Hagen.

Die Etablierten in den Reihen der Hagener SPD zählen ihn ein wenig despektierlich und mit der gewachsenen Überheblichkeit des ewigen Dabeiseins noch zu den so genannten „Kleinen Strolchen“. Noch. Denn am heutigen Samstagnachmittag soll der 30-Jährige zum Frontmann für knapp 1700 Genossen in der Stadt gewählt werden. Timo Schisanowski steigt vom Juso-Chef zum Vorsitzenden der Gesamtpartei auf. Für den aufstrebenden Hasper, der auf der politischen Karriereleiter sich seit zwölf Jahren kontinuierlich im Vorwärtsgang bewegt, absehbar nur ein Etappenziel.

Noch spricht er artig und mit glaubhaft vorgetragener Ernsthaftigkeit von seiner „größten politischen Herausforderung“ und dem „Respekt vor der neuen Verantwortung“. Noch. Mit seinen rhetorischen Fähigkeiten und der ihm ureigenen, instinktiven Sensibilität für zielstrebiges Politikhandeln und Mehrheitsbeschaffung ist dem Stipendium-dekorierten Einser-Abiturienten des Christian-Rohlfs-Gymnasiums, der bis heute im Haus seiner Eltern auf dem Tücking lebt, durchaus zuzutrauen, dass er in kürzester Zeit erlernt, die Hebel der neuen Machtfülle für eine erfolgreiche lokalpolitische Arbeit zu nutzen. Aber auch für sein persönliches Vorankommen.

Nachfolger von Jürgen Brand

Als 17-Jähriger nahm der ewige Jura-Student (cand. jur.), der jetzt die Nachfolge des renommierten und promovierten NRW-Verfassungsrechtlers Jürgen Brand antritt, erstmals Tuchfühlung zur Hagener Sozialdemokratie auf. Damals ein Erstkontakt im Rahmen einer Mitgliederversammlung, der zunächst noch ohne politische Folgen blieb. Noch. Denn politisiert von der Spät-Ära Helmut Kohls und fasziniert von einem SPD-Bundestagswahlkampf mit Kanzlerkandidat Gerhard Schröder unter dem Slogan „Innovation und Gerechtigkeit“ fand der Jugendliche vom Hasper Steinplatz schließlich im Februar 2000 in die SPD: „Damals noch ganz ohne Karriere-Ambitionen“, versichert Schisanowski. Noch. Bereits wenige Monate später schlitterte der aus einem SPD-nahen Elternhaus (Bäcker und Erzieherin) stammende Junggenosse aus Mangel an weiteren Interessenten an der Seite des Vorsitzenden „Fitz“ Lange als Beisitzer in den Vorstand des SPD-Ortsvereins Haspe-Süd. Heute führt er den roten Außenposten im Hagener Südwesten.

Parallel suchte er die Nähe zu den Jusos. „Schließlich hatte ich Interesse, mit Gleichaltrigen Politik zu machen. Aber zu Beginn kannte ich dort noch gar keinen“. Noch. Fünf Jahre später wurde der Leichtathlet zum Vorsitzenden der SPD-Nachwuchsorganisation gewählt. Damals war Schisanowski auch schon Mitglied des Stadtrates – ein Hasper Personalvakuum hatte den damals 23-Jährigen als jüngstes SPD-Fraktionsmitglied ins Stadtparlament gespült. Damit gehört er jener Genossen-Generation an, die es nach den fetten Jahren absoluter SPD-Mehrheiten in Hagen gar nicht anders kennt, als um die Stimmen der Bürger kämpfen zu müssen und somit Wahlergebnisse keineswegs als Selbstläufer betrachtet.

