Herdecke. Keine Sprengung des Kamins: In zwei Abschnitten lässt Mark-E die Landmarke in Herdecke abreißen. Aufwendige Arbeiten an der Wetterstraße laufen.
Beinahe hätte auch Herdecke ein Spektakel wie jetzt Lüdenscheid am Sonntag bieten können. So wie die Rahmedetalbrücke an der A45 per Zündung in sich zusammenfiel, hätte auch der Cuno-Schornstein verschwinden können. Eine Sprengung des Wahrzeichens hier an der Wetterstraße hätte sich aus technischer Sicht umsetzen lassen. Doch die Verantwortlichen vom Versorger Mark-E bzw. von der Enervie-Gruppe, der der alte Rauchgaskamin im Ardeyhöhenzug gehört, entschieden sich für einen konventionellen Rückbau. Dieser hat nun im April begonnen.
Ein großes Projekt, in dem sich der Mensch klein vorkommt. Zum Beispiel dann, wenn Oliver Rabe Presse-Gäste über den früheren Kohlenlagerplatz zum 240 Meter hohen Cuno-Schornstein führt. Der Projektleiter der Mark-E für den Rückbau am einstigen Kohlekraftwerksstandort in Herdecke schreitet an zwei Schutthaufen vorbei zum Eingang des Kamins. Auch im Inneren der imposanten Röhre liegen nun Steine auf dem untersten Boden. In der Mitte befindet sich seit letzter Woche eine eingerichtete Arbeitsbühne. Der Blick geht hinauf, durch die runde Öffnung oben fällt Licht. Der Schaft dort hat einen Durchmesser von rund 7,5 Metern, unten fast das Doppelte.
Zwei Abschnitte in einem Jahr
Das Loch da oben kurz vor dem Himmel wirkt weit weg. Zurück zu irdischen Themen. Mark-E hat den Abbruch des Kamins in zwei Abschnitte eingeteilt, der Rückbau dauert insgesamt knapp ein Jahr. In den ersten drei Monaten bis zum Sommer 2023 geht es gewissermaßen um das Entkernen des Inneren, dann verschwindet ungefähr neun Monate lang (je nach Witterung) Schritt für Schritt die Außenröhre. „Die Leute werden zunächst fast gar nichts von den Arbeiten mitbekommen“, sagt Oliver Rabe.
In den vergangenen Tagen hätten Interessierte Argusaugen benötigt. Dann hätten sie einen bemerkenswerten Aufstieg verfolgen können, als Mitarbeitende der beauftragten Firma Jünger & Gräter über eine der beiden Leitern an der Fassade die Spitze erklommen haben. „Das hat fast eine Stunde gedauert“, berichtet der Schornstein-Fachmann, der natürlich schwindelfrei ist und für den der Abbruch solcher Anlagen „nichts Besonderes“ darstellt. Ziel der Kletter-Aktion: Von oben Seile herunterlassen, um dann verstärkte Stränge für einen Befahrkorb anzubringen.
Abrissarbeiten am Cuno-Schornstein Herdecke sind gestartet
Denn diese Arbeitsbühne hängt nun an drei Führungsseilen und einem Querträger (diese Traverse liegt auf der Kaminspitze). Die befahrbare Plattform befördert nun drei Kollegen hinauf, damit diese von dem mobilen Plateau aus mit den Abbrucharbeiten im Inneren weiter machen können. Die Fahrt bis zum obersten Punkt dauert rund 30 Minuten. An Bord befindet sich als wichtigstes Utensil ein Elektro-Hammer. Mit diesem löst das Trio zwei Materialien in der Rauchgasröhre, die dann auf ein Fallbett herab „plumpsen“. Dabei handelt es sich um rund 800 Tonnen Schamott (feuerfester Stein) und deutlich leichteres Foamglas zur Dämmung.
Auch Stahlbeton an der Innenwand stemmen sie heraus. Demnächst hängt dann noch zur Unterstützung der Abbrucharbeiten ein Bagger an einer neuen Trägerkonstruktion. Und die Entsorgung? „Wir lassen Proben entnehmen, was sich von dem Material für weitere Baustellen auf diesem Gelände wiederverwerten lässt und was nicht“, sagt Rabe und erinnert an die Rauchgase. Auf den zwei Ebenen des Kamin-Areals, auf dem hier eines Tages viel Photovoltaik stehen soll, gibt es durch frühere Kohleanlagen einige Orte, die noch verfüllt werden.
Keine Sprengung
Eine Sprengung des Kamins, so sagt es der Projektleiter, wäre (das ergaben vorliegende Angebote) finanziell sogar günstiger als der konventionelle Rückbau gewesen.
Diese Zündungen hätte aber eine vorübergehende Stilllegung des Kraftwerks auf der anderen Straßenseite erforderlich gemacht. „Auch wegen Sicherungsmaßnahmen und des Restrisikos haben wir uns gegen eine Sprengung entschieden“, so Rabe.
Noch weit entfernt scheint derzeit der Rückbau der äußeren Kaminhülle. Bei diesem Unterfangen helfen ein Aufzug und eine Arbeitsbühne. Von der Spitze startet per Sägeverfahren das Herausschneiden der Segmente, die durch das Röhreninnere erneut auf ein Fallbett stürzen. Eine so genannte Gummilippe zur Einhausung soll vor Wind schützen und verhindern, dass benötigtes Wasser weit herum spritzt.
Zukunftsmusik. Bisher läuft das Millionen-Projekt Kamin-Rückbau „plangemäß“, sagen die Beteiligten nach den ersten Wochen. Die haben auch Videokameras und Sicherheitselemente installiert, um Unbefugte abzuschrecken oder auf gravierende Gefahren hinzuweisen. Rabe: „Wir haben hier leider weiterhin mit Vandalismus zu kämpfen.“