Hagen. . Der preisgekrönte Autor Martin Baltscheit erzählt in dem Stück „Tote Pinguine schmecken nicht“ am Theater Hagen, wie Kinder suchtkranke Eltern erleben. Für sie wird es erträglicher, wenn sie sich vorstellen, die betrunkenen Eltern wären Tanzbären. Ein Stück für Kinder ab zehn Jahren.

Martin Baltscheit ist ein vielfach preisgekrönter Autor, der über Themen schreibt, vor denen man als Erwachsener Jungen und Mädchen eigentlich beschützen möchte. Nur lässt das Leben so etwas leider nicht zu. „Tote Pinguine schmecken nicht“ handelt von Kindern mit suchtkranken Eltern. Im Hagener Jugendtheater Lutz ist das Stück jetzt als Uraufführung zu sehen - und zwar in einer ebenso sensiblen wie berührenden Inszenierung.

Die Eltern trinken. Und über diesen Kreislauf von Rausch, Aggression und Katzenjammer vergessen sie Ping und Pong, ihre Kinder. Martin Baltscheit beschreibt die Dynamik der Abhängigkeit minutiös, aber in kindgerecht übersetzten Bildern: die Höhenflüge unter dem Einfluss der Droge, die jederzeit unberechenbar in Gewalt umkippen können, die zunehmende Verwahrlosung. Für Ping und Pong ist diese Situation ebenso unbegreiflich wie unerträglich. Deshalb tun sie so, als ob die Eltern Tanzbären wären – das Tanzen steht für das Saufen – und sie selber kleine Pinguine. Pinguine können nicht fliegen - oder doch nur unfreiwillig, wenn sie die Nüsschen für Papa vergessen: „Du hattest zwei blaue Augen und eine Woche schulfrei“, erinnert sich Ping.

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Die junge Hagener Regisseurin Miriam Michel macht die Psychologie innerhalb der Familie behutsam und in ruhigen Szenen deutlich. Sindy Tscherrig spielt Pong, die Ältere, die Vernünftige, die begreift, dass sie und ihre Schwester viel zu viel ertragen müssen. Charis Nass ist die süße kleine Ping, die wie ein Uhrwerk funktioniert und mit aller Kraft versucht, den Anschein eines normalen Familienlebens aufrecht zu erhalten.

Kinder müssen viel Aushalten

Die Kinder übernehmen die Verantwortung, sie räumen auf, putzen, kaufen ein und kochen. Ping versucht, Entschuldigungen für das Verhalten der Eltern zu finden und will die Vernachlässigung nicht wahrhaben. Pong dagegen: „Wir halten sie aus, auch wenn es nicht zum Aushalten ist.“

Kristina Günther-Vieweg und Firat Baris Ar spielen den Tanz der Bären wie auf der Rasierklinge der Verzweiflung. Der Papabär kann die Demütigungen im Beruf nicht aushalten: „Die Wahrheit liegt im Vergessen.“ Mamabär trinkt mit, weil sie den Mann sonst zu verlieren fürchtet. Die Blicke, die Gesten der betrunkenen Eltern werden in den Augen der Kinder gespiegelt und sind deshalb umso beklemmender. Dabei lässt Miriam Michael es niemals zum Äußersten kommen, es reichen wenige Details, um die Bedrohlichkeit der Situation darzustellen.

Aushalten, das musst Du mir beibringen

Jeremias H. Vondrlik hat ein überdimensionales schiefes Bett als Bühne gebaut. Es ist mit Handläufen eingezäunt. „Der Meister“ bewacht dieses Gehege auf einer Schaukel. Christopher Bruckman spielt ihn als phantastischen Zirkusdirektor mit Akkordeon. Musik übernimmt eine wichtige Funktion, sie sagt das, was die Handelnden nicht ausdrücken können. Miriam Michel hat Melodien und Lieder ausgesucht, mit denen die Situation auf einer zusätzlichen Ebene interpretiert wird.

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Ping hat einen Traum. Zusammen, als Familie, gehen die vier fort, und dafür verkaufen die Eltern sogar ihr Tanzbärenfell. Dabei singen sie alle Pings Lieblingslied, finden also im übertragenen Sinn eine gemeinsame Sprache. Papa sagt zu Pong: „Aushalten, das musst Du mir beibringen. Wenn ich erst einmal was aushalten kann, können wir alles werden.“

Pinguine können nicht fliegen

Doch spätestens, als der Tanzbär die Pinguine im Streit sogar fressen will, müssen die Kinder die Eltern wirklich verlassen. Ping: „Tanzbären verkaufen ihr Fell in Wahrheit nicht. Wir können nicht fliegen, aber wir können gehen.“

Martin Baltscheit erzählt in „Tote Pinguine schmecken nicht“ ein schmerzliches Thema sehr einfühlsam, und zwar so, dass es auch mal etwas zu lachen gibt. Miriam Michel und ihr großartiges Hagener Schauspieler-Team zeigen die Geschichte in unaufgeregten und doch eindringlichen Bildern, ohne Übertreibungen, aber immer auf den Punkt gebracht.

Das Stück ist für Kinder ab zehn Jahren geeignet und im Programm der Aktion „Jeder Schüler ins Theater“, bei der Klassen und Gruppen kostenlos eine Vorstellung besuchen können.

Karten: 02331 / 2073218. Gruppenbestellungen: 02331/207-3223. Termine im Internet www.theaterhagen.de