Hagen. Die Zahl der künstlichen Befruchtungen steigt rapide. Dr. Birgit Lühr leitet das Kinderwunschzentrum in Hagen und erklärt, was Gründe sein können

Kinderwunschtherapie ist keine Ausnahme mehr. „Es gibt immer mehr Kinder aus einer künstlichen Befruchtung – in den letzten zehn Jahren ist bei uns in Deutschland die Behandlungszahl jedes Jahr um fast 10 Prozent gestiegen – rund 15 Prozent aller Paare bleiben ungewollt kinderlos. Vor dem Hintergrund finde ich es wichtig, dass man offen darüber spricht“, sagt Dr. med. Birgit Lühr.

Dass mehr Paare Schwierigkeiten haben liege an vielen Faktoren. Die Umwelt spiele eine Rolle, die Ernährung, der stressigere Alltag und der Umstand, dass bei vielen immer weniger Zeit für entspannte Zweisamkeit bleibe. „Das erste körperliche System, das ausfällt, ist die Reproduktion“, sagt die Ärztin, die 2015 das Zentrum in der Volmestadt als reine Privat-Praxis eröffnet hat, da sie keine Genehmigung erhalten hat, Kinderwunschtherapien über die gesetzlichen Krankenkassen abzurechnen. Also ja, Kinderwunschtherapie sei auch eine Kostenfrage.

„Leider ist das Thema immer noch schambesetzt“

Sie erlebt Tag für Tag Paare, die voller Hoffnung in ihre Praxis kommen. „Viele denken, ihr Körper hätte versagt, oder es wäre irgendwas an ihnen nicht ,richtig’“. Birgit Lühr schüttelt den Kopf: „Man kann schon durch kleine Änderungen im Alltag eine bessere Ausgangslage schaffen. Beispielsweise in dem man möglichst auf Softgetränke verzichtet, nahrhaftes-, vitamin- und proteinreiches Essen zu sich nimmt. Aber auch künftig werden immer mehr Paare nicht mehr auf natürlichem Weg schwanger werden können“, so ihre Einschätzung. „Ich finde es schade, dass das Thema bis heute so schambesetzt ist und es nicht öffentlich besprochen wird für mehr Bewusstheit.“

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Hochtechnische Arbeit im Labor

Sie beobachte die Verschlechterung schon jetzt. „Manchmal haben wir hier junge Männer an der Samenbank stehen, da ist die Spermienqualität schon erschreckend gering“, sagt die Kinderwunsch-Ärztin. Sie erlebt aber auch tagtäglich Paare in der Praxis, für die mit der Behandlung ein Traum wahr wird (rund 80 Prozent der Patientinnen werden innerhalb von drei Behandlungen schwanger).

Für Dr. Birgit Lühr und ihren Kollegen und Embryologen Dr. Reza Soleimani ist das ihr täglicher und hochtechnischer Job. Mit komplexen und modernen Verfahren werden im Labor künstliche Befruchtungen durchgeführt. Zudem können Tausende Eizellen (befruchtet und unbefruchtet) bei „Freyja“ eingefroren werden, gelagert werden sie in flüssigem Stickstoff bei minus 196 Grad Celsius. Das Hagener Kinderwunschzentrum (mit Samenspenderbank) erstreckt sich in der Bahnhofstraße über zwei Etagen und hat insgesamt 750 Quadratmeter.

Für mehr Achtsamkeit werben

„Es ist immer wieder schön, wenn wir dann sehen, dass unsere Arbeit belohnt wird, wir fiebern richtig mit den Paaren mit“, sagt Dr. Birgit Lühr. Natürlich gebe es auch Fälle, in denen es nicht klappt. In denen auch die Ärzte den Familien beim Kinderwunsch nicht helfen können. „Ich möchte an dieser Stelle auch für mehr Achtsamkeit werben. Diese ständigen Fragen nach Kinderstatus auf Familienfesten und Partys können die ohnehin schon belastende Situation für die Paare noch weiter verschlimmern. Einige zerbrechen sogar an dem Thema.“