Altenhagen. . Wenn Regina Kurch zum Vorlesen bei Anneliese Herrmann vorbeischaut, entwickeln sich sehr schnell anregende Gespräche.
Inzwischen ist der Gang schon fast Routine für Regina Kurch: Fünf Treppen runter, links in den Fahrstuhl, hoch in die Fünfte, geradeaus, links, zweite Tür links. In der Tür steht schon Anneliese Herrmann und erwartet ihren Besuch.
Seit mehr als einem Vierteljahr treffen sich die beiden regelmäßig. „Und ich glaube, wir freuen uns jedes Mal beide darauf“, fügt Kurch hinzu. Alle zwei Wochen besucht sie die 90-Jährige und liest ihr aus der Zeitung vor.
Artikel-Lektüre zum Diskutieren
Selbst kann Herrmann kaum noch lesen. Sie leidet an Makuladegeneration, die allmählich das Sehen im zentralen Sehbereich einschränkt. Doch Überschriften erkennt die Seniorin noch gut genug. „Was mich interessiert, kreuze ich vorher immer an“, erklärt sie. Das sind meistens längere Artikel, vor allem aus Politik und Wirtschaft. Über die gelesenen Artikel reden die beiden dann gerne. Oft schweifen sie dabei auch vom Thema ab. „Wir reden dann über menschliche Probleme oder über gesellschaftliche oder politische, oder, oder, oder“, fasst Frau Herrmann die Diskussionen zusammen. Eigentlich bleibt die „Vorleserin“ für etwa drei Stunden da, gerne aber auch mal länger: „Wir können uns einfach so schwer voneinander trennen.“
Dabei konnte Kurch, die seit März im Ruhestand ist, sich eigentlich kaum vorstellen, ehrenamtlich aktiv zu werden. Doch dann entdeckte sie einen Artikel in der Ehrenamtsecke unserer Zeitung. Ehrenamtliche für die Betreuung von Demenzkranken wurden da gesucht. Kurz entschlossen meldete sie sich bei der angegebenen Nummer und vereinbarte einen Termin mit Regina Erdmann von den Johannitern. Eher beiläufig erwähnte die Johanniterin zum Ende des Gesprächs die Möglichkeit, auch als „Seniorenbegleiterin“ aktiv zu werden. Nach einem gemeinsamen Besuch bei der Seniorin war schnell klar, dass die Chemie zwischen „Frau Regina“ und „Frau Anneliese“ einfach stimmte. „Bei den beiden hat es auf Anhieb gepasst“, bestätigt auch Regina Erdmann.
Chemie muss stimmen
Der 90-Jährigen war es vor allem wichtig, jemanden zu finden, der gut und flüssig vorlesen kann. Auf die Idee, überhaupt einen „Vorleser“ zu suchen, brachte Erdmann sie an ihrem Geburtstag. Die Mitarbeiterin bei den Johannitern kümmert sich nämlich um die Vermittlung von „Seniorenbegleitern“. Dabei achtet sie vor allem darauf, dass die Chemie zwischen Senior und Begleiter stimmt. Die Begleiter übernehmen oft auch andere Aufgaben und gehen mit den Senioren zum Beispiel gemeinsam ins Theater.
Doch Anneliese Herrmann wusste ganz genau, was sie suchte: „Ich wollte nur jemanden zum Vorlesen. Wenn daraus dann das ein oder andere Gespräch entsteht, ist das natürlich schön.“ Und dafür hat ihr Regina Erdmann genau die Richtige ausgesucht. Aber inzwischen ist Regina Kurch für die Seniorin schon mehr als nur „die Vorleserin“.