Hagen. . Antonin Dvoráks „Stabat mater“ hat in Hagen einen berührenden Auftakt in die Passionszeit geliefert. Mit dem Philharmonischen Chor Hagen hat Florian Ludwig Sängerinnen und Sänger, die dieses gewaltige Opus ebenso kompetent wie kultiviert umsetzen können.

Eine Mutter beweint ihren toten Sohn. Das ist ein universelles Bild von archaischer Wucht. Es war wohl ein Franziskanermönch, Jacopone da Todi, der diese Situation um 1300 in Worte fasste. Kein Wunder, dass das „Stabat mater“ die Zeiten überlebt hat und immer wieder neu vertont wird.

Auch der Katholik Antonin Dvorák hatte Anlass, Gott zu fragen, warum er ihm drei Kinder genommen hat. Sein „Stabat mater“ ist die umfassendste der bedeutenden Kompositionen des Textes. Generalmusikdirektor Florian Ludwig interpretiert das große Werk jetzt mit den Hagener Philharmonikern als ein tief zu Herzen gehendes Gebet. Denn „Fac“ rufen die Chöre und „Fac“ flehen die Solisten den Herrn an: „Tu“. Tu was. Mach, dass es nicht wahr ist. Und wenn es doch wahr ist, Herr, dann mach, dass ich es ertragen kann.

Mit dem Philharmonischen Chor Hagen hat Florian Ludwig Sängerinnen und Sänger, die dieses gewaltige Opus ebenso kompetent wie kultiviert umsetzen können. Ein herausragendes Solistenquartett nähert sich dem Notentext stimmschön und ausdrucksstark. Und die Philharmoniker spielen so leidenschaftlich und so konzentriert, dass die Bravorufe und der Beifall im Stehen am Ende mehr als verdient sind.

Das ist ja ein Wiegenlied! „Tui nati vulnerati“ singt der Chor, „Dass ich weiß, was ich verschuldet“, und der Sechsachteltakt verweist in der Todesstunde Christi ausdrücklich auf seine Geburt als Menschensohn - und auf die Tatsache, dass er nicht einfach stirbt, sondern sich opfert, um uns alle zu erlösen. Wie soll man dieses Wunder als Menschlein begreifen können?

Klangkontraste und Dramatik 

Florian Ludwig verzichtet in seiner Deutung darauf, die Partitur allzu romantisch zu lesen. Mitunter wackelt es ein wenig, aber Ludwig setzt auf Klangkontraste, auf Dramatik, auf den Gegensatz von Trauer und Trost. Es geht dem GMD um Wahrhaftigkeit.

Um unsagbare Verzweiflung, wenn sich das Solistenquartett im „Quis est homo, qui non fleret“ fast bis zur Tonlosigkeit in das Leid der Mutter Christi einfühlt. Um den protestierenden Aufschrei, mit dem im „Inflammatus“ das jüngste Gericht in barocken Schreitrhythmen beschworen wird. Um das bange Herzklopfen der Holzbläser im „Fac, ut portem Christi mortem“.

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Das „Ich“, das im stillen Gebet Zwiesprache mit der Schmerzensmutter hält, ist die Hauptperson in Dvoraks Komposition. Und dieses „Ich“ tritt in verschiedener Gestalt auf: als Gemeinde repräsentiert durch den Chor, aber auch individuell in den Solisten. Rena Kleifeld ist eine Altistin mit blockflötendunklem Timbre und berückend weicher Linienführung.

Bassbariton Rolf A. Scheider singt „Fac, ut ardeat cor meum“ mit glühender Unterstützung der Blechbläser als mystische Versenkung in die Passion. Sopranistin Melanie Maennl hat eine wunderbare Stimme, die sie in diesem geistlichen Werk leider mit unpassend starkem Vibrato einsetzt.

Dass Tenor Dominik Wortig studierter Kirchenmusiker ist, merkt man in jedem Takt. Sein „Fac me vere“ erklingt zunächst wie eine ganz schlichte, fast schon kindliche Anrufung - und dann in der Wiederholung plötzlich leuchtend und geheimnisvoll als Versprechen, das eigene Leben dem Gekreuzigten zu weihen. Doch zum Schluss nimmt Wortig seine unvergleichlich schöne und große Tenorstimme wieder zurück und erzeugt gerade in dieser Reduktion eine Glaubenszuversicht, die tiefer berührt als mancher Gottesdienst.

Flehen um Erlösung 

Dieses Drama im Kleinen bildet das Zentrum des Werks. Ihm steht der große Schlusschor gegenüber: „Quando corpus morietur“: Hier zelebriert Florian Ludwig ein anschwellendes Flehen um Erlösung, eine gigantische Bitte, deren „Amen“ nicht zum Triumphgesang wird, sondern leise und staunend in der Ahnung von Heilsgewissheit verklingt.

Einen besseren Auftakt der Passionszeit als mit diesem „Stabat mater“ kann man sich nicht denken. Und Florian Ludwig musste beim Dirigieren ebenfalls eine Leidensgeschichte ertragen, denn er hat sich die rechte Schulter ausgerenkt, wollte dieses wichtige Konzert aber keinesfalls abgeben. Dass die Hagener Stadthalle ausverkauft war, entspricht der absoluten Erstklassigkeit des Programms und der Mitwirkenden.