Hagen-Lennetal. . Der Marsch des Lebens startet am Sonntag durch die Innenstadt. 22 Holocaust-Überlebende sowie Zwangsarbeiter und deren Angehörige sind schon jetzt in Hagen. Karolina Wisniewska besuchte jenen Ort, an dem ihre Vater als 14-Jähriger schuften musste.

Es ist eine Reise und eine Zeitreise zugleich. Eine, die Karolina Wisniewska (27) jenem Mann ein großes Stück näher bringt, den sie so sehr geliebt hat. Czestaw Michalski ist genau wie sie aus Polen nach Hagen gekommen. Nur, dass den damals 14-jährigen Jungen aus dem kleinen Örtchen Kreysonoga niemand gefragt hat, ob er diese Reise antreten will. Er wurde als Kind vor etwas mehr als 70 Jahren gebracht und musste in einer Schmiede im Lennetal schuften. Als Karolina Wisniewska die Werkshalle verlässt, kullern Tränen über ihre Wange.

Karolina Wisniewska ist in Hagen, weil es den Marsch des Lebens gibt, der wiederum von der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung, Zukunft“ unterstützt wird. Überlebende des Holocausts, Zwangsarbeiter und deren Angehörige sind in Hagen. Sie besuchen Orte der Erinnerung, sie besuchen Schulen wie gestern das Hildegardisgymnasium und die Firma „KB Schmiedetechnik“ im Lennetal.

Geschichte nicht vergessen

Vor sieben Jahren hat Angelika Schulte das damals insolvente Unternehmen übernommen. Und als sie gehört hat, dass die Tochter von Czestaw Michalski in Hagen auf Spurensuche ist, hat sie nicht gezögert, ihr Unternehmen „KB Schmiedetechnik“ für die gesamte Delegation zu öffnen. „Wir sind in der glücklichen Situation eines langen Friedens. Heute arbeiten hier 120 Menschen. 51 haben ausländische Wurzeln. Und wir pflegen ein gutes Miteinander. Trotzdem, wir dürfen die Geschichte nicht vergessen.“

Zentralveranstaltung im Rathaus

22 Holocaust-Überlebende und Angehörige von Zwangsarbeitern besuchen Hagen.

In Schulen und Gemeinden berichten sie über ihre Erfahrungen.

Am heutigen Mittwoch wird die Hagener Delegation im Landtag in der Landeshauptstadt Düsseldorf empfangen.

Die Zentralveranstaltung findet am Sonntag, 26. Oktober, 11 bis 20 Uhr, im Rathaus der Stadt Hagen statt. Gegen 16 Uhr startet der „Marsch des Lebens“ vor dem Rathaus.

Der Marsch führt durch die Hagener Innenstadt – vorbei an Orten des nationalsozialistischen Grauens.

So scheinen aber nicht alle Unternehmer in der Region zu denken. 25, die Zwangsarbeiter beschäftigt haben, hat Arnulf von Auer, der von einst 40.000 Zwangsarbeitern in Hagen spricht, außerdem angeschrieben. Geantwortet und eine Einladung ausgesprochen hat kein einziges. Anders als Angelika Schulte.

Zu Fuß bis Polen

Czestaw Michalski ist vor sieben Jahren gestorben. „Über seine Zeit in Hagen hat er mir eigentlich so gut wie nichts erzählt“, sagt Karolina Wisniewska. „Vielleicht dachte er, ich sei zu klein.“ Durch ein Dokument des Roten Kreuzes hat sie erfahren, dass er in Hagen war. „Von Dezember 1943 bis Mai 1944“, sagt sie. „Ich weiß, dass er zu Fuß zurück nach Hause gekommen ist.“

Im Lennetal wird für die junge Frau, die sich in Polen um Menschen mit Behinderung kümmert, Geschichte zur Wirklichkeit. Hallen, die vor 70 Jahren standen, werden auch heute noch genutzt. Über das Pflaster auf dem Boden ist vermutlich auch Czestaw Michalski gegangen. „Ich will einfach mehr über meinen Vater erfahren“, sagt sie, „ich wusste wohl, dass ihn manchmal schlimme Erinnerungen quälten. Aber hier kann man sich vorstellen, unter welchen Bedingungen er als Kind arbeiten musste.“

Keine Wut und kein Zorn

Wut oder Zorn sind nicht die Gefühle, die in der jungen Polin hochkommen. „Nein“, sagt sie, „ich bin nur traurig, dass jemand, den man kennt und liebt, gezwungen wurde, unter diesen Bedingungen zu schuften. Ich bin froh, dass ich hierher kommen darf. Aus eigenem Antrieb und ohne die Initiative ,Marsch des Lebens’ wäre das wohl nichts geworden.“

Ein Brief mit einer Einladung adressiert an ihren Vater war im Postkasten gelandet. „Ich habe eine E-Mail an Arnulf von Auer geschrieben und mitgeteilt, dass mein Vater leider nicht mehr lebt, ich aber sehr wohl Interesse hätte, nach Hagen zu kommen“, sagt Karolina Wisniewska.

Jetzt ist sie hier. Sie sieht die alten Hallen. Und sie sieht einen Kindergarten, der auf dem Gelände gebaut worden ist, wo einst die Baracken der Zwangsarbeiter standen. Immerhin: ein Zeichen, das Hoffnung macht.