Hagen. Umsatzrückgänge von bis zu 40 Prozent beklagen Hagener Wirte. Seitdem das Rauchverbot in Kraft getreten ist, kehren die Raucher den Theken den Rücken. Das zumindest sagen jene, die an den Zapfhähnen stehen. Doch laut Dehoga ist das Rauchverbot nicht allein dafür verantwortlich.

Es ist dunkel in der „Engen Weste“. Die Theke zieht sich beinah den gesamten Raum entlang. Holz dominiert das Erscheinungsbild der Kneipe. Die riecht auch danach, und nach Bier, nach Spülmittel – und nach Zigaretten. Carell Radzio raucht nur, wenn ihre Kneipe noch geschlossen hat. So wie jetzt, um 16 Uhr, am Freitagnachmittag.

„Der Weg zur Tür ist weit“, sagt sie, und weiß als Raucherin, dass vielen ihrer (ehemaligen) Gäste dieser Weg zu weit war. Eine Zigarette zum Bier, das gehört einfach dazu: Und so mancher bleibt lieber ganz zu Hause, als jedes Mal zum Rauchen das Etablissement verlassen zu müssen. „95 Prozent meiner Gäste sind Raucher“, sagt Radzio, „und kein einziger Nichtraucher ist seit letztem Mai dazugekommen.“

Zwei zusätzliche Tage geschlossen

Im letzten Mai trat das Nichtraucherschutzgesetz in NRW in Kraft. „Seitdem sind die Umsätze in den Hagener Kneipen um 30 bis 40 Prozent zurückgegangen“, sagt Lars Martin vom Deutschen Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) Hagen. Den Grund dafür sieht er im sinkenden Konsum: Die Raucher würden eben nichts zu trinken bestellen, wenn sie gerade vor der Tür stehen. Doch die Hagener Kneipeninhaber sind geschlossen anderer Meinung: Die Gäste bleiben schlicht weg.

„Bei jeder Zigarette wird das Gespräch unterbrochen, vor allem wenn Raucher und Nichtraucher sich unterhalten“, sagt Thomas Rockstroh. „Die Bierkneipe lebt nunmal von der Stammkundschaft, und wir fühlen uns bevormundet und eingeschränkt“, pflichtet ihm sein Sitznachbar Stefan Kieselbach bei. Die beiden haben Barhocker am Tresen der Kultkneipe „Die Rose“ in der Hagener Innenstadt eingenommen. Seit 20 Jahren sind sie hier Stammgäste. Sahen in dieser Zeit fünf Kneipeninhaber kommen und gehen. Nun steht Sandra Kurella am Zapfhahn, und sie bestätigt: „Ohne das Gesetz wären jetzt doppelt so viele Gäste hier.“

Geknobelt wird zu Hause

An diesem Freitagnachmittag genehmigen sich gerade um die 15 Gäste ein Bierchen in der Eckkneipe. „Vierzig Prozent weniger Einnahmen, das passt“, sagt Kurella, „Früher haben sich regelmäßig Knobelgruppen hier getroffen: Die treffen sich jetzt zu Hause. Und das Knobeln und Kartenspielen gehört zur Ruhrgebiets-Kneipe wie das Pils und die Zigarette.“

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Carell Radzio fügt hinzu: „Auch bei mir ist das Geschäft um 30 bis 40 Prozent zurückgegangen. Vor allem meine ehemaligen Gäste zwischen 20 und 40 Jahren sind komplett weggefallen. Wo die jetzt hingehen – keine Ahnung! Weil ich so viel weniger Zulauf habe, muss ich die ,Enge Weste’ jetzt an zwei zusätzlichen Tagen geschlossen halten. Und auch sonst kommt vor 19 Uhr selten jemand.“

"Ein neues Kneipenkonzept muss her"

Welche Hagener Kneipe man auch betritt, es herrscht Konsens über die Umsatz-Verluste seit dem ersten Mai. „Es gibt viel weniger Thekenkonsum bei uns“, sagt Otto Jung, der erstens Raucher und zweitens Inhaber der „Spinne“ in der Innenstadt ist. „Wir sind hier noch nicht in Bedrängnis, aber die Marktklause musste bereits schließen – ich gehe davon aus, dass das am Nichtraucherschutzgesetz lag.“

Das glaubt auch Sandra Kurella, und Cirosija Stöcker aus der Honselstube sagt: „Wenn ich dieses Jahr schaffe, gehe ich in Rente. Meinen Nachfolger beneide ich nicht – vielleicht muss ein ganz neues Kneipenkonzept her, um sich in Hagen überhaupt halten zu können.“

Auch geändertes Freizeitverhalten hat Einfluss

Lars Martin vom Dehoga Hagen drückt sich etwas vorsichtiger aus: Schuld am Kneipensterben sei nicht ausschließlich das Rauchverbot. „Insbesondere das geänderte Freizeitverhalten und allgemeine Kostensteigerungen tragen ihren Teil dazu bei, dass es immer schwieriger wird, einen Kneipenbetrieb aufrechtzuerhalten“, so Martin. Das Rauchverbot sei dann häufig der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringe.

In der engen Weste zündet Carell Radzio derweil ihre dritte Zigarette in Folge an. „Wir müssen miteinander an einem Strang ziehen“, sagt sie und meint damit die Hagener Kneipeninhaber, „in Hamburg haben sie das Gesetz auch wieder gekippt.“ Für sie als Raucherin hat das Rauchverbot auch auf eine ganz andere Weise Auswirkungen auf ihren Umsatz: Jedes Mal, wenn sie selbst zum Rauchen vor die Tür geht, kann sie nicht ausschenken.

„Jetzt aber mal lüften“, sagt sie, und vertreibt die letzten Rauchschwaden mit der ausgestreckten Hand. Schließlich öffnet ihre Kneipe bald. Und geraucht werden darf hier nun mal nicht mehr.