Hagen. Erstmals ist es jetzt den Experten von Wetternetz Hagen möglich, das Klima für die Stadt vorauszusagen. Die Ergebnisse sind alarmierend.
Was sind schon ein oder zwei Grad mehr an einem Frühjahrstag. Nichts. Ist doch schön, wenn es früher im Jahr mal ein bisschen wärmer wird ...
Auch interessant
Es wird aber nicht nur früher im Jahr wärmer. Es wird im Schnitt auf ein ganzes Jahr gesehen wärmer. Und das nicht nur global betrachtet, sondern ganz konkret hier in Hagen vor Ort, in jener Stadt, in der tausende Menschen bei der Jahrhundertflut im Sommer 2021 ganz hautnah spüren mussten, dass der Klimawandel längst angekommen ist.
Extremtage nehmen weiter zu
„Es geht auch nicht nur um ein Grad“, sagt Bastian Rissling, Wetterexperte bei Wetternetz Hagen, der auch für unsere Zeitung seit Jahren Trends und Entwicklungen beobachtet. „Im Fokus der Betrachtung stehen die Anzahl an Sommer- oder Hitzetagen und an Tropennächten, in denen die Temperatur nicht mehr unter 20 Grad fällt. Diese Extremtage haben erheblichen Einfluss auf das Leben und die Gesundheit von Menschen in der Stadt.“
Zum ersten Mal wird das nun greifbar für Hagen: Die neuen Modelle von Klimabündnis und Wetternetz Hagen zeigen, wie sich das Klima in Hagen wandelt. Kombiniert werden langjährige Messungen an der Sternwarte mit Prognosen vom Helmholtz-Zentrum, das für alle deutschen Landkreise solche Simulationen durchgeführt hat. „Wenn man in den Nachrichten im Fernsehen globale Grafiken sieht, dann scheint das doch immer sehr weit weg“, sagt Rissling, „jetzt haben wir greifbare Werte, die deutlich machen, wie der Klimawandel hier vor Ort angekommen ist. Ich denke, es ist wichtig, für die Menschen in Hagen transparent zu machen, dass sich die Kennzahlen in eine sehr gefährliche Richtung entwickeln.“
Werte auf der roten Linie
„Dabei bewegen sich die Prognosen immer in einem Korridor“, sagt Antonius Warmeling, der sich für das Klimabündnis Hagen engagiert. Dabei gehe es um den Schadstoffausstoß. „Klar wird: Wenn wir so weiter machen wie bisher, dann werden wir uns in den nächsten Jahren bei vielen Parametern am Maximum bewegen. Die Werte derzeit liegen auf der roten Linie.“ Im Blick hat Warmeling dabei beispielsweise die Temperaturentwicklung, aber eben auch die Anzahl der Sommer- und Hitzetage.
Für Warmeling, einst Lehrer am Fichte-Gymnasium, der sich bei den Grünen politisch engagiert, müssen die Zahlen und Grafiken Konsequenzen haben: „Es wird einmal mehr deutlich, dass wir den Klimawandel nicht zurückdrehen können. Wir müssen uns auf die Folgen einstellen. Wir werden in Hagen künftig Kälteräume brauchen, ebenso mehr Trinkwasserbrunnen. Wir müssen die Emissionen in der Stadt weiter zurückdrücken. Und wir dürfen kein Grün mehr abbauen. Im Gegenteil: Wir brauchen sogar mehr.“ Stadtbäume sind für Warmeling ganz zentral. „Wir müssen zusehen, dass wir den Stadtwald so zügig wie möglich wieder aufforsten.“
Bewusstsein wecken
Und: Es gehe mit den neuen Prognosen um Sensibilisierung und Aufklärung: „Wir können damit den Menschen zeigen, in welche Richtung sich das Klima hier vor Ort schon in den nächsten Jahren entwickeln wird. Wir brauchen ein Bewusstsein in der Bevölkerung.“
Die Ergebnisse haben selbst Wettexperte Rissling überrascht. „Und bei all dem muss man noch bedenken, dass ein großer Teil der Daten, die eingeflossen sind, von unserer Wetterstation am Eugen-Richter-Turm stammen. Die liegt außerhalb und oberhalb des Stadtzentrums. Mit der Kessellage dürften die Auswirkungen in der Innenstadt noch einmal ganz andere sein.“ Die Messwerte aus dem Bereich der Innenstadt gibt es erst seit gut acht Jahren.
Niederschläge haben sich verschoben
Ein Grund für Wetternetz Hagen, das Netz der eigenen Stationen auszuweiten. „Mittlerweile greifen wir auf die Daten von 23 Messstationen verteilt über das gesamte Stadtgebiet zurück“, so Rissling, „weitere sind in Planung. Aber man muss auch sagen, dass wir bei der Stadt nicht immer offenen Türen einrennen. Es gibt da zu viele Bedenkenträger.“
Immerhin: Konstant bleiben auf Jahressicht die Niederschläge. Wenngleich sie sich verschoben haben. „Im Spätherbst und Winter wird es zusehends nass, in Kombination mit der Schneeschmelze kann das schnell zu Hochwassern wie im Januar führen, das zu den zehn extremsten seit den 60er-Jahren zählt“, sagt Bastian Rissling, „im Frühjahr, besonders im April, ist es tendenziell trocken. Das hat Auswirkungen auf die Landwirtschaft hier in der Region.“ Hinzu kommt: Starkregenereignisse werden zum Teil von den Messstationen nicht erfasst. „Sie sind oft lokal sehr begrenzt. Wenn dann keine Messstation in der Nähe ist, fließen sie nicht in die Statistik ein.“
Immerhin: Durch ein Pilotprojekt zur Starkregenvorsorge mit dem Namen „Heavy Rain“ soll es künftig möglich sein, stadtteilscharf vor diesem Wetterphänomen zu warnen.