Breckerfeld. 68 Jahre ist es her, das der holländischen Widerstandskämpfer Aldert Klaas Dijkema erschossen wurde. Sein angeblicher Mörder lebt heute in Breckerfeld. Doch der 91-jährige Siert B. bestreitet die Tat. Die Staatsanwaltschaft Dortmund hat nun die Ermittlungen aufgenommen.

Der Vorwurf lautet Mord. 68 Jahre nach der Tat nimmt die Staatsanwaltschaft Dortmund die Ermittlungen wieder auf. Als NS-Kriegsverbrecher im Visier steht der 91-jährige Breckerfelder Siert B.. Er wird beschuldigt, im September 1944 den holländischen Widerstandskämpfer Aldert Klaas Dijkema hinterrücks erschossen zu haben. B. bestreitet die Tat, und seine Nachbarschaft im beschaulichen Altenbreckerfeld empört sich über die neuen Ermittlungen.

„Damit muss doch mal Schluss sein“, sagt eine 73-Jährige, „das war doch im Krieg.“ Sie wohnt seit mehr als 50 Jahren im Haus gegenüber und schätzt B. als guten Nachbarn. Ja, es war im Krieg, im Zweiten Weltkrieg. Der junge Holländer war unter deutscher Besatzung in den Sicherheitsdienst (SD) der Nationalsozialisten eingetreten. Sie nahmen den Widerstandskämpfer fest und töteten ihn dann gezielt. Heimtückisch. Deshalb ermittelt der Dortmunder Staatsanwalt Andreas Brendel nun wegen Mordes.

Mord verjährt nicht

Mord verjährt nicht. Jahrzehntelang hatte die deutsche Justiz solche Verbrechen als Totschlag gewertet, und Totschlag unterliegt der Verjährung. Der Tod von Dijkema ist daher bis heute ungesühnt. B. sagt, nicht er, sondern sein Vorgesetzter August Neuhäuser habe geschossen, damals im niederländischen Appingedam. Ein holländisches Sondergericht hatte den Beschuldigten 1949 zum Tode verurteilt. In Abwesenheit, denn B., der in den holländischen Archiven als „Bestie von Appingedam“ bezeichnet wird, war zu dem Zeitpunkt untergetaucht.

Als er Mitte der 1970er Jahre in Deutschland entdeckt wird, lehnt die Bundesrepublik seine Auslieferung an die Niederlande ab. Ein Erlass von Adolf Hitler vom 19. Mai 1943 verlieh Ausländern, die in nationalsozialistischen Verbänden Dienst leisteten, die deutsche Staatsbürgerschaft. Und eine Auslieferung deutscher Staatsbürger, wie sie inzwischen innerhalb der EU in Ausnahmefällen nach dem Gesetz zum Europäischen Haftbefehl möglich wäre, ließ das Grundgesetz nicht zu.

B. beteuert, dass er nur Zeuge war 

„Der Führer schützt die Mörder noch“, empörte sich schon vor neun Jahren der niederländische Schriftsteller Leon de Winter. „Einige Dutzend, wenn nicht gar Hunderte von Massenmördern“, so schätzte der Autor, seien in den Nachkriegsjahrzehnten durch den Führererlass geschützt worden. Unter ihnen auch Herbertus Bi., der lange unbehelligt in Hagen-Haspe lebte.

B. flüchtete ganz in die Nähe nach Breckerfeld; dort baute er ein kleines Unternehmen auf, das bis heute im Besitz der Familie fortgeführt wird. Kinder und Enkelkinder sind um ihn. Seine Ehefrau öffnet die Haustür. „Kein Kommentar“, wiederholt sie, was sie bereits am Telefon gesagt hat. Ihr Mann wolle über die Vorgänge nicht sprechen. „Mach die Tür zu“, ruft Siegfried B., wie er sich als Deutscher nennt, mit kräftiger Stimme aus dem Innern des Hauses. „Sie hören es“, sagt seine Frau und folgt der Aufforderung. Tür zu.

Siegfried B. gibt zu, dabei gewesen zu sein

Der weißhaarige Greis hat sich zuletzt Ende Juli vor der Kamera von „Panorama“ geäußert und zugegeben, dass er bei der Erschießung von Dijkema dabei war. Er sei mit Neuhäuser und dem Gefangenen am späten Abend im Auto vom Posten Delfzijl in Richtung Appingedam gefahren. „Unterwegs blieb das Auto stehen und Neuhäuser sagte: ,Hier müssen wir hin.‘ Dann sind wir ausgestiegen und die Straße entlang gelaufen. Und dann hörte ich auf einmal einen Schuss und habe mich erschrocken. Und der Mann fiel um.“ Er habe, sagt B., nicht mitbekommen, wie Neuhäuser die Waffe gezückt und Dijkema erschossen hat.

Zusammen mit dem längst verstorbenen Neuhäuser hatte sich B. 1980 vor dem Landgericht Hagen wegen der Ermordung zweier jüdischer Brüder am 25. April 1945 in Delfzijl verantworten müssen. Er wurde zu sieben Jahren Haft verurteilt und saß fünf Jahre ab. Seither war Gras über die Sache gewachsen; das Ermittlungsverfahren wegen des Todes von Aldert Klaas Dijkema war von der deutschen Justiz eingestellt, ein Vorstoß des niederländischen Justizministers aus dem Jahr 2003 abgewiesen worden.

Der Wohnsitz des mutmaßlichen NS-Verbrechers.
Der Wohnsitz des mutmaßlichen NS-Verbrechers. © Petra Kappe

Erst der Prozess gegen den SS-Mann Heinrich Boere, den das Landgericht Aachen vor zwei Jahren wegen heimtückischen Mordes verurteilte, löste ein Umdenken bei der Dortmunder Staatsanwaltschaft aus. Möglicherweise sei die Erschießung von Dijkema doch als Mord zu werten. 68 Jahre nach der Tat.