Herdecke. Im Oberbecken ist wieder Wasser, das Pumpspeicherkraftwerk Herdecke von RWE produziert wieder Strom. Die aufwändige Revision geht aber weiter.
Als RWE jetzt im Juni den Stöpsel (Fachsprache: Zylinderschütz) aus seinem Herdecker Speicherbecken zog und sehr viel Wasser abließ, sorgte das für Aufsehen. Viele blickten zum Pumpspeicherkraftwerk des Energiekonzerns, wo Phase eins der planmäßigen Hauptrevision bereits im März begonnen hatte. Kaum einer bekam aber mit, dass die Anlage am Hengsteysee nun seit knapp einer Woche wieder im Regelbetrieb Strom produziert. Der Haken: Die Ausfallzeit von Mitte Juni bis Mitte Oktober war nur der erste Schritt, weitere aufwendige Sanierungsarbeiten folgen 2021.
„Wegen Corona, Terminverschiebungen und größerer Arbeitsumfänge hat es 2020 rund einen Monat länger gedauert als geplant“, sagt Kathrin Schmelter. Die Leiterin des Pumpspeicherkraftwerks (PSW) blickt dennoch zufrieden auf die umfassende Instandsetzung im Oberbecken, das RWE zum ersten Mal seit 31 Jahren vollständig entleert hatte. „Wir mussten dort eine größere Fläche sanieren als gedacht“, so Schmelter. Angesichts einiger Oberflächenschäden und undichter Stellen in der Sohle sowie an den Wänden kam viel Spritzbeton zum Einsatz, nachdem Mitarbeiter einer Spezialfirma die riesige Schüssel untersucht hatten.
Seit August verschließt ein neues Zylinderschütz das Speicherbecken – ähnlich wie der Stöpsel einer Badewanne. Wo sonst bis zu 1,6 Millionen Kubikmeter Wasser stehen, lag in den letzten vier Monaten alles trocken. Rund 20.000 Quadratmeter Boden galt es laut RWE zu reinigen. „An den Böschungen wurde ungefähr die Fläche eines Fußballfeldes instandgesetzt.“
Erst oben, dann unten instandsetzen
Die Tage im Oktober standen dann ganz im Zeichen der Wiederinbetriebnahme: Das Oberbecken lief in fünf Etappen voll. Die bange Frage: Dringt Wasser durch den neuen Beton? Zumal im gefüllten Zustand auf einen Quadratmeter Boden bis zu 20 Tonnen wirken, wie der Konzern errechnete. Am 13. Oktober meldete die Kraftwerks-Leitung: Alles dicht, alles hält! Daraufhin gab die Bezirksregierung Arnsberg grünes Licht für den uneingeschränkten Betrieb, so dass das PSW wieder flexibel Strom speichern und diesen je nach Bedarfslage ins Netz einspeisen kann. Dafür benötigt RWE (zahlreiche Herdecker wissen das) Wasser, das nach dem Hochpumpen zur Energiegewinnung die Druckrohrleitungen wieder herunterschießt.
Die erste Phase der umfangreichen Arbeiten ist also geschafft. Parallel dazu liefen auch unten am See in der Anlage, die wegen des leeren Speicherbeckens insgesamt 16 Wochen lang stillstand, bereits erste kleinere Instandsetzungsarbeiten. „Wir konnten dadurch zum Beispiel in Sachen Korrosionsschutz einiges vorbereiten“, berichtet Schmelter, auch Teile des Generators erhielten schon eine Vorab-Reparatur.
Erneuter Stillstand wohl Ende Februar
Nun richten sich die Blicke der Mannschaft des Pumpspeicherkraftwerks verstärkt ins Frühjahr 2021, wenn am Hengsteysee Teil zwei der Hauptrevision ansteht. Befand sich in diesem Jahr das Oberbecken auf dem Sanierungsplan, soll es ab März mit den Maschinen am Ufer weiter gehen.
„Sofern Corona das zulässt, wollen wir Ende Februar das Werk hier außer Betrieb setzen. Dann produzieren wir voraussichtlich bis Herbst keinen Strom“, erklärt Kathrin Schmelter. Wohlgemerkt ein grober Zeitplan. „Es kann, das wissen wir ja jetzt angesichts der Erfahrungen am Speicherbecken, auch zu Überraschungen kommen“, so die Leiterin des PSW Herdecke.
Koepchenwerk 1989 abgelöst
Herdeckes Pumpspeicherkraftwerk ist das größte PSW in Nordrhein-Westfalen, eine Revision (hier die erste) erfolgt in der Regel nach 30 Jahren. 1989 ersetzte die Anlage das Koepchenwerk, das RWE 1930 in Betrieb nahm.
Bis zu 40 Mitarbeiter von RWE und Partnerfirmen waren im Sommer aktiv, um im Speicherbecken den rund 50 Tonnen schweren Verschluss am Einlaufturm vor den nicht sichtbaren Druckrohrleitungen im Hang auszutauschen.
Die geplanten Arbeiten umfassen beispielsweise die Erneuerung des Motorgenerators sowie die Instandsetzung von Pumpturbine und Kugelschieber (eine Art riesiger Wasserhahn). Eine Herausforderung: der Generator. Neue bzw. mobile Teile dafür befinden sich derzeit in Spanien, kommen dann zur Fertigstellung nach Heidenheim und schließlich im Ganzen als 300 Tonnen schwerer Antrieb per Schwertransport nach Herdecke.
Ebenso spannend: RWE erneuert 2021 auch den Korrosionsschutz in der 400 Meter langen Druckrohrleitung (4,75 m Durchmesser) im Hang. „Da wartet viel Fläche auf uns“, sagt Schmelter und verweist auf langwierige Vorbereitungen dieser Baustelle. Dazu gehört auch, dass Fachleute am Oberbecken schon die individuell angefertigte Arbeits- und Transportbühne sowie die zur Sicherung erforderlichen Seilwinden platzieren konnten.
Corona-Erfahrungen nutzen
Weiterer Vorteil: Die RWE-Leute können die Corona-Erfahrungen aus diesem Jahr für das Hygienekonzept 2021 nutzen. Durch zusätzliche Container für Pausen, Duschen, Toiletten, Umkleiden, Baustellenbesprechungen im Freien und „dank der großen Disziplin auf der Baustelle konnten wir die Arbeiten am Oberbecken trotz erschwerter Bedingungen zügig und unfallfrei erledigen”, so die PSW-Leiterin.
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Insgesamt rund 15 Millionen Euro kostet laut RWE die zweiteilige Hauptrevision am traditionsreichen Standort in Herdecke. Der erhält noch eine weitere Aufwertung. Anfang 2018 platzierte RWE den ersten Batteriespeicher des Konzerns auf dem Gelände am Ufer des Hengsteysees. Voraussichtlich im Herbst 2021 soll hier im hintersten Teil des Areals auch die zweite Anlage loslegen können. „Dafür stehen aber nicht wie zuletzt neue Batterie-Module zur Verfügung, sondern gebrauchte aus E-Fahrzeugen“, erklärt Schmelter.
In diesen Tagen beginnt der Aufbau, um dann weitere Erfahrungen auf diesem wichtigen Energie-Gebiet zu sammeln.