Hagen. Erik O. Schulz widerspricht der These, es habe einen sozialpolitischen Kahlschlag in Hagen gegeben. An die Straßenbahn glaubt er nicht mehr.

Vor fünf Wochen haben Sie mit Ihrer Ankündigung überrascht, bei der Kommunalwahl 2025 nicht erneut als OB-Kandidat antreten zu wollen. Fühlen Sie sich bislang wohl mit der Entscheidung?

Natürlich ist mir das nicht leichtgefallen, es war aber eben auch reiflich überlegt. Und die Rückmeldungen waren gut: Das Spektrum reichte von der Staatskanzlei über Ministerinnen bis hin zu Oberbürgermeisterkollegen aus unterschiedlichen politischen Lagern. Dabei will ich nicht verhehlen, dass ich mich gefreut habe, dass der überwiegende Teil überrascht, verwundert, aber eben auch mit Bedauern reagiert hat – besser die Leute sagen „schade“ als „endlich“. Ich wollte einfach eine selbstbestimmte Entscheidung treffen, bevor die Diskussionen in den Parteien losgehen. Und ich glaube weiterhin, dass es die richtige Entscheidung war. Ich sage aber auch: Es macht mich ein wenig melancholisch, obwohl es dafür eigentlich noch viel zu früh ist. Trotzdem tut es gut zu wissen, dass es entschieden ist.

Gar keine Reue?

Nein, mir ist bislang nie der Gedanke gekommen, noch einmal darüber nachdenken zu wollen. Aber natürlich weiß ich auch, dass mein Alltag sich radikal verändern wird – egal, was ich danach tue. Viele Leute haben in den Rückmeldungen meine Entscheidung mit Respekt begleitet. Das hat mich durchaus gefreut. Aber ich weiß heute schon, dass ich mich nicht sofort von ehrenamtlichen Aufgaben vereinnahmen lasse. Zumal ich durchaus plane, mein Berufsleben fortzusetzen.

Kommen wir zur harten Hagener Realität: dem Doppelhaushalt 2024/25. Darin enthalten sind neben den geplanten Steuererhöhungen auch viele kleine Sparschritte, die erhebliche Konsequenzen haben – vor allem auch im Sozialbereich. Die Spareffekte, die Hagen da erzielt, sind oft relativ überschaubar. Aber die Aufschreie sind umso größer, zumal diese Einrichtungen gute Arbeit abliefern. Wird da nicht mehr kaputt gemacht als am Ende gespart wird?

Oberbürgermeister Erik O. Schulz hat seine Entscheidung, 2025 kein drittes Mal für das Amt antreten zu wollen, bislang nicht bereut.
Oberbürgermeister Erik O. Schulz hat seine Entscheidung, 2025 kein drittes Mal für das Amt antreten zu wollen, bislang nicht bereut. © WP | Michael Kleinrensing

Man muss hier mit Bedacht rangehen und nicht mit der Axt. Ich glaube, dass das Haushaltssicherungskonzept (HSK) das berücksichtigt hat. Aber es gilt eben die alte Bauernregel: Kleinvieh macht auch Mist, wir können nicht immer bloß die ganz großen Räder drehen. Wir haben uns den Haushalt in Summe angeguckt – von Personal bis Sachkosten – und dann auf Grundlage der Expertise unserer Fachleute in den Fachbereichen entschieden. Am Ende ist das eine Prioritätenentscheidung, da man nicht von Beginn an einzelne Bereiche zu Tabuzonen erklären kann. Ich teile aber die Einschätzung, dass es nicht zu existenzgefährdenden Einschnitten kommen darf. Ich glaube, dass wir keine Maßnahmen im HSK haben, bei denen es um das „Ob“, sondern immer bloß um das „Wie“ geht. Am Ende muss die Politik das entscheiden.

Ist in Hagen nicht das Hauptproblem, dass die Zitrone schon zu oft ausgepresst wurde?

