Hagen. Gut drei Stunden lang haben die Hagener Landwirte am Montag den Verkehr in der Hagener Innenstadt ausgebremst und für ihre Interessen geworben.
Die Solidaritätsbekundungen am Wegesrand sind eindeutig: Frierende Menschen an den Bushaltestellen recken die Daumen in die Höhe, von den Bürgersteigen gibt es spontanen Applaus für die Aktion der Landwirte. Selbst aus den sich aufstauenden Autos an den von der Polizei systematisch abgeriegelten Kreuzungen tönen wohlmeinende Hupsignale für die Fahrer in den 45 Traktoren, zig Lkw und begleitenden Pkw. Mit einer mehrere hundert Meter langen Protestfahrt quer durch die Hagener Innenstadt haben die heimischen Landwirte am Montagvormittag ein eindrucksvolles Protestsignal gegen die jüngsten Steuerbeschlüsse der Bundesregierung zulasten der Agrarbranche gesendet.
Der Traktor von Markus Bergfeld in der Pole-Position der Protestkolonne gibt mit dem Plakat an der Front den Tenor vor: „Niemand sollte es je vergessen, Bauern sorgen für das Essen“. Mit 15 km/h setzt sich der Konvoi auf Haßley um kurz nach 9 Uhr in Bewegung. Zu diesem Zeitpunkt hat die Polizei bereits die etwa 90 teilnehmenden Fahrzeuge kritisch unter die Lupe genommen: In den Anhängern der Zugmaschinen werden keinerlei Wurfgeschosse entdeckt, und der Kollege mit dem Misthaufen auf der Pritsche hat hoch und heilig versprochen, diesen nirgendwo abkippen zu wollen.
„Ich habe allen Teilnehmern gesagt, dass ich hier außer der Deutschland- und der Europaflagge keine anderen Fahnen sehen will“, macht sich Mitorganisator Henning Renzing durchaus Sorgen, dass politische Extremisten, Umsturzfanatiker oder Verschwörungstheoretiker mit ihrem wirren Gedankengut hier eine Trittbrett-Bühne für ihre kruden Weltanschauungen suchen könnten.
Zukunft für Generationen
Bei den Hagener Landwirten ist auch so schon reichlich Druck auf dem Kessel. „Wer Bauern quält, wird abgewählt“, prangt an einer der Landmaschinen. Dirk Hüsecken, Vollerwerbs-Milchbauer aus Berchum, macht deutlich, dass es für seine Familie sogar ein Generationenthema sei, wie künftig mit der Branche umgegangen werde: „Meine Kinder möchten eigentlich den Betrieb weiterführen, aber unter diesen Rahmenbedingungen…“, formuliert er den Gedanken gar nicht erst zu Ende.
Auch interessant
Dass die Berliner Ampel-Koalitionäre angesichts des massiven Finanzdrucks die in den Augen der Konvoi-Teilnehmer wenig glorreiche Idee geboren haben, die Zugmaschinen der Bauern zu besteuern und obendrein noch das Agrardiesel-Steuerprivileg zu kippen, lässt die Wut zum Auftakt der Protestwoche hochkochen. „Das bedroht die Wettbewerbsfähigkeit der Landwirtschaft sowie der heimischen Lebensmittelerzeugung“, macht der Ortsverbandsvorsitzende Sven Rafflenbeul deutlich, dass damit im europäischen Wettbewerb keine Spielräume mehr bleiben, zugleich noch den klima- und umweltfreundlichen Umbau der Branche voranzutreiben.
Derweil zuckelt der Korso über den von der Polizei freigeräumten Emilienplatz. Bei Rot über die größte Hagener Innenstadt-Kreuzung zu rollen, steigert die Revoluzzer-Leidenschaft bei den Teilnehmern, zumal die Wartenden entlang der Fahrstrecke immer wieder ihre Unterstützung für die Anliegen der wütenden Bauern bekunden. Henning Renzing ist Nebenerwerbslandwirt und verdient sein Geld vorzugsweise als Heizungsbauer. In den 80er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts lebte seine Familie noch von dem Betrieb in Berchum: „Das klappt heute nicht mehr“, setzt der 43-Jährige auf die Direktvermarktung von Rind- und Schweinefleisch sowie den Verkauf von Eiern. Jeden Morgen vor der Arbeit führt sein Weg in den Stall, ebenso am Abend nach dem Job. „Auch für mich und meine Familie gilt, dass wir nur eine Woche Urlaub im Jahr machen – manchmal sogar auf einem Bauernhof an der Ostsee.“
Auch interessant
Deutlich mehr als Dieselprivileg
Sein 13-jähriger Sohn ist bereits mit dem Landwirt-Gen infiziert, aber Renzing fragt sich durchaus, ob der Beruf nach all den Nackenschlägen der Vergangenheit für die nächste Generation tatsächlich noch eine Zukunft hat: „Es geht ja nicht bloß um Steuern und Agrardiesel, sondern auch um die jüngsten Flächenstilllegungen. Wir haben in der Familie mal ausgerechnet, dass uns noch ein Stundenlohn von vier bis fünf Euro bleibt“, erinnert er daran, dass die meisten Subventionen für die Landwirtschaft ja auch Kompensationen für umwelttechnische Gegenleistungen seien. Zudem dürfe auch nicht unterschätzt werden, dass die Futtermittelpreise sich vor dem Hintergrund des Ukrainekrieges um 30 bis 40 Prozent erhöht hätten.
Nach knapp anderthalb Stunden ist der Vorhaller Kreisel erreicht – eine 180-Grad-Kehrwende führt zurück in die Innenstadt. Der lange Tross, der sich hier im Gegenverkehr selbst begegnet, hebt die Stimmung unter den Beteiligten und macht zugleich Mut, den Protest fortzusetzen: Künftig die Steuerausgaben für den Agrardiesel nicht mehr beim Zoll rückerstatten zu können, kostet die meisten Betriebe locker einen vierstelligen Betrag, der in der Kasse fehlt bzw. von den Kunden an der Supermarkt-Kasse mitgetragen werden muss.
Argumente, die allesamt auch bei den politischen Begegnungen mit den Ampel-Vertretern in der Hagener Innenstadt Gehör finden. Gemeinsam machen die Bauern im Gespräch deutlich, dass sie endlich einen verlässlichen Rahmen brauchen, um ihre Betriebe zukunftsfähig gestalten zu können. Nicht allein die erneute finanzielle Belastung der Betriebe bringt das Blut der Bauern in Wallung, sondern es ist der Mangel an Wertschätzung, Verständnis und Planungssicherheit, der die Landwirte verärgert. Reichlich Stoff für weitere Gespräche mit den lokalen Ampelvertretern, die in den nächsten Tagen folgen sollen.