Hagen.
Als jene Frau in Bethanien den Hals des Alabasterfläschchens abbrach und das parfümierte Öl über Jesu’ Kopf goss, kritisierten einige Gäste die scheinbare Verschwendung der kostbaren Flüssigkeit. Vielleicht verstanden sie die Geste nicht, schließlich sagte die Frau kein einziges Wort. „Die Salbung ist ein Segenszeichen“, erläutert Pfarrer Hans-Joachim Welz. „Wer gesalbt wird, stellt sich unter den Schutz Gottes.“
Die evangelische Stadtkirche hat den biblischen, über die Jahrhunderte verschütteten Brauch der Salbung mit Öl wiederentdeckt. Mit einem Team ehrenamtlicher Mitarbeiter lud der Pfarrer im Ruhestand am Sonntag zu einem Salbungsgottesdienst in die Johanniskirche ein. Dabei wurden die Gläubigen mit biblischem Öl gesalbt, dessen Ingredienzen im 2. Buch Mose, Kapitel 30, beschrieben werden: Zimt, Kalmus, Cassia und Myrrhe. Diese Pflanzenbestandteile werden mit Olivenöl gemischt und den Menschen sodann auf die Stirn und die Handinnenflächen aufgetragen. „Die direkte, zarte Berührung der mit Öl segnenden Hände kann befreien, aufrichten und stärken“, so Pfarrer Welz.
Der Geistliche nahm die Salbung nicht selbst vor, sondern überließ es seinen Helfern, die Menschen mit dem Öl zu segnen. Denn Welz wollte verhindern, dass der Gottesdienst eine übermäßig klerikale Färbung annahm.
Kein sakramentaler Charakter
Er betonte denn auch, dass die Salbung, anders als in der katholischen Kirche, wo sie bei Taufe, Firmung, Priesterweihe und letzter Ölung eine Rolle spielt, keinen sakramentalen Charakter besitze. Schon gar nicht handele es sich um eine magische Geste oder einen obskuren Heilungsritus. „Nein, die Salbung ist ein Zeichen der Ermutigung für das Leben im Alltag.“ Segnungs- und Salbungsgottesdienst sind eine stille, sinnliche Zusammenkunft, die den ganzen Menschen anspricht, Körper und Seele, Denken und Fühlen. Zu den Helfern, die ihre Finger in das mit dem Öl gefüllte Schälchen tunkten und anschließend das Zeichen des Kreuzes auf Stirn und Hände der Gläubigen auftrugen, gehörte Lutz Waschinski (69). Bei Salbungen mache er immer wieder die Erfahrung, dass diese Handlung den Menschen gut tue, berichtete der Gemeinde-Mitarbeiter: „Die Leute spüren, dass da etwas mit ihnen geschieht.“