Herdecke. Zwei Lager, viel Brisanz: In einem Ausschuss sprachen Politik und Verwaltung öffentlich über Änderungen der Technischen Betriebe Herdecke.
Wenn politische Gremien im Ratssaal tagen, bleiben die meisten Stühle im Zuschauerraum unbesetzt. Nun zeichnete sich aber bereits im Vorfeld ab, dass eine Sitzung des Unterausschusses gemischtwirtschaftliche Unternehmung Interesse hervorrufen würde. So war es auch, zumal die Fraktionen erstmals öffentlich über die aktuellen Zukunftspläne der Technischen Betriebe Herdecke (TBH) sprachen. Unter den 30 Zuhörern befanden sich zahlreiche Mitarbeitende dieser Einrichtung, für die die Stadtverwaltung laut gültigem Beschluss einen Partner aus der Privatwirtschaft suchen soll, damit eine neue Gesellschaft entstehen kann.
Schnell zeichnete sich ab, dass sich nach dem erfolgten Ratsentscheid im Dezember (nicht-öffentlich, geheime Abstimmung) zwei Lager gebildet haben. Auf der einen Seite die Koalition aus CDU, Grünen und FDP, die die Ausschreibung für eine gemischtwirtschaftliche Gesellschaft befürworten. Demgegenüber lehnen alle anderen Wortführer der übrigen Fraktionen dies ebenso ab wie die städtische Verwaltung selbst. 105 Minuten diskutierten die Beteiligten mit gelegentlichem Applaus aus dem Zuhörerraum oder von der Empore, wobei auch nach dieser Sitzung festzuhalten bleibt: Das Verfahren läuft, die Stadt kann womöglich in einigen Monaten interessierte Firmen für einen Zusammenschluss mit der TBH präsentieren. Das erfolgt dann aus verschiedenen Gründen erneut hinter verschlossenen Türen.
Die Sicht der Verwaltung
Bürgermeisterin Katja Strauss-Köster sowie Beigeordneter Dennis Osberg verwiesen mehrfach auf eine eingeschaltete und renommierte Anwaltskanzlei, die die Stadt berät. Sowohl diese Fachleute als auch die Kommune kamen zu der Ansicht, dass die Gründung einer gemischtwirtschaftlichen Gesellschaft mehr Risiken als Chancen mit sich bringe. Da die Politik jedoch mehrheitlich nicht dem Verwaltungs-Vorschlag zur Rückführung der TBH in städtische Organisationsformen folgte, bereiten nun Kämmerer Osberg und Co. ein „komplexes“ und europaweites Ausschreibungsverfahren vor. Dieser Prozess kostet bis zu 300.000 Euro und binde den Angaben zufolge viel Arbeitskapazität.
Zwei Aspekte stachen in der Argumentation seitens der Stadtspitze hervor. Oft betonten Strauss-Köster und Osberg, dass die TBH nicht defizitär seien und „wirtschaftlich nicht schlecht aufgestellt“ seien, in einzelnen Sektionen gebe es aber Handlungsbedarf. Das Duo gehe trotz fehlender Jahresabschlüsse auch künftig davon aus, dass wieder recht hohe TBH-Gewinne in den kommunalen Haushalt fließen. Der Beigeordnete hob hervor, dass Gebühren für die Bürgerschaft im Zusammenhang mit den Betrieben zuletzt zwar stiegen, der Beitrag für Schmutzwasser beispielsweise im Vergleich zu umliegenden Städten der geringste nach Dortmund sei.
Die Sicht der Koalition
Georg Torwesten von der CDU erhoffe sich, dass sich durch die Ausschreibung die Chancen für die Stadt besser erkennen lassen als derzeit. Falls sich diese nicht ergäben, „dann müssen wir den Prozess abbrechen. Wir wollen die TBH nicht kaputt machen, sondern zukunftsfähig aufstellen.“
Parteikollege Patrick Wicker sagte, dass trotz unterschiedlicher Meinungen die „Freundschaft“ zur Bürgermeisterin nicht gefährdet sei. Zugleich wolle er mit der Mär aufräumen, wonach die Betriebe finanziell kerngesund seien. „Das Kanal- bzw. Abwassernetz soll zurück zur Stadt und nicht an die neue Gesellschaft gehen. Dieses bringt uns jährlich millionenfachen Gewinn, aber nicht das operative Geschäft, einige Bereiche sind defizitär, dafür kann aber niemand etwas. Wir dürfen jetzt nicht stehen bleiben.“ Die verkündete Gebührenerhöhung sei ein „kräftiger Schluck aus der Pulle“ und verdeutliche die Notwendigkeit für Veränderungen, um diese Schraube nicht immer weiter nach oben drehen zu müssen. Er erwarte für den TBH-Jahresabschluss 2022 viele „tiefrote Zahlen“ im Vergleich zur vorliegenden Bilanz aus 2019 und setze auch künftig auf unveränderte oder gar bessere Bedingungen für TBH-Mitarbeitende. Andreas Disselnkötter (Grüne) rechne mit höheren Gewerbesteuereeinhamen und zweifelte nötige Investitionen im bestehenden TBH-Konstrukt an. Er und Wilhelm Huck von der FDP betonten, dass die Inhalte der Ausschreibung elementar wichtig seien, um Vorteile für die Stadt zu erzielen.
Die Sicht der Gegner
Für Uli Schwellenberg und Klaus Klostermann von der SPD überwiegen die Risiken einer neuen Gesellschaft, sie haben den Verwaltungs-Vorschlag zur Rückführung in die Kommune unterstützt. Von den Linken lehnten Vladimir Munk und Dieter Kempka („Wir geben viel Geld für ein Hirngespinst aus“) eine Teilprivatisierung ab. Für Die Partei sagte Nico Fischer, dass der herangezogene Vergleich zu Lünen, wo Remondis und Stadt einen Wirtschaftsbetrieb gegründet haben, für Herdecke wegen unterschiedlicher Parameter nicht zulässig sei. Oliver Haarmann von der AfD sah keine Vorteile in einer neuen Gesellschaft und nannte die TBH-Diskussion „unnötig“.