Herdecke. Anstrengend, aber gute Laune im steilen Hang: 16 Freunde um Elias Sturm bauen am Koepchenwerk in Herdecke Wein an. Das Projekt Vino wird konkret.

Das Motto der jungen Herdecker steht auf ihren T-Shirts, der Internetseite und auf Prospekten: eine Idee, eine Leidenschaft, ein Projekt. Zwei senkrecht, aber schräg abgedruckte Balken geben einen weiteren Hinweis, worum es sich handelt. Die schlichte Darstellung symbolisiert die alten Wasserleitungen am Koepchenwerk. Zwischen den verrosteten Druckrohren baut bekanntlich Elias Sturm seit einigen Wochen Wein an. Falsch. Es handelt sich nämlich nicht um die Solo-Aktion eines Einzelnen. Der Hobby-Winzer richtet mit 15 befreundeten Helfern den Hang oberhalb des Hengsteysees her.

Ein Wort sticht aus dem Motto hervor: Leidenschaft. Das lässt sich unterteilen und passt zum Project:vino, wie die Gruppe ihr Vorhaben nennt. Da wären zunächst die Leiden. Es geht steil bergauf. Mehr als 300 schmale Treppenstufen müssen die Freunde in Angriff nehmen, um neben der ehemaligen Standseilbahn (soll reaktiviert werden) zu ihrem Arbeitsplatz zu gelangen. Nun ließe sich anführen, dass eine Hangneigung von 45 Grad junge Leute Anfang 20 nicht abschrecken sollte. Stimmt. Tut es auch nicht. Die Herausforderung: Sie müssen aber teils schwere Geräte mit purer Muskelkraft hinaufwuchten. Das schlaucht. Jammern? Fehlanzeige.

Damit zum zweiten Wortteil des Mottos: Die Freunde schaffen so einiges. Nachdem sie nun die Walze hochgeschleppt haben und einen Schluck zur Stärkung getrunken haben, fängt zum letzten Mal in diesem Jahr die Arbeit an. Schnell merkt der Beobachter: Hier herrscht gute Laune, Sprüche gehen hin und her. Einer der engagierten Erwachsenen darf sich anhören, dass er sich wohl noch immer in der Pubertät befinde. Ein anderer erzählt, dass am gestrigen Abend auch Alkohol im Spiel gewesen und es lustigerweise spät geworden sei.

Mitten im Hang haben die Freunde ihren Ausgangspunkt und Rastplatz eingerichtet. Die schöne Aussicht genießen sie selten.
Mitten im Hang haben die Freunde ihren Ausgangspunkt und Rastplatz eingerichtet. Die schöne Aussicht genießen sie selten. © Steffen Gerber

Weder das noch die körperlich anstrengende Arbeit im Ardeygebirge schreckt sie ab, ihren Kumpel Elias Sturm zu unterstützen. „Ich würde den anderen ja auch helfen“, sagt der Architektur-Student. Seine hervorstechendste Eigenschaft: Er habe sehr viel Energie, berichten seine Freunde. „Wir vermuten, dass er wie Obelix als Kind in irgendeinen Topf gefallen sein muss. Irgendwie schafft er es immer wieder, uns für ein neues Projekt zu motivieren.“ Das galt beispielsweise auch für den Weinanbau im Garten von Sturms Onkel. Ehrensache, dass viele aus der Gruppe auch auf dem Grundstück von Michael Kranz die Erde aufwühlten. Dort („Das war wesentlicher einfacher als jetzt“) wachsen ebenso Reben wie bereits auf einem kleinen Teil der steilen 3300 Quadratmeter am Koepchenwerk.

Geselligkeit und viele weitere Ideen

Frohen Mutes begeben sich die Arbeiter am Hang des Denkmals ans Werk. Ein Pflug und eine Egge stehen ebenfalls bereit. Bemerkenswert: Als die Truppe im Frühsommer 2021 mit den Vorbereitungen zum Weinanbau hier begann, wartete auf sie zwei Meter hohes Unkraut. „Hier war alles wild zugewuchert mit Gestrüpp und kleinen Bäumen.“ Zunächst fragten die Freunde ihren Kumpel Elias, ob seine Idee nicht doch zu verrückt sei. Oder wie sie es sagten: „Hast du noch alle Tassen im Schrank?“ Doch der Hobby-Winzer überzeugte sie. Beispielsweise mit einer Kiste leckerem Wein, die er vor Ort anbot. Das Credo: für die Probleme Lösungen finden. „Die erste Freischnittaktion hier war aber schon heftig, wir sind an jenem Abend alle todmüde ins Bett gefallen.“