Finessenreicher Parteiarbeiter

Jetzt also der nächste Schritt: Nach Monaten und Jahren der partei- und fraktionsinternen Selbstzerfleischung und zermürbenden Flügelkämpfen mit fataler Außenwirkung wird der inzwischen keineswegs mehr unerfahrene Jung-Sozialdemokrat, der als finessenreicher Parteiarbeiter gilt, zur Schlüsselfigur im fragilen Burgfrieden-Geflecht der Hagener SPD. Ein Hoffnungsträger im Dschungel der Fallensteller, Hinterzimmer-Klüngler und politischen Intriganten. Die Lektion, dass sich hinter dem Begriff Parteifreund meist die ärgsten Feinde verbergen, hat der 30-Jährige längst hinter sich.

„Es ist unser aller Aufgabe, die Flügel wieder zusammenzuführen“, nimmt Schisanowski die Gesamtpartei in die Pflicht. „Ich verfolge eine Politik der Einladung, bei der jeder aufgerufen ist, aktiv mitzumachen“, schiebt er einen Teil der Verantwortung auf die Schultern der Mitglieder weiter. Dabei möchte er im Unterbezirksvorstand den Fokus wieder auf die inhaltliche Arbeit richten und somit die Lähmung durch die während der Jürgen-Brand-Ära dominierenden personalpolitischen Querelen überwinden. „Wir müssen aufhören, uns mit uns selbst zu beschäftigen, sondern verlorenes Vertrauen in der Bevölkerung zurückgewinnen und mit Blick auf die Kommunalwahl 2014 durch Geschlossenheit und ein attraktives Polit-Angebot überzeugen“, weiß der künftige Vorsitzende einzuschätzen, dass die SPD bei der inhaltlichen Arbeit beinahe wieder an der Null-Linie beginnt.

„SPD in Hagen mehrheitsfähig“

Naiven Illusionen, dass dieser Wiederaufbruch in totaler Harmonie gelingt, gibt sich der Hasper dabei gar nicht erst hin. Entsprechend dürfte sein Wahlergebnis – obwohl es keinen Gegenkandidaten gibt - sich weniger an den verdächtig imposanten Resultaten eines Zentralkomitees orientieren, dafür aber das politische Attribut „ehrlich“ verdienen. Dennoch - die Aufgabe, die Flügel der Hagener SPD zusammenzuführen, um wieder erfolgreichere Wahlen zu bestreiten, duldet keine Alternativstrategien: „Die SPD war und ist in Hagen strukturell mehrheitsfähig“, beschwört Schisanowski die Genossen.

Wo bleibt angesichts dieser Herausforderungen jedoch die Luft, das bislang vorzugsweise zäh sich dahin ziehende Jura-Studium zumindest bis zum erfolgreichen ersten Staatsexamen voranzutreiben? Trotz aller Umwege durch BWL-Versuchssemester und Praxisphasen bei der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers lässt sich kaum beschönigen, dass Schisanowski bei aller politischen Zielstrebigkeit dieses Talent in der vergangenen Dekade eher zurückhaltend auf seine Hochschulausbildung übertragen hat. „Ich habe natürlich den Anspruch an mich selbst, das juristische Staatsexamen noch abzulegen“, weiß der wissenschaftliche Mitarbeiter der SPD-Ratsfraktion in Iserlohn durchaus, dass ihm dieser erste Studienabschluss auch berufliche Türen öffnen könnte. Ein Abschluss, der beispielsweise auch Wolfgang Clement für seine respektable politische Karriere ausreichte. Ob sich auch heute 35 Jahre lang in der Politik überleben lässt, diesen Beweis müsste Schisanowski noch antreten.

Noch. Seine nächsten gedanklichen Entwürfe, so wäre in der Hagener SPD niemand überrascht, orientieren sich in Richtung Europa. Während SPD-Fraktionschef und Schisanowski-Weggefährte Mark Krippner eher auf den OB-Sessel schielt, soll der künftige Unterbezirksvorsitzende sich durchaus zutrauen, die amtierende heimische, aus Soest stammende Europa-Parlamentarierin Birgit Sippel (Wahlkreis Südwestfalen) zu beerben. Konkrete Fragen dazu beantwortet der findige Instinkt-Stratege noch mit einem schweigenden Lächeln. Noch.