Ich will da nicht grundsätzlich widersprechen, aber es gibt da auch ein Narrativ: Es gibt Fachbereiche, die berichten mir, dass sie seit 20 Jahren nichts anderes tun als zu sparen. Aber wenn man dann genau hinschaut, stellt man schnell fest, dass da über Jahre kein einziger Euro gestrichen wurde. Wo haben wir denn die große Streichaktion im Sozialbereich erleben müssen? Die gravierenden sozialpolitischen Einschnitte hat es in den vergangenen zehn Jahren nicht gegeben. Im Gegenteil: Oft sind wir auch bei anderen Trägern noch eingesprungen, wenn beispielsweise im Rahmen des Kinderbildungsgesetzes (KiBiz) Landesmittel nicht mehr so geflossen sind wie zuvor. Auch im OGS-Bereich haben wir Zuwächse übernommen, um die sich eigentlich das Land hätte kümmern müssen. Ich kann allen, die vom Kahlschlag in der Sozialpolitik sprechen, nur einen Faktencheck empfehlen: Wir geben heute deutlich mehr für soziale Dienstleistungen aus als noch vor zehn Jahren. In diesem Bereich haben wir neben der Stadtsauberkeit und dem Ordnungsdienst auch das meiste Personal nachgefüttert und nicht etwa, weil wir Stäbe von Strategieberatern des Oberbürgermeisters gebildet haben. Trotz der knappen Mittel haben wir immer dort aufgestockt, wo Aufgaben dies erfordert haben. So gesehen ist es für mich eine Frage der Fairness beim Sparen auf alle Themenfelder zu blicken. Die Politik hat ja die Chance, hier als Korrektiv zu handeln.

Aber es gibt bestimmt Aufgaben eines Oberbürgermeisters, die mehr Spaß machen, oder?

Mir war schon klar, als ich OB wurde, dass ich meine Zeit nicht vorzugsweise mit dem Eröffnen neuer Freilufttheater und wöchentlich neuer Bezirkssportanlagen verbringen werde. Das Thema Haushalt bietet immer Spannungen und fundamentale Positionen garniert mit Weltuntergangsszenarien. Trotzdem sind das alles verständliche Interessen, die dort vertreten werden. Ich kann diese Lobbyarbeit gut nachvollziehen. Ich will mich darüber nicht beschweren, dann darf man den Job nicht machen.

Es fällt zudem auf, dass viele Gutachten zu Zukunftsthemen wie ÖPNV-Zukunft, Parkraumkonzept, Ebene 2, Infrastrukturunterhalt, Wohnungsmarkt oder auch Nachhaltigkeitsstrategie eingefroren werden sollen. Manifestieren wir damit in Hagen nicht für zwei weitere Jahre den Stillstand?

Gegenfrage: Sollen wir jetzt Konzepte machen oder zur Schippe greifen? Wir haben uns sehr genau angeschaut, was wir konzeptionell trotzdem tun und uns zugleich gefragt: Nach welchen Kriterien sucht man jetzt die Sachen aus, die wir erst einmal schieben können. Das, was wir absehbar ins „Doing“ bringen können – also mit Planung und potenzieller Förderung – lassen wir jetzt erst mal drin. Und da, wo wir Themen haben, wo einzelne ganz optimistisch glauben, dass man in 20 Jahren mal einen Schritt weiter ist, haben wir der Politik vorgeschlagen, sie hinten anzustellen. Unser Fokus ist auf die Dinge gerichtet, die wir mit unseren Ressourcen und Mitteln und unseren Prioritäten tatsächlich umsetzen können. Das war keine Entscheidung mit dem Rasenmäher. Als Beispiel mal die Straßenbahn für Hagen: Ich habe erhebliche Zweifel, dass es richtig ist, diese Vision weiterzuverfolgen. In allen anderen Städten vergleichbarer Größe, Geografie und Struktur gibt es niemanden, der über die Einführung einer Straßenbahn nachdenkt. An so einer Stelle ist es richtig festzustellen, dass dieses System ohnehin nicht in den nächsten 20 Jahren kommt. Ich persönlich würde das Thema Straßenbahn sogar am liebsten ein für allemal beenden und mich dafür auf einen verbesserten ÖPNV konzentrieren wollen. Diese Ressourcen im Denken und Planen kann man an anderer Stelle viel besser gebrauchen.

Die Fuhrparkbrücke gehört zu jenen Infrastrukturprojekten, die in den Augen der Verwaltung absolute Priorität genießen.
Die Fuhrparkbrücke gehört zu jenen Infrastrukturprojekten, die in den Augen der Verwaltung absolute Priorität genießen. © Hagen | Michael Kleinrensing

Es geht ja nicht nur um Straßenbahn, da kann man sicherlich eine ablehnende Haltung haben. Aber bei vielen anderen Themen müssen wir doch präpariert sein und Konzepte entwickeln, damit wir in dem Moment, wenn dazu passende Förderungen angeboten werden, diese auch abgreifen können?

Dafür sind wir aber in der Zwischenzeit in den anderen Feldern vielleicht tatsächlich einmal entscheidende Schritte vorangekommen. Wir haben ja jetzt genügend anderen Themen, die uns wirklich unter den Nägeln brennen. Die Fuhrparkbrücke ist so ein Infrastrukturprojekt, wo auch in zwei Jahren nicht der Bagger rollen wird, aber es gibt eine kurzfristige Perspektive. Das hat Priorität, dafür haben wir Ressourcen, da kommen wir mit der Förderung absehbar ins Tun.