Hagen. Vor 20 Jahren wurde der Warenkorb in Hagen gegründet. Die klassischen Hartz-IV-Empfänger sind längst von Flüchtlingen und Zuwanderern abgelöst worden.

Den Hagener Warenkorb, das betont Alexander Letzel immer wieder, dürfe es eigentlich gar nicht geben. Es gibt ihn aber. Weil es so viel Armut gibt in Hagen. Und die Armen, sie stehen in der Schlange vor dem Warenkorb um günstige Lebensmittel an. 1000 Familien, umgerechnet 4000 Personen, sind hier registriert und dürfen sich etwas zu essen abholen. „Das ist doch Wahnsinn“, sagt Letzel: „Das darf doch nicht sein.“

Letzel ist Fachbereichsleiter für Arbeit, Teilhabe und Integration bei der Caritas Hagen, die den Warenkorb betreibt. Mit diesem Hilfsprojekt unterstützt der Caritasverband Hagen seit zwei Jahrzehnten bedürftige Menschen, die (zu) wenig Geld haben, um ihr tägliches Leben zu meistern. Jene Menschen können sich im Warenkorb alle 14 Tage mit Lebensmitteln eindecken - gegen einen Obolus von 5 Euro. Und sich auf diese Weise ausreichend und auch einigermaßen gesund ernähren.

Michaela Engelhardt leitet den Warenkorb in Hagen.
Michaela Engelhardt leitet den Warenkorb in Hagen. © Alex Talash | Alex Talash

Der Warenkorb ist Symptom-, nicht Ursachenbekämpfung. Die Armut wächst, der Krieg in der Ukraine und die dadurch hervorgerufene Inflation haben dafür gesorgt, dass diejenigen, die ohnehin wenig in der Tasche haben, noch weniger für ihr Geld kaufen können. Unter den Menschen, die den Warenkorb aufsuchen, sind die klassischen Hartz-IV-Empfänger längst von Flüchtlingen und Zuwanderern abgelöst worden, Deutsche holen sich nach Auskunft von Michaela Engelhardt, Leiterin des Warenkorbs, kaum noch Lebensmittel im Warenkorb ab. Dafür sei aber seit Beginn des russischen Angriffskrieges und der dadurch ausgelösten Fluchtbewegung nach Westeuropa die Zahl der Ukrainer emporgeschnellt.

Viele Notleidende auf der Warteliste

Die Warteliste ist lang, längst nicht alle Notleidenden dürfen ihre Bedürfnisse beim Warenkorb stillen. Einen Berechtigungsschein von der Caritas erhält nur, wer nach Vorlage eines Sozialhilfebescheides oder eines anderen staatlichen Papiers seine Bedürftigkeit nachgewiesen hat. Das sei zwingende Voraussetzung für einen Einkauf beim Warenkorb, erläutert Michaela Engelhardt: „Anders können wir die Situation nicht auffangen“, wirbt sie um Verständnis. Da die Caritas den Andrang an den Ausgabestellen in Boele und Wehringhausen an manchen Tagen kaum noch bewältigen kann, werden neue Berechtigungsscheine erst dann ausgegeben, wenn „ein Platz frei“ wird.

Mit den Lebensmitteln versorgt der Warenkorb bedürftige Menschen in Hagen.
Mit den Lebensmitteln versorgt der Warenkorb bedürftige Menschen in Hagen. © Alex Talash | Alex Talash

Der Warenkorb sieht sich aber auch mit der Tatsache konfrontiert, dass Supermärkte und Geschäfte, die die Hilfsorganisation kostenlos mit Ess- und Trinkbarem versorgen, immer weniger Waren übrig haben. „Dadurch fällt natürlich weniger für uns ab“, berichtet Letzel. Der Warenkorb gibt auch Lebensmittel weiter, bei denen das Mindesthaltbarkeitsdatum überschritten ist, aber natürlich kein verdorbenes oder faules Gemüse.

