Hagen. Mit Skibrille und Maske erscheint der angeklagte Lehrer vor dem Landgericht in Hagen. Warum die mutmaßlichen Missbrauchs-Opfer aussagen müssen.
Schwarzer Kapuzenpulli, getönte Skibrille, weiße Corona-Maske: Er hat sich bis zur Unkenntlichkeit verkleidet. Der Grundschullehrer (59) aus Hagen, der drei Schülerinnen (damals 6 bis 10 Jahre) sexuell missbraucht haben soll.
Weil Gerichtssaal 201 im Landgericht mit interessierten Zuschauern und Journalisten proppevoll ist, hält sich der Pädagoge vorsichtshalber noch einen blauen Aktendeckel vor die Verkleidung. Aber nicht aus Scham. Denn zu den gravierenden Vorwürfen erklärt er völlig distanziert: „Darüber weiß ich nichts.“ Und: „Ich weiß nicht, warum. Ich weiß nicht, wieso. Ich kann mich nicht erinnern, was ich getan hätte.“
Übergriffe in Schule und auf Klassenfahrt
160 Fälle von schwerem sexuellen Missbrauch gegenüber Kindern und Schutzbefohlenen - tatsächlich verdrängt? Das wäre kaum vorstellbar, auch wenn die behaupteten Vorfälle inzwischen bis zu 15 Jahre zurückliegen. Oberstaatsanwalt Michael Burggräf hält dem Angeklagten Punkt für Punkt aus der dreiseitigen Anklageschrift vor: Als Lehrer an einer Grundschule in Altena soll er sich in den Jahren 2009 bis 2014 an drei Schülerinnen vergangen haben. Der Hagener war ihr Klassenlehrer in den Fächern Deutsch, Mathe, Sport und Schwimmen. Auf einem Dachboden, direkt über dem Klassenzimmer, sei es zu sexuellen Übergriffen gekommen, in einem Schulraum mit Computern und während einer Klassenfahrt auf der Insel Juist.
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So soll der angeklagte Grundschullehrer laut Anklage einem siebenjährigen Mädchen mehrfach in die Unterhose gegriffen haben und mit seiner Hand zwischen ihre Beine gefahren sein. Das wäre auf dem Dachboden der Schule passiert, auf dem die Kinder ihre Unterrichtsmaterialien aufbewahrten. Zwei kleine Mädchen mussten sich auf seinen Schoß setzen. Unter dem Vorwand, sie dürfte am Lehrer-PC ein Computerspiel spielen, sei er nach Ende des Unterrichts mit einer Schülerin noch in der Klasse geblieben und hätte sie unterhalb ihrer Kleidung, insbesondere im Intimbereich, gestreichelt. Teilweise sind die Tatvorwürfe so abartig, dass wir aus Respekt vor den mutmaßlich Betroffenen auf eine detaillierte Schilderung verzichten.
Zwischen den Oster- und Sommerferien 2014 waren die Grundschüler mit ihrem Lehrer auf einer einwöchigen Klassenfahrt. Auch dort sei es zu sexuellen Übergriffen gekommen, zum Beispiel als der Pädagoge einer Zehnjährigen dabei „half“, ihr die Sonnencreme einzumassieren. Auch soll er in das Zimmer eines schlafenden Mädchens eingedrungen sein und sie im Bett intim berührt haben. Soweit die Anklage.
Angeklagter Lehrer kann sich an nichts erinnern
„Ich find‘s schrecklich“, reagiert der Angeklagte auf das, was er soeben aus dem Mund des Oberstaatsanwalts gehört hat, „das ist für mich unheimlich belastend.“ Aber nicht deshalb, weil er sich etwa schuldig fühlt, sondern „weil ich mich nicht erinnern kann, was ich ihnen getan hätte. Weil ich da nichts drüber weiß“, wiederholt er sich. „Ich habe damals viel gemacht, was für die Kiddies besondere Sachen waren“, sagt er. Das will er aber nicht falsch verstanden wissen: „Ich habe zum Beispiel einen Weihnachtsbaum besorgt und mit ihnen dekoriert. Das ist für einen Lehrer nicht das Normale, finde ich.“
Richter Jörg Weber-Schmitz, Vorsitzender der Großen Jugendschutzkammer, fragt nach: „Wie kann es kommen, dass drei junge Frauen unabhängig voneinander so etwas behaupten?“ Der Angeklagte gibt sich scheinbar ahnungslos: „Wenn da etwas Besonderes gewesen wäre, könnte ich mich noch an die Schülerinnen erinnern. Aber ich habe bei den drei Namen keine Personen, kein Bild vor Augen. Die sagen mir nichts.“
Angeklagter: Habe Kinder weggeschoben
„Sie können sich auch nicht daran erinnern, dass die Mädchen damals auf ihrem Schoß saßen?“, hakt der Richter ein. Der Angeklagte lacht laut auf: „Nein, nicht, dass ich es wüsste! Wenn mir ein Kind mal zu nahe gekommen ist, habe ich es weggeschoben und gesagt: Ich bin nicht dein Papa.“
Schon einmal hatte es eine Anzeige mit einem sexuellen Vorwurf gegen den Angeklagten gegeben - das Verfahren war seinerzeit ohne Auflagen eingestellt worden. Seit 2021 ist der Hagener nicht mehr im aktiven Schuldienst, sondern erkrankt. Der Prozess wird am 17. Mai fortgesetzt: „Dann werden wir hören müssen, was wir hören müssen“, fabulierte Richter Weber-Schmitz. Den drei ehemaligen Grundschülerinnen bleibt eine Zeugenaussage nicht erspart. Sie sind längst erwachsen - und heute 25 und 26 Jahre alt.