Herdecke/Wetter. Während die Stadt noch ein Ass im Ärmel hat, um weitere Geflüchtete unterzubringen, laufen die Unterkünfte in Herdecke absehbar voll.

Herdecke muss Stand Anfang September noch 112 Geflüchtete aufnehmen. 65 Unterbringungsplätze stehen Verfügung. „Wir laufen langsam voll“, sagt Kerstin Jakob, Leiterin des Sozialamtes. In Wetter sieht es etwas besser aus. Aber auch hier scheint es nur eine Frage der Zeit, bis auf zusätzliche Kapazitäten zurückgegriffen werden muss. Immerhin: Die Stadt hat noch Kapazitäten.

Zahlen sind schon wieder überholt

Gundula Conjaerts, Vorsitzende des Herdecker Sozialausschusses, kann sich noch gut an die Jahre 2015/2016 erinnern. „Da ging man aus der Sitzung raus, und die Zahlen stimmten schon nicht mehr.“ Das bliebe der Stadt, den Bürgern und Flüchtlingen dieses Mal hoffentlich erspart, ließt sie die Ausschussmitglieder wissen. Und musste sich von Kerstin Jakob auf den Boden der Tatsachen zurück holen lassen: „Diese Situation haben wir längst schon wieder.“

Kaum noch Luft

Mehrfach wöchentlich erfolgen Neuzuweisungen. Mitte der letzten Woche sah die Lage so aus: Voll oder fast voll sind die Gemeinschaftsunterkunft am Weg zum Poethen, die Mehrfamilienhäuser an der Berliner Straße, der Walkmühle oder Auf dem Brennen. Ebenso sieht es im Container am Ahlenberg aus. Richtig Luft ist nur im Container am Kalkheck. Von 72 Plätzen sind 21 belegt. Unter dem Strich heißt das: Von 258 Plätzen sind 186 belegt.

Rechnung geht nicht immer auf

Wetter zählt derzeit 499 Menschen in städtischen Unterkünften. Rein rechnerisch stehen noch 46 Plätze zur Verfügung. Aber nicht immer geht die Rechnung auf. Beispielsweise wenn eine Familie nicht ganz so groß ist wie eine Wohnung Menschen beherbergen könnte. In Wetter ist die Lage etwas anders als in Herdecke: Wetter hat seine Quote übererfüllt, Herdecke ist von einer 100-Prozent-Quote noch ordentlich entfernt. Weil aber keiner weiß, wie viele Menschen in den nächsten Wochen und Monaten in Deutschland Zuflucht suchen, wird auch in Wetter ein Puffer angestrebt.

Kommune wird überrannt

Beide Städte stehen mit möglicherweise bald erschöpften Kapazitäten nicht allein. Bettina Bothe, Beigeordnete fürs Soziale, spricht von einer enormen Herausforderung und stellt fest: „Wir werden als Kommune überrannt.“ Sie ist sicher: „Es wird zu weiteren Aufschreien in den Städten kommen.“ Eine Ursache dafür aus ihrer Sicht: Das Land hat von versprochenen 70.000 Plätzen in zentralen Unterbringungseinrichtungen nur 35.000 geschaffen.

Land hat die gleichen Probleme wie Kommunen

Mit der Frage der Redaktion konfrontiert, ob das Land hinter Zusagen zurück geblieben ist, kommt zumindest die ungefähre Bestätigung der jetzigen Plätze: Von insgesamt knapp 31.000 Plätzen des Landes in NRW würden gut 24.000 Plätze in Zentralen Unterbringungseinrichtungen gezählt. Zu möglicherweise weitergehenden Ankündigen sagt das Landesministerium, das auch für Flucht zuständig ist, nichts. Stattdessen sieht sich das Land bei der Suche nach Quartieren für Landeseinrichtungen vor die gleichen Probleme gestellt wie die Städte: „Es fehlen Wohnungen, freie Gebäude oder Liegenschaften, die kurzfristig hergerichtet werden können.“

Betreuung wird schwerer

„Wir werden diesen Menschen als Kommune dauerhaft nicht mehr Herr werden“, fürchtet Bettina Bothe. Das betrifft nicht nur die Unterbringungsmöglichkeiten. Auch die Betreuung fällt immer schwerer. Und: Es kommen immer mehr Menschen mit einer Bleibeperspektive, heißt es im Herdecker Sozialamt. Was aber tun, wenn damit zu rechnen ist, dass die meisten der Geflüchteten zunächst einmal bleiben wollen und dürfen? Was ist vom Land zu erwarten?

Ehrenamtliche stärker einbinden

Das Land verweist auf einen Sechs-Punkte-Plan. Von einem erweiterten Kommunikationskonzept zur frühzeitigen Einbindungen der Kommunen und Anwohner ist darin unter anderem die Rede, von Infomaterial und dem Einsatz von Mediatoren, dazu von einer stärkeren Einbindung der Ehrenamtsstruktur. Wo sich Land und Städte in der Einschätzung einig sind: Auf Turnhallen soll möglichst als Notquartier für Flüchtlinge nicht zurück gegriffen werden. Gerade nach der Corona-Pandemie sei das wichtig. Turnhallen seien wichtig als Orte, wo Menschen zusammen kommen und Kinder und Jugendliche gemeinsam Sport treiben.

Wetter hat frühzeitig Alternativen gesucht

Turnhallen als Flüchtlingsunterkunft in Beschlag zu nehmen, birgt auch sozialen Sprengstoff. Erklärtermaßen auch deshalb hat sich Wetter frühzeitig auf den Weg gemacht, um für schwierige Zeiten auf andere Möglichkeiten zurückgreifen zu können. Die Stadt hat mit der Diakonie zunächst für drei Jahre einen Vertrag darüber geschlossen, im früheren Zauleck-Seniorenheim Flüchtlinge unterzubringen. Um die 100 werden es maximal sein. Noch könne nicht gesagt werden, wann und mit zunächst wie vielen Leuten die neue Unterkunft an den Start gehe, heißt es bei der Stadt. Vor Bezug allerdings sollten die Nachbarn eingeladen werden.

Container sind zu teuer

Ob es nicht ein Fehler gewesen sei, die für Flüchtlinge angeschafften Container am Bleichstein abbauen zu lassen, wollte ein Mitglied im Herdecker Sozialausschuss wissen. Container seien wohl die teuerste Lösung der Unterbringung, kam als Antwort zurück. Außerdem gab es zwischendurch Zeiten, in denen die Container nicht einmal zur Unterbringung von Flüchtlingen gebraucht wurden.

Stadt antwortet zurückhaltend

Ist Herdecke also bald am Ende der Auslastung? Wie es scheint, nicht ganz: „Die Verwaltung prüft derzeit weitere Unterbringungsmöglichkeiten, die auch längerfristig zur Verfügung stehen sollen“, lässt die Stadt Herdecke bewusst ungenau wissen. Näheres werde noch berichtet.