke. 1901 war davon noch nichts zu ahnen.
120 Jahre alt ist diese Neujahrskarte aus dem Archiv von Willi Creutzenberg. Sie wurde am 30. Dezember 1901 von den Eheleuten Ernst und Clara Marx an ein befreundetes Ehepaar in Mönchengladbach geschickt. Die Karte, eine Lithographie aus dem Herdecker Verlag Heinrich Schnitzler, zeigt eine idealisierte Ansicht auf das kleine Städtchen Herdecke an der Ruhr. Gesondert gezeigt wird das 1896 errichtete und stadtbildprägende Gebäude des evangelischen (Volksschul-)Lehrerseminars.
Die Eheleute Marx betrieben dort, wo heute der Kampsträter Platz ist, in drei Häusern ein Manufakturwaren-, Konfektions- und Möbelgeschäft. Sie verfügten über ein stattliches Vermögen, Ernst Marx galt als Sammler von Kunst und Antiquitäten mit guten Beziehungen zu den Museen in Hagen und Dortmund. Als Mitglieder in der Kampsträter Nachbarschaft und in der Casino-Gesellschaft waren sie in der Herdecker Gesellschaft vernetzt und integriert.
Aber das Schicksal meinte es nicht gut mit der Familie, weiß der frühere Geschichtslehrer Willi Creutznberg: Ernst Marx starb 1920, gerade 51 Jahre alt. Zwei der Kinder folgten dem Vater rasch nach: 1924 starb der ältere Sohn Friedrich mit 24 Jahren, 1928 die einzige Tochter Charlotte im Alter von 25 Jahren. Alle drei wurden auf dem jüdischen Teil des Friedhofs an der Zeppelinstraße beerdigt.
Clara Marx führte das Geschäft noch bis 1932 weiter, dann verpachtete sie die Geschäfts- und Wohnhäuser und zog mit dem 27-jährigen Sohn Walter nach Hagen. In der nationalsozialistischen Zeit litt sie unter der zunehmenden Verfolgung. Der Chef der Hagener Museen, Dr. Brüns, verstand es, sich nach der Pogromnacht im November 1938 ihre Sammlung von Antiquitäten und Kunstobjekten weit unter Wert zu sichern. Im Juli 1942 wurde Clara Marx schließlich nach Theresienstadt deportiert, zwei Jahre später starb sie in den Gaskammern von Auschwitz. Ihr jüngster Sohn Walter war bereits im Mai 1942 im Vernichtungslager Kulmhof (Chelmno) ermordet worden.
Die ‚Enteignung der Clara Marx durch die Finanzbehörden und die Stadt Hagen‘ wird im gerade erschienenen ‚HagenBuch 2022‘ unter dem Titel „Die von der Jüdin Marx geschenkten Möbel befinden sich im Heimatmuseum“ detailliert dargestellt.