Hagen. Die Europawahl steht vor der Tür, und die FDP kann laut Umfragen mit nur wenigen Prozent der Stimmen rechnen. Alexander Graf Lambsdorff, Spitzenkandidat der Partei auf europäischer Ebene, bezieht im Interview Stellung zur Energiepolitik, zur Türkei - und zum vermeintlichen Konkurrenten AfD.
Alexander Graf Lambsdorff ist der Spitzenkandidat der FDP für die Europawahl. Im Gespräch redet der 47-jährige Liberale über das Profil der Partei, die AfD und die EU-Energiepolitik.
Die Menschen vermissen die FDP, aber wählen würden sie die Partei nicht. Umfragen zementieren die FDP bei 4 und 5 Prozent. Was müssen die Liberalen tun, um bei den Wählern zu punkten?
Alexander Graf Lambsdorff: Wir müssen die in den vergangenen Jahren verlorene Glaubwürdigkeit Schritt für Schritt zurückgewinnen. Wir wissen, dass das nicht über Nacht geht, das braucht Zeit.
Wie soll das gehen?
Lambsdorff: Seriöse Antworten statt schneller Schlagzeilen. Konzepte statt Klamauk.
Und mit Christian Lindner als Ein-Mann-Schau?
Lambsdorff: Nein, unsere Spitze ist doch breiter aufgestellt, denken Sie an Wolfgang Kubicki. Und auch ich packe ja mit an.
Mit welchen Themen?
Lambsdorff: Wir müssen der Marktwirtschaft eine Stimme geben. Das fängt bei der Forderung nach mehr Wettbewerb bei der Umsetzung der Energiewende an.
In welcher Form?
Lambsdorff: Wir brauchen europaweiten Wettbewerb bei der Energieversorgung, damit unsere Strompreise endlich nicht mehr explodieren. Das ist gut für Familien, und es macht unsere Betriebe wettbewerbsfähiger.
Wie muss man sich das vorstellen?
Lambsdorff: Statt kleinteilige Vorgaben zu machen, setzt die Politik eine Marke X für erneuerbare Energien, sagen wir 35 Prozent im Jahr 2020. Aber wie das Ziel erreicht wird, das überlässt sie den Unternehmen, die das viel besser können als die Politik. Und das muss europäisch gedacht werden, denn zur Zeit fließt Strom über Grenzen nur bei Zufällen, Unfällen oder Notfällen. Das kann es nicht sein.
Sie plädieren für einen europäischen Markt beim Strom? Europawahl 2014
Lambsdorff: Ja. Das dauert, aber die Richtung muss klar sein. Jeder hat etwas davon, jeder Haushalt wird das direkt an der Stromrechnung sehen können.
Wo liegt das Kernproblem?
Lambsdorff: Es gibt kein lebensfähiges Geschäftsmodell für ein internationales Verbundnetz. Die Stromerzeuger wollen nicht, sie profitieren geradezu von der Abschottung.
Wahlkampf der AfD ist "lupenreiner Populismus"
Sind die Rechten in Europa, darunter die AfD, ein Problem?
Lambsdorff: Ja und nein. Populisten und Neonazis sind ein Problem, aber sie werden Europa nicht aus den Angeln heben. Ich sage es nicht gerne, aber alle fünf Jahre vor einer EU-Wahl schreiben die Medien, dass die Rechten das Europaparlament dominieren werden. Und jedes Mal irren sie sich. Nach der Wahl ist das nie ein Thema.
Also aufgebauscht?
Lambsdorff: Ja. Das einzige wirklich ernste Problem in diesem Zusammenhang ist Le Pen in Frankreich. Eine rechte Partei, die in einem der größten EU-Länder die größte Zustimmung erfährt. Das bereitet mir Kopfschmerzen. Aber auch sie hat das Problem all dieser nationalistischen Parteien: Sie können international nicht zusammenarbeiten – und das schwächt sie.
Zurück zur AfD. Eine Partei, die angetreten ist, die FDP zu ersetzen. Eine Gefahr?
Lambsdorff: Nein. Die AfD plakatiert die selben Parolen wie NPD oder ProNRW. Sie zielt im Westen auf den äußersten rechten Rand, im Osten auf die Anhänger der Linkspartei, das ist lupenreiner Populismus.
Wie gehen Sie taktisch mit ihr um?
Lambsdorff: Wir haben eine klare liberale Haltung für gute Wirtschaftspolitik und eine tolerante, weltoffene Gesellschaft. Das ist das exakte Gegenteil der AfD. Dabei bleibt es.
Mit einem ausdrücklichen Ja zu Europa?
Lambsdorff: Ja, weil Europa Frieden und Wohlstand sichert. Schauen Sie doch nur einmal in die Ukraine, da sieht doch jeder, wie gut es ist, dass wir in der EU nur von Freunden und Partnern umgeben sind. Wir wollen den Erfolg der EU. Es wäre Wahnsinn, die Euro-Zone aufzulösen. All das hindert uns nicht, Kritik an der Vielzahl der Kommissare und der ausufernden Bürokratie zu üben.
Für Samstag hat der türkische Premierminister seinen Besuch in Köln angekündigt. Soll er kommen?
Lambsdorff: Ich teile nichts von dem, was er sagt, und ich finde seinen Umgang mit den Protesten in Gezi oder Soma grundfalsch. Aber er ist der Regierungschef eines Nato-Partners. Er wird in Deutschland besser behandelt werden, als er Bundespräsident Gauck in der Türkei behandelt hat.
Sind Sie für einen Beitritt der Türkei in die EU?
Lambsdorff: Nein. Das macht keinen Sinn mehr. In der Türkei werden die Kernelemente einer demokratischen Ordnung verletzt. Es sitzen mehr Journalisten im Gefängnis als im Iran oder in China. Kritik an der Regierung ist verboten. Wer das macht, muss mit Repressalien, auf welche Weise auch immer, rechnen.
Die USA wollen auf lange Sicht die Sicherheit der EU nicht mehr garantieren. Was nun?
Lambsdorff: Das stimmt, von Israel und Palästina einmal abgesehen. Die USA haben weltweit genug Baustellen und kein Interesse mehr daran, ihren Fußabdruck zu vergrößern, von den haushaltspolitischen Problemen einmal ganz abgesehen.
Was heißt das für Europa?
Lambsdorff: Angesichts der unsicheren Lage an den Grenzen der EU, siehe Ukraine, siehe Nordafrika, muss die EU in der Sicherheits- und Außenpolitik mit einer Stimme sprechen.