Viele ehrenamtliche Helfer

Wäre der Warenkorb ein am Markt agierendes Unternehmen, gehörte er mit seinen rund 50 Mitarbeitern wohl zum Mittelstand. Die Logistik ist ausgeprägt, die Artikel werden von Warenkorb-Fahrern an den Geschäften abgeholt und in den Ausgabestellen sortiert. Daran sind neben den rund 30 ehrenamtlichen Helfern auch Beschäftigte beteiligt, die sich in staatlichen Förderprogrammen befinden, um wieder an den Arbeitsmarkt herangeführt zu werden. „Wir sehen es als unseren Auftrag an, diesen Menschen wieder eine Perspektive zu geben“, sagt Letzel.

Karla Mayer aus Hagen hat im Warenkorb eine sinnvolle Tätigkeit gefunden.
Karla Mayer aus Hagen hat im Warenkorb eine sinnvolle Tätigkeit gefunden. © Alex Talash | Alex Talash

Zu den Ehrenamtlichen im Warenkorb gehört Karla Mayer, die seit drei Jahren Lebensmittel sortiert und verteilt: „Als ich Rentnerin wurde, bin ich sofort hier eingestiegen, weil ich Angst hatte, nichts mehr zu tun zu haben“, berichtet sie. Sie habe nach einer sinnvollen Tätigkeit gesucht, auch um anderen etwas von dem zurückzugeben, was ihr das Leben geschenkt habe: „Ich finde die Not, die in einigen Familien herrscht, einfach schrecklich.“

Spenden sind immer willkommen

Dass es Einrichtungen wie den Warenkorb in einer Wohlstandsgesellschaft eigentlich nicht geben dürfte, dringt mehr und mehr auch ins Bewusstsein der Politik. Zur Unterstützung der rund 170 Tafeln in Nordrhein-Westfalen stellt die Landesregierung für 2024 bis 2026 insgesamt rund 1,1 Millionen Euro zur Verfügung. 7500 Euro bleiben davon beim Warenkorb in Hagen hängen, der mit dem Geld versucht, wenigstens die Betriebskosten (Benzin, Strom etc.) zu decken.

Ansonsten wird der Warenkorb seit jeher durch Spenden finanziert. Vor allem haltbare Produkte wie Konserven (Suppen, Gemüse), H-Milch, Zucker, Mehl, Reis, Nudeln, Tee und Kaffee sind willkommen, außerdem Hygieneartikel wie Einmalwindeln, Toilettenpapier oder Körperpflegeprodukte. Und natürlich wird auch Geld angenommen, mit dem die Verantwortlichen dringend benötigte Waren hinzukaufen.

Was die Bäckereien in Hagen nicht verkaufen konnten, überlassen sie dem Warenkorb.
Was die Bäckereien in Hagen nicht verkaufen konnten, überlassen sie dem Warenkorb. © Alex Talash | Alex Talash

Manchmal ist es ein Unternehmen wie die Parfümerie-Kette Douglas, das mit einer Großspende aufwartet, doch ebenso wichtig ist dem Warenkorb die Unterstützung durch Privatleute. Erst kürzlich habe eine Hagenerin anlässlich ihrer Geburtstagsfeier die Gäste gebeten, für den Warenkorb zu spenden, berichtet Michaela Engelhardt: „Eine andere Frau aus Boele spendet uns jeden Monat 100 Euro.“ Und manche, die nicht so viel geben können, kommen mit einer Tasche vorbei, in der sich drei Artikel „für die armen Leute“ befinden.

Ausgabestellen

Boele: Kirchplatz 15, Öffungszeiten: dienstags 15 bis 18 Uhr, mittwochs 10 bis 12 Uhr, freitags 9 bis 12 Uhr.
Wehringhausen: Lange Straße 70a (in Kooperation mit der katholischen Pfarrgemeinde St. Michael), Öffnungszeiten: dienstags 14 bis 17 Uhr, freitags 9 bis 12 Uhr.

Und so scheint es, dass die Überlegung, dass es Einrichtungen wie den Warenkorb nicht geben dürfe, weil es keine Armut geben dürfe, ihre Berechtigung haben mag, nichtsdestotrotz bleibt sie Wunschdenken. Die Realität ist eine andere, es gibt eher mehr als weniger Arme.