Herdecke/Potsdam. Schauspieler Jörg Hartmann spricht im Interview über seine Heimat Herdecke, das Koepchenwerk und seine Drehbuch-Premiere für den Dortmund-Tatort.

Das Weihnachtsfest 2022 verbringt Jörg Hartmann (53) mit seiner Familie in Potsdam. Dort lebt der bekannte Schauspieler, der in Hagen geboren wurde und sich in vielen Interviews zu seiner Heimatstadt Herdecke bekannt hat. Hier wuchs er auf, hier führten seine Eltern rund ein Jahr lang vor seiner Einschulung eine Pommesbude, hier erinnern sich viele noch an seinen 2018 verstorbenen Vater. Nun konnte der Sohn von Hubert „Hubsi“ Hartmann erstmals ein eigenes Drehbuch verfilmen lassen.

Welche Reaktionen gab es bei der Vorpremiere des neuen Dortmunder Tatorts „Du bleibst hier“ (15. Januar, 20.15 Uhr, ARD) in diesem Sommer?

Jörg Hartmann: Ich bekam dort das grundlegend schöne Gefühl, dass wir bei den Menschen angekommen sind. Wobei wir es dem Publikum mit dem sperrigen Charakter Faber ja nie leicht gemacht haben und keine Rosamunde-Pilcher-Unterhaltung bieten. Besonders die zahlreichen und emotionalen Reaktionen und Briefe nach dem Filmtod von Kommissarin Bönisch haben uns gezeigt, wie sehr wir bei manchen Menschen mittlerweile „zur Familie gehören“.

Ende 2018 fiel im Interview mit dieser Lokalzeitung die Andeutung, dass das Schreiben künftig eine größere Rolle im Berufsleben spielen könnte. Was steckt hinter dem Drehbuch zu „Du bleibst hier“?

Eine erste noch gänzlich andere Idee hatte ich vor ungefähr fünf Jahren. Ein halbes Jahr später habe ich bei den Dreharbeiten zu unserer Tatort-Folge „Inferno“ unseren Regisseur Richard Huber gefragt, ob er sich vorstellen könne, den Stoff zu inszenieren. Er sagte sofort ja. Es war immer schon ein Traum von mir gewesen, mal in Herdecke zu drehen. Als Lokalpatriot habe ich oft von meiner Heimatstadt geschwärmt. Bei der Weiterentwicklung der Geschichte sah ich irgendwann das Speicherbecken vor meinem inneren Auge.

Wie kam das denn bei den Verantwortlichen und dem Darsteller-Kollegium an?

Gut. In unserem Tatort-Team sind einige, die aus dem Ruhrgebiet stammen, zum Beispiel ein Kameramann oder auch der Produktionsleiter. Der ist leidenschaftlicher Dortmunder und kennt als solcher natürlich auch Herdecke sowie den Hengsteysee. Und nach der Kritik vom damaligen Oberbürgermeister Sierau, der seine Stadt durch uns in ein schlechtes Licht gerückt sah (das haben wir übrigens beim Bier ausgeräumt), war klar, dass wir mal viel Dortmund zeigen würden. Für mich bot sich so die Gelegenheit, Herdecke miteinzubeziehen. Wer weiß, ob so etwas noch einmal möglich sein wird.

Handelt es sich eigentlich um eine Drehbuch-Premiere? Und eine Fortsetzung mit Bezügen zur Heimatstadt scheint nicht geplant zu sein?

Momentan nicht. Vielleicht ergibt sich das aber noch einmal, wir deuten das ja nun über die Figur des Hauptkommissars Faber an, somit haben wir den Ort angeteasert. Ich hätte schon Lust auf mehr und könnte mir auch vorstellen, eventuell mal länger in Herdecke zu drehen.

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Dass ein Drehbuch von mir für einen Film umgesetzt wird, ist in der Tat eine Premiere. Als junger Mensch habe ich drei oder vier Theaterstücke geschrieben, eines davon ist bei einem Verlag gelandet, wurde aber nie gespielt. Ich habe schlicht Freude am Schreiben und am Ausprobieren. Ich setze mich da aber nicht unter Druck. Es muss auch nicht unbedingt ein weiteres Drehbuch sein, das ich schreibe, es kann auch Prosa sein. Für einen Film liegt jedenfalls kein Skript von mir in einer Schublade.

Wie anstrengend war die Doppel-Rolle als Hauptdarsteller und Drehbuch-Autor?

Die Umsetzung und das Organisatorische haben mich natürlich mehr tangiert als sonst. Ich habe zum Beispiel oft vor einem Drehtag mitgezittert, wie wohl das Wetter sein wird. Ich habe mich selbst unter Druck gesetzt, etwas Besonderes abliefern zu wollen, und mich sehr mit dem Stoff beschäftigt. Dazu hatte ich frühzeitig jede Rolle vor meinem geistigen Auge. Ich wollte immer allen verdeutlichen, was hinter jeder meiner einzelnen Ideen steckt. Irgendwann muss man aber auch loslassen können und nicht in alle Szenen reinquasseln, das war schon eine Gratwanderung. Regisseur Richard Huber hatte ich frühzeitig ins Boot geholt, wir vertrauen uns sehr, er ist ein echter Schatz.

