Hagen.

Mit einem „Marsch des Lebens“ fand der Besuch einer Gruppe Holocaust-Überlebender in Hagen am Sonntagnachmittag seinen aufwühlenden, nachdenklich stimmenden, aber auch ermutigend stimmenden Abschluss. Damit sollte knapp 70 Jahre nach Kriegsende ein Zeichen gesetzt werden, die Fesseln des beklemmenden Schweigens über die unfassbare Schuld an der Menschlichkeit abzustreifen, sich auf einen Weg zu Vergebung und Versöhnung zu begeben und gleichzeitig ein Zeichen gegen zunehmenden Antisemitismus zu setzen.

In diesem Sinne bewegte sich am Sonntagnachmittag ein etwa 200-köpfiger Zug quer durch die Hagener Innenstadt, um an Orten jüdischen Lebens, aber auch des nationalsozialistischen Schreckens Spuren der Vergangenheit in Augenschein zu nehmen. Unter dem Motto „Seite an Seite in unserer Stadt“ schritten die Teilnehmer mit Plakaten („Der Hass der wenigen wird mächtig durch das Schweigen der Vielen“) und Fahnen des Staates Israel vom Rathaus aus in Richtung Synagoge, erinnerten an das Arbeitserziehungslager hinter der Johanniskirche, an jüdische Kaufhäuser und etwa 70 arisierte Hagener Geschäfte, an das ehemalige Polizeigefängnis unweit des Kunstquartiers oder auch die einstige Gestapo-Zentrale an der heutigen Körnerstraße. Zwischendurch immer wieder Austausch zwischen den Marschierern und Passanten – unverkrampft, aber keineswegs unsensibel; nachdenklich, aber nicht ohne Gelassenheit. Gesänge begleiteten den Zug, betretenes Durchatmen, Handhalten, aber auch verstohlene Blicke in glänzende Schaufensterauslagen. Die Erinnerung an das Unfassbare und die Leichtigkeit des Hier und Jetzt – dicht beieinander vereinen sie sich zu einer Mahnung an die Zukunft.

Den Anfängen wehren

Die Hagener Gäste hatte in den vergangenen Tagen bei zahlreichen Begegnungen in Hagen und in der Region allein durch ihre Präsenz daran erinnert, dass auch Nachgeborene und Nichtbetroffene sich ihrer Verantwortung stellen sollten, dem Unfassbaren des Nazi-Schreckens nie wieder eine Chance zu lassen. Vor allem bei ihren Besuchen in Schulen hatten die Holocaust-Opfer, die vorzugsweise den Zweiten Weltkrieg in Ghettos und Lagern in der Ukraine überlebt hatten, als Zeitzeugen nachhaltige Spuren in den Köpfen ihrer Zuhörer hinterlassen.

Auch zahlreiche Menschen aus der Mitte der Hagener Gesellschaft überlebten den Terror der Nazis nicht. Am 9. und 10. November 1938 brannten die Synagogen in Hagen und Hohenlimburg, Juden wurden aus ihren Wohnungen verschleppt. 650 Köpfe zählte 1933 die jüdische Gemeinde, ihre Vertreter waren politisch, künstlerisch und gesellschaftlich mit dem Leben der Stadt fest verwoben. Die meisten konnten der Vernichtungsmaschinerie der Nazis durch Auswanderung zuvorkommen. 200 Juden, an die heute auf den Bürgersteigen mit „Steinen gegen das Vergessen“ erinnert wird, verschwanden zwischen 1942 und 1944 in den Lagern des Todes. Hinzu kamen 35.000 Zwangsarbeiter, die in Hagen einem erbärmlichen Schicksal geweiht waren.

Bürgermeister Hans-Dieter Fischer erinnerte eindringlich daran: „Den Anfängen von Intoleranz und Inhumanität zu wehren ist wichtig, weil es ungleich schwieriger ist, gegen ein an die Macht gelangtes unmenschliches Regime anzugehen. Demokratie, Freiheit, Achtung vor den Menschenrechten sind Errungenschaften, die permanenter Aufmerksamkeit bedürfen.“ Der Marsch des Lebens wurde in diesem Sinne zu einem eindrucksvollen Signal.