Hagen.

Das Fällen von 96 Laubbäumen entlang der Knippschildstraße ließ im Sommer nicht nur Öko-Kriegern vor Wut die Tränen in die Augen steigen. Die Argumentation der Stadt, dass es dies dem Schutz der Bevölkerung diene, wollte niemand hören.

Es wird auch nicht die letzte Aktion dieser Art bleiben: Sowohl am Ischeland, an der Stadtgartenallee sowie rund um den Hohenhof müssen in den nächsten Monaten so manche umsturzgefährdeten Stämme fallen. Unsere Zeitung sprach mit Forstamtsleiter Horst Heicappell und seinem für Verkehrssicherung zuständigen Kollegen, Forstwirt Nils Böcker, über die Situation in Hagen.

Frage: Die Fällaktion in der Knippschildstraße hat den Bürgern die Zornesröte ins Gesicht getrieben, jetzt sollen auf Emst zwischen Cunostraße und Autobahn wieder 93 Bäume auf 400 Metern Länge fallen. Ist dieses drastische Vorgehen wirklich immer notwendig?

Nils Böcker: Natürlich ergreifen wir diese Maßnahmen nicht aus Lust und Laune. Hier handelt es sich vorzugsweise um Pappeln, deren Standfestigkeit auf dem angeschütteten Wall nicht mehr gewährleistet ist. Es heben sich schon die Wurzelteller, und die Bäume drohen auf die Autobahn zu stürzen. Letztlich handelt es sich an dieser Stelle um die falsche Bepflanzung. Wir werden jedoch nur die gefährdeten Bäume absägen. Diese schlagen dann wieder aus und entwickeln sogar eine noch bessere Lärmschutzwirkung als bisher. Lärmschutzwälle in dieser Art sind schon von der Konzeption her falsch angelegt worden. Hier fehlt sowohl die Stufigkeit als auch die sinnvolle Bepflanzung. Wir wollen jetzt aber die wesentliche Funktion erhalten, nämlich den Lärm- und Emissionsschutz. Diese Effekte sind unbestritten: Hinter einer offenen Autobahn lassen sich in 100 Metern Entfernung noch Fein- und Bremsstäube feststellen, bei einem bewaldeten Wall ist nach zehn Metern Schluss.

Frage: Aber die Bäume an der Knippschildstraße standen keineswegs auf einem Wall, sondern waren in dem Forst rund um den Waldfriedhof Loxbaum bereits seit Jahrzehnten fest verwurzelt – warum dann dort ein so radikales Vorgehen?

Horst Heicappell: Es handelte sich um ein Relikt des Eichen-, Robinien- und Buchenmischbestandes aus den 70er Jahren, das zur Begrünung des Friedhofes diente. Dort zeigten auf einer Länge von 340 Metern von 96 Bäumen exakt 42 Exemplare akute Versagenssymptome. Wir hätten also theoretisch 54 Stämme auch stehen lassen können. Doch diese wären dann plötzlich dem Westwind ausgesetzt gewesen und hätten eine große Angriffsfläche geboten. Angesichts der besonderen Situation mit dem Friedhof dahinter wäre es – im Gegensatz zu einer Waldsituation – nicht zu verantworten gewesen, dieses Sturmrisiko einzugehen.

Böcker: Grundsätzlich sind Baumstandorte entlang der Straßen nicht optimal. Bei Arbeiten an Straßengräben kann es zu Wurzelverletzungen kommen, hinzu kommen viele weitere Stressfaktoren wie Aerosole oder auch Streusalz. Die entsprechenden Mangelsymptome sind von außen oft nicht erkennbar. Dennoch müssen wir oft prophylaktisch handeln, und das ist dann für Laien kaum nachvollziehbar. Doch wir forsten ja mit stadtklimaresistenten Gehölzen – zum Beispiel Vogelkirschen – auch wieder auf. Sowohl an der Knippschildstraße, aber auch den Tücking hinauf bilden sich zurzeit wieder natürliche Waldsäume, die den Forst viel besser schützen und zudem noch beste Nist- und Brutmöglichkeiten bieten. Diese Vegetation ist also besser für den Wald, für uns einfacher zu pflegen und obendrein sicherer für die Bürger.

Frage: Sind die gesetzlichen Auflagen inzwischen so starr, dass Ihnen kein Spielraum für Lösungen mit mehr Fingerspitzengefühl bleibt?

Heicappell: Nicht erst seit dem Meschede-Urteil bewegen wir uns in einem schwierigen Spannungsfeld zwischen Gutachtern und Richtern. Ich wünsche mir, dass die Umweltverbände uns hier auf politischem Weg unterstützen. Die Verkehrssicherungspflicht schlägt heute bis zum letzten Mitarbeiter durch. Wir müssen also schon allein deshalb handeln, um auch unsere Leute vor juristischen Konsequenzen zu schützen. Unsere Maßnahmen in großem Stil sind nicht etwa gegen die Natur gerichtet, sondern wir versuchen lediglich, der Rechtsprechung genüge zu tun. So hat beispielsweise das OLG Bamberg vor zwei Jahren nach einem Astabbruch auf ein Auto entschieden, dass eine Vergabelung an einem Baum grundsätzlich als Ausbruchgefährdung zu werten sei. Solche Druckzwieseln gibt es aber in fast jeder Krone – sollen wir da jetzt systematisch hinterhersägen? In einem anderen Fall hat das OLG Köln nach einem Orkan, bei dem eine 65-jährige Fichte auf ein Nachbargrundstück gestürzt war, den Waldbesitzer haftbar gemacht, weil allein das Alter des Baumes Anlass zu Sicherungsmaßnahmen gebe. Sollen wir künftig jeden Stamm, der in die Jahre gekommen ist, fällen? Wir reden hier von Lebewesen, die auf ihre Umwelt reagieren. Vor allem bei den Wurzeln sind Defizite oft nicht sichtbar. Und so werden wir auch wieder einen Fehler machen. Wenn die Rechtsprechung sich so weiterentwickelt, bleibt den privaten Waldbesitzern kaum noch Luft zum Leben, und es werden sicherlich eines Tages auch wieder Sperrungen ausgesprochen.

Frage: Wie hoch ist inzwischen der Kontrollaufwand des städtischen Forstamtes?

Böcker: Entlang der offiziellen Wander- und Walkingwege, der Mountainbike- und Reitstrecken sowie an den Straßen und Waldbebauungen betreuen wir Außengrenzen von 270 Kilometern. Die Kontrollen von Kronen, Stämmen und Wurzeln sowie die Abarbeitung der erforderlichen Maßnahmen binden inzwischen 60 Prozent unserer Arbeitszeit. Als nächstes werden wir die Lindenallee am Stadtgarten freischneiden. Hier müssen etwa 80 Gefahrenbäume entfernt und die Linden baumpflegerisch saniert werden.

Heicappell: Wir hecheln letztlich immer nur hinterher. Wir haben im Moment einen pflegerischen Stau im Volumen von etwa zwei Millionen Euro. Wir können immer nur hoffen, dass alles gut geht, doch bei jedem Sturm treibt uns schon große Sorge um.