Hagen. Zu den 48 Mitarbeitern, die TWB Presswerk infolge der Insolvenz entlassen hat, gehört auch hans Albert Flick. Obwohl er schwerbehindert ist.

Wenn man in fortgeschrittenem Alter ist, auf eine längere Betriebszugehörigkeit zurückblickt und vor allem unter einer Schwerbehinderung leidet, ist man unkündbar. Sollte man meinen. Hans Albert Flick ist 55 Jahre alt, seit sieben Jahren bei TWB Presswerk beschäftigt und trägt mehrere Schrauben in der Wirbelsäule mit sich herum. Außerdem fehlt ihm der rechte Mittelfinger. Flick ist zu 50 Prozent schwerbehindert, so steht es in seinem Ausweis. All das schützte ihn nicht vor der Entlassung.

Seit acht Tagen geht er stempeln. 48 Mitarbeiter erhielten infolge der Insolvenz des Automobilzulieferers in der Sedanstraße ihre Papiere, Flick gehörte dazu. Er sei zum Meister ins Büro bestellt worden, habe Stechkarte und Schlüssel abgeben müssen: „Seitdem kann ich die Firma nicht mehr betreten.” Die Entlassung erfolge nach den Kriterien des Sozialplans, habe ihm der Meister noch nachgerufen.

Firmeneigentum

Tags darauf erreichte Flick ein Brief des Insolvenzverwalters Achim Thiele. Er solle doch etwaiges Firmeneigentum wie Laptops oder Handys bitteschön zurückgeben, forderte der Rechtsanwalt den Maschinenbediener auf. Jedoch: „Sollte Ihnen ein Dienstwagen zur privaten Nutzung überlassen worden sein, steht Ihnen dieser bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zur Verfügung.” Aus dem Schreiben - offenbar ein Musterbrief, den alle entlassenen TWB-Beschäftigten erhalten haben - erfuhr Arbeiter Flick auch, dass er zunächst einmal „freigestellt”, die Kündigung jedoch „beabsichtigt” und „unwiderruflich” sei.

Derlei Standardschreiben dürften eigentlich nicht verschickt werden. Das meint Werner Voßeler, IG-Metall-sekretär in Hagen: „Mit solchen Floskeln werden die Gekündigten doppelt getreten. Sie werden nicht mehr als Person wahrgenommen.” Die Gewerkschaft werde Flick beim Gang vors Gericht mit voller Kraft unterstützen.

Trumpf im Ärmel

Und Flick, er hat noch einen Trumpf im Ärmel. Er sagt, als Schwerbehinderter könne ihm gar nicht gekündigt werden, das habe ihm die Dame vom Integrationsamt versichert. Das Integrationsamt ist eine Behörde des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe in Münster, die die Teilhabe schwerbehinderter Menschen am Arbeitsleben überwacht. Will ein Arbeitgeber einem schwerbehinderten Mitarbeiter kündigen, muss er dafür die Zustimmung des Integrationsamtes einholen. Versäumt er das, hat der betroffene Mitarbeiter schon die ersten Pluspunkte für eine erfolgreiche Kündigungsschutzklage gesammelt.

Seine Dienststelle habe keineswegs die Befugnis, jedweder Kündigung eines Schwerbehinderten die Zustimmung zu verweigern, erläuterte Joachim Brüggemann vom Integrationsamt: „Wir dürfen ja nicht den Arbeitsrichter spielen.” Vor allem bei betriebsbedingten Kündigungen, denen auch noch ein Sozialplan zugrunde liege, könne man nicht viel für den Betroffenen tun. Anders sei es, wenn der Sozialplan „offensichtlich rechtswidrig” sei. Doch das komme äußerst selten vor.

Sozialplan

Auch bei TWB hat man sich beim Erstellen des Sozialplans an die gängigen Punktesysteme gehalten. Der Betriebsrat habe „eine schwierige, aber notwendige Verantwortung” übernommen, sagt dessen Vorsitzender Admir Smajlovic: „Letztlich haben wir den Sozialplan einstimmig abgesegnet.”

Flick könnte zum Verhängnis geworden sein, dass die Belegschaft - eine durchaus übliche Vorgehensweise - in Altersgruppen eingeteilt wurde. Dies soll verhindern, dass nur junge Leute entlassen werden und eine überalterte Belegschaft zurückbleibt. In der Gruppe der Mitarbeiter ab 55 Jahren sammelte Flick, trotz Schwerbehinderung, zu wenige Sozialpunkte und fiel durchs Sieb.

Arbeitsgericht

Seit einer Woche geht er nicht mehr zur Arbeit. Von seiner Wohnung aus brauchte er nur eine Viertelstunde bis zur Fabrik, er verdiente rund 1900 Euro netto bei TWB, er weiß, er wird als 55-jähriger Schwerbehinderter so leicht keinen neuen Job finden.

Er zeigt auf das Schreiben des Insolvenzverwalters, er ist nicht amüsiert über den Fauxpas mit dem Handy, dem Laptop und dem Dienstwagen. Er glaubte, die Schwerbehinderung mache ihn unkündbar. Jetzt zieht er vors Arbeitsgericht.