Hagen-Emst. . Sie schätzt Hagen und sieht dennoch überall einen Abwärtstrend. Sie führt als Stadtführerin den Gästen aus der Ferne die vielen liebenswerten Ecken und Winkel vor Augen und sucht dennoch den Absprung. Gabriela Ortwein kehrt im Herbst Hagen den Rücken.

Mit 61 Jahren möchte sie natürlich noch am Leben teilnehmen, abends mal ausgehen, tanzen und genießen. Aber sie spürt gleichzeitig, dass es immer schwieriger wird, ihre Leidenschaften auszuleben. Gabriela Ortwein, seit mehr als einem halben Jahrhundert Hagenerin mit Herz und Verstand, engagiert beim Emster Kulturhof, bei der VHS, im Hasper Hammer, in der AWo und bei der SPD, kehrt in den nächsten Wochen der Stadt den Rücken. Sie sucht ihr Glück in der Freizeitangebotsvielfalt und gediegenen Beschaulichkeit von Bad Pyrmont.

Keine spontane Entscheidung aus dem Bauch heraus, sondern das Ergebnis eines schleichenden Reifeprozesses. „Ich möchte nicht diejenige sein, die hier das Licht ausmacht. Ich fühle mich einfach zunehmend unwohl.“ Den letzten Tritt aus der Stadt heraus haben ihr die Sozialdemokraten verpasst. „Die SPD geht auf lokaler Ebene kaputt. Nichts gegen einen Verjüngungsprozess, aber hier haben sehr gut aufgestellte, taktisch clever geführte und extern beratene Leute mit demokratischen Mitteln die innerparteiliche Demokratie unterhöhlt“, blickt Gabriela Ortwein, zuletzt stellvertretende Vorsitzende im SPD-Ortsverein Emst, auf die jüngsten Entwicklungen. Schon während des Kommunalwahlkampfes hatte sie sich nach gut zwei Jahrzehnten Mitgliedschaft inhaltlich von ihrer Partei abgewendet. „Es herrscht ein Klima der Angst, seine Meinung frei zu äußern. Alle regen sich auf, aber keiner macht etwas. Es gibt so viele Verletzungen, aber der Widerstand versandet immer wieder.“

Bei den laufenden Verjüngungsprozessen in den Reihen der Genossen seien die Urgesteine aus der Arbeitnehmerschaft nicht mitgenommen worden. „Das ist auch eine Form des Werteverfalls, wenn man den Alten keine Achtung und keinen Respekt entgegenbringt“, kritisiert die Emsterin das Karrieredenken um jeden Preis. „Ich wünsche mir, dass sich nur diejenigen in Ämter wählen lassen, die es für die Bürger und nicht für ihre eigene Karriere tun, nur weil die eigene Ausbildung nicht zum Ziel oder ausreichenden Salär geführt hat. Die Ämterhäufung bestimmter Personen in den städtischen Gremien offenbart, dass es zumindest am Verantwortungsbewusstsein mangelt.“ Wie ein adäquater Umgang mit den Themen in Aufsichts- und Verwaltungsräten neben dem Beruf und anderen politischen Gremien möglich sein soll, bleibt für Gabriela Ortwein ein Mysterium. „Das macht es mir leicht, loszulassen.“

Identität und Sympathie

Dabei hat die 61-Jährige, deren Eltern und Großeltern ebenfalls beruflich und in Ehrenämtern schon ihre Lebensspuren in Hagen hinterließen, es verstanden, sich mit ihrer Heimat konstruktiv zu reiben und dabei sich eine kritische Distanz zu bewahren: Abitur am Ricarda-Huch-Gymnasium, Pädagogikstudium an der Hochschule Ruhr in Dortmund (Außenstelle Hagen am Hohenhof), Examensarbeit zur Geografie in Haßley, Lehrertätigkeit bis zum vorzeitigen Ruhestand im Märkischen Kreis, Engagement für die Städtepartnerschaft mit Montluçon, Französisch-Kurse bei der Volkshochschule, Eintritt in die SPD, Mitarbeit bei der AWo, Mitbegründerin des Emster Kulturhofs, Mitglied im Hasper Hammer, Museumspädagogin am Historischen Centrum sowie Stadtführungen für die VHS und die Hagen-Agentur – alles Aktivitäten, die Identität und Sympathie mit der Heimat schaffen und auch in die Seele eines Menschen einbrennen.

„Doch es fällt immer schwerer, die Stadt mit Passion nach außen zu verkaufen.“ Zumal sie seit 20 Jahren – ursprünglich im Rahmen eines Kuraufenthaltes – ihre Leidenschaft für Bad Pyrmont entdeckt hat. Neben dem vielfältigen Kulturangebot, das Gabriela Ortwein auch durch eigenen Chansonabende bereichert, locken sie dort die niveauvollen Kur- und Freizeitangebote, die geringe Feinstaubbelastung und niedrige Kriminalitätsrate, die hohe Zentralität und, und, und. „Letztlich will ich nicht ursächlich aus Hagen weg, sondern nach Pyrmont hin“, freut sich die unternehmungsfreudige Pensionärin auf ihr künftiges Zuhause im Herzen des niedersächsischen Kurortes, das sie lediglich 4,50 Euro pro Quadratmeter kostet.

Niedrige Grundbesitzabgeben

„Natürlich ist dort auch nicht alles rosig, aber ich kann meine Wege zu Fuß erledigen, profitiere von niedrigeren Grundbesitzabgaben und spare mir die Park- und Taxigebühren“, argumentiert sie durchaus materiell. „Als Emsterin muss ich in Hagen, um am gesellschaftlichen und kulturellen Leben teilnehmen zu können, mein Auto benutzen. Das bedeutet aber auch, dass ich noch nicht einmal ein Glas Wein trinken kann, weil die Taktung der Busse in den Abendstunden einfach zu unattraktiv ist, um wieder nach Hause zu gelangen.“

Aber in den eigenen vier Wänden im Schatten des Wasserturms zu versauern, bildet für Gabriela Ortwein alles andere als eine Perspektive: „In Bad Pyrmont liegt das Durchschnittsalter der Bevölkerung nicht höher als in Hagen, aber dort nehmen die älteren Bewohner viel konsequenter und damit sichtbarer am öffentlichen Leben teil.“

Natürlich werde sie immer wieder einmal in Hagen vorbeischauen – wegen der Enkel, der Freunde und Gräber von Großeltern, Eltern und Bruder am Remberg. „Für Stadtführungen stehe ich ebenfalls weiterhin zur Verfügung“, möchte die Hagenerin ihre Heimat auch in Zukunft positiv verkaufen.

Nun kehrt sie der Stadt erst einmal den Rücken: „Ich kann jetzt loslassen.“