Es folgten weitere „Großkampftage“. Die Schufterei geht umso leichter in geselliger Runde. Die hat sich auf der Mitte des Hangs an einem eingerichteten Rastplatz eingefunden und setzt sich auch abends fort. Die Freunde sitzen oft gemütlich zusammen, grillen, quatschen, feiern Geburtstage und hecken neue Ideen aus. Die kommen oft von Elias Sturm. Mal geht es um Baumfällarbeiten, dann um den Bau von Bollerwagen oder das Herstellen von Stühlen und Bänken. Angesichts dieser Vorgeschichte(n) verwundert es nicht, dass die Kompanie auch am alten Pumpspeicherkraftwerk gemeinsam an einem Strang zieht. Ungefähr 20 Mal hat sich die Truppe zum neuen Weinberg des Herren Koepchen hinauf begeben.

Zufrieden mit Bilanz für dieses Jahr

Der letzte Auftrag vor der nun laufenden Winterpause: eine so genannte Wolff-Mischung einsäen, um den Boden fruchtbar zu machen. Dazu bringen die Helfer die Egge an einer Motorwinde und den Pflug in Stellung, um erst die Erde aufzureißen und dann die Wurzeln zu entfernen. Motivation bietet der Blick auf die ersten gepflanzten Reben, die testweise dort stehen und schon gewachsen sind. „2000 von den rund 3300 Quadratmetern haben wir hier schon beackert“, sagt Elias Sturm und zieht zufrieden Bilanz für dieses Jahr. „Ungefähr die Hälfte haben wir geschafft.“ Enttäuschung klingt an, als es aus der Runde heißt: „Echt, nicht mehr?“ Doch dann schnappt sich jeder der Freunde ein Gartengerät und legt los.

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Und die tolle Aussicht? Den Blick über den Hengsteysee ins Sauerland genießen die jungen Leute recht selten. Klingt paradox. Die Erklärung: „Wenn wir vier Stunden hier am Berg stehen, gucken wir drei Stunden und 50 Minuten quasi in die falsche Richtung“, sagt Noah Unger. Doch da sie alle selbst gerne Wein trinken, wollen sie auch ab Frühjahr 2022 wieder motiviert weiterarbeiten, dann im unteren Teil des Hangs.

Rückenwind hat ihnen auch die Weinverkostung am Tag des offenen Denkmals verschafft. In Abstimmung mit der Industriedenkmal-Stiftung und der AG Koepchenwerk haben Sturm und Co. ihr Projekt in der Maschinenhalle präsentiert. Die Werbeaktion buchen sie als Erfolg ein, seither sind zum Beispiel die T-Shirts vom Project:vino ausverkauft. „Bald gibt es neue. Generell liegen wir gut im Zeitplan“, sagt Julian Grube. Sein Fazit für 2021: „Wir haben viel geschafft.“

Die Helfer

Die Freunde (nicht alle waren beim Fototermin anwesend) kennen sich teilweise seit Kindheitstagen, über den Handballsport oder durch das Paddeln beim heimischen Kanu-Club. Zur engagierten Gruppe gehören überwiegend Herdecker, und zwar:

Lennart Hecker (21) studiert in Dortmund Fahrzeugentwicklung, seine und die Mutter des fast auf den Tag genau gleichaltrigen Elias Sturm lagen damals gleichzeitig schwanger im Herdecker Krankenhaus. Noah Unger (22) und Fabian Kutz (21) sind mit dem Hobby-Winzer seit Grundschulzeiten in Ende befreundet.

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Jil Heim (20), Freundin von Fabian und angehende Bürokauffrau, kümmert sich beispielsweise auch um das Drucken von Flyern. Hanna Glaubitz (22) kennt Elias seit der neunten Klasse, als sie in der Wittener Holzkamp-Gesamtschule aufeinander trafen. Henry Blothe (21) befindet sich im letzten Jahr zur Ausbildung als Polizist.

Julien Kike (23) kommt ebenfalls aus Herdecke und arbeitet als Gärtner im Landschaftsbau. Joshua Kleine (20) ist in einem Architekturbüro als bautechnischer Assistent angestellt. Michael Müllers (22) studiert Elektrotechnik in Dortmund.

Luca Schmidt (22) will als Kapitän zur See fahren und hat auch seine Freundin Emily Sophie Schlüpmann (21) für Arbeiten im Weinberg motivieren können. Julian Grube (26) studiert gemeinsam mit Elias und Sofie Hasenkamp (24) Architektur. Julius Hasbargen (21) hat sich dem Metallbau verschrieben, Julius Brakelmann (26) ist bei der Feuerwehr beschäftigt.

Weitere Infos zum Weinanbau am Koepchenwerk gibt es online auf Instagram (project_vino) und auf der bald überarbeiteten Internetseite