Wie entstand denn das Drehbuch für die Tatort-Folge „Du bleibst hier“?

Das war ein langer Prozess. Schon bei meiner ersten Idee träumte ich von dem Motiv am Ende des Films. Alles andere allerdings war noch völlig anders. Die Geschichte veränderte sich im Laufe der Zeit, dann stieg Anna (die Schauspielerin Schudt alias Kommissarin Bönisch, d. Red.) aus, wieder mussten Dinge geändert werden. Aber das ist normal, Filmemachen ist ein langer Prozess. Letztendlich haben wir die Geschichte aber dann so umgesetzt, wie ich sie wollte. Bei der allerersten Idee übrigens hatte das Kaiser-Wilhelm-Denkmal an der Hohensyburg noch eine Rolle gespielt – vielleicht können wir das ja irgendwann mal nachholen.

Viele Szenen in der Folge spielen im Dortmunder Kreuzviertel, fuhr der junge Jörg früher oft aus Herdecke in diese Kneipenszene? Und wie ist der Bezug zur Heimat?

Ich war als Jugendlicher häufig in Diskotheken in Dortmund. Meine Mutter und meine Schwester leben noch in Herdecke, und ich habe noch enge Freunde aus der Heimat. 2023 steht wieder ein Abi-Treffen in Herdecke an, da will ich gerne hin und dann auch nicht über den Tatort reden. Ich bin ein Herdecker Junge, so wie viele andere auch. Wenn wir hier oder auch in Köln drehen, schaue ich immer zuhause bei meiner Mutter und Schwester vorbei. Zuletzt konnte ich im August auch die Tatort-Vorpremiere von „Du bleibst hier“ auf dem Gelände von Phoenix West in Dortmund dafür nutzen.

Apropos Industriekultur: Beim Speicherbecken denken Herdecker direkt ans Koepchenwerk, für dessen Erhalt setzte sich nach dem Abriss-Antrag von RWE 2015 der „Promi“ Jörg Hartmann ein…

Ich verfolge die Entwicklung dieses Denkmals interessiert aus der Ferne und habe mitbekommen, dass dort junge Leute einen Weinberg anpflanzen. Toll, dass solche Orte so etwas auslösen können und die Phantasie anregen. Ich wünsche ihnen das Beste.

Zur Person

Jörg Hartmann (53) ist seit vielen Jahren mit der Schauspielerin Silvia Medina liiert, das Paar hat zwei Kinder, aus erster Ehe hat der Herdecker eine weitere Tochter.

2016 erhielt er den Grimme-Preis für seine Rolle in „Weissensee“ sowie die Goldene Kamera als Bester deutscher Schauspieler (weitere Auszeichnungen folgten). Seit 2012 spielt er im Dortmund-Tatort Kommissar Faber.

Mit der Berliner Schaubühne geht es nach aktuellen Terminen in der Hauptstadt im Januar nach Paris, um auch dort das Erfolgsstück Professor Bernhardi aufzuführen. „Theater vereinnahmt einen ziemlich, währenddessen ist es schwierig, andere Sachen umzusetzen“, so Hartmann.

Im Terminplan 2023 stehen...

...im Februar Dreharbeiten für einen Dortmund-Tatort, im September geht es dann wohl mit einer weiteren Folge weiter.


Nach der Kino-Rolle in „1000 Zeilen“ (am 27./28. Dezember im Onikon Herdecke und dann auch in Wetters Lichtburg)…

...bin ich im März 2023 erneut auf großer Leinwand in einer Nebenrolle in „Sonne und Beton“ nach einer Vorlage des Komikers Felix Lobrecht zu sehen.


Als Regisseur…

… sehe ich mich nicht, vor dieser Arbeit habe sehr viel Respekt. Das steht nicht auf meiner Agenda. Aber wer weiß, vielleicht eines Tages doch…

Allgemein gesprochen, sollten wir unser Erbe nicht vernichten. Im Zusammenhang mit dem Koepchenwerk hat mich damals genervt, dass wir solch wichtige Baudenkmäler nicht gleich abreißen sollten, wenn der Putz ein bisschen bröckelt. Zudem stört mich immer noch die Architektur im Quartier Ruhraue, diese Amerikanisierung ist für mich eine Verschandelung der Heimat. Es gibt schöne Gegenbeispiele, wenn ich zum Beispiel an die Rathaus-Arkaden in der Fußgängerzone denke. Im Ruhrgebiet lässt sich mancherorts mehr aus der Geschichte machen, etwa über das Geburtshaus von Friedrich Harkort in Hagen-Haspe, das bietet wahnsinnig viel Potenzial und sollte viel mehr wertgeschätzt werden. Vielleicht bietet die Internationale Gartenausstellung 2027 eine Chance, solche historischen Orte wie auch den Kaisberg-Turm miteinander zu vernetzen, Wanderwege bieten sich dafür an. Ich werde auch nie den Blick über dem Hengsteysee von der Teufelskanzel oben im Wald vergessen, das ist für mich eine kleine Version der Sächsischen Schweiz.