Hagen-Mitte. . Social Freezing – das Einfrieren von Eizellen, um sie später wieder einpflanzen zu können, ist umstritten. Dr. Britta Lührs aus Hagen bietet dies an.

Unten im Volkspark schiebt eine Mutter einen Kinderwagen. Neben ihr tollt ihr kleiner Sohn. Wie alt die Frau ist, das lässt sich aus dem fünften Stock nicht so genau sagen. Vielleicht 30. Oder 35. Wie mag sie es angegangen sein? Mit einem klaren Plan? Hat sie sich irgendwann gedacht, mit 30 oder 35 Jahren zwei Kinder haben zu wollen, und haben sie und ihr Mann es dann so umgesetzt? Hätte sie die Kinder gern früher bekommen? Oder stellt sie gerade fest, dass sie ihre Karriere gerne noch weiter verfolgt hätte? Wäre „Social Freezing“ für sie infrage gekommen?

Dr. Birgit Lühr tauscht plötzlich die Rollen. Sie stellt die Fragen, der Reporter antwortet.

Lühr: „Eine Frau, 40 Jahre alt, lebt in einer stabilen Partnerschaft und hat geregelte Verhältnisse. Sie will schwanger werden und kommt hier ins Kinderwunschzentrum, um sich künstlich befruchten zu lassen. Finden Sie das gut oder schlecht?“

Reporter: „Ich finde es okay.“

Lühr: „Gut oder Schlecht?“

Reporter: „Gut“.

Lühr: „Eine junge Frau, Anfang 20, geht samstagsabends intensiv in einer Disco feiern, nimmt Drogen und hat ungeschützten Geschlechtsverkehr. Sie wird dabei schwanger. Finden Sie das gut oder schlecht?“

Reporter: „Schlecht.“

Lühr: „Aber wieso denn? Sie ist doch schwanger geworden. Ist das nicht wunderbar?“

Reporter: „Aber die Umstände und der Zeitpunkt . . .“

Lühr: „Sehen Sie, wie schwer es ist, über den Zeitpunkt und die Richtigkeit des Schwangerwerdens zu bestimmen.“

Dr. Birgit Lühr.
Dr. Birgit Lühr. © WP Michael Kleinrensing

Seit vergangenem Herbst gibt es in Hagen ein Kinderwunsch- und Hormonzentrum. Birgit Lühr hat es gegründet. Seit 1999 arbeitet sie als Frauenärztin, seit 2008 legt sie ihren Schwerpunkt auf die Reproduktionsmedizin. Paaren, die es aus vielerlei Gründen bislang nicht geschafft haben, schwanger zu werden, per künstlicher Befruchtung zu helfen, hat sich die Ärztin zur Aufgabe gemacht.

Teil ihres Portfolios ist auch das „Social freezing“, das vorsorgliche Einfrieren von befruchteten oder unbefruchteten Eizellen, um sie sich zu einem späteren Zeitpunkt wieder einpflanzen zu lassen. Auf diese Weise werden nicht nur die Zellen, sondern auch der Wunsch nach Nachwuchs konserviert. Weil, wie die Reproduktionsmedizinerin erklärt, nicht das Alter der Embryo-Übertragung, sondern das Alter der Eizellenentnahme entscheidend ist, kann eine Frau auf diese Weise auch mit 40, Mitte 40, 50 und theoretisch auch noch in viel höheren Lebensjahren Mutter werden.

Neues Bewusstsein

„Das Bewusstsein für diese Methode öffnet sich gerade“, sagt Birgit Lühr. In den USA war das Thema Social Freezing zuletzt stark im Fokus, weil einige US-Firmen ihren Mitarbeiterinnen Geld dafür boten, wenn sie ihre Eizellen einfrieren lassen. 20 000 Dollar, wenn Kolleginnen zunächst lieber auf ihre Karriere setzen als auf die Mutterrolle. Der Arbeitgeber rät quasi dazu, an der biologischen Uhr zu drehen.

Verfahren für an Krebs erkrankte Frauen

Unter „Social Freezing“ versteht man das vorsorgliche Einfrieren von unbefruchteten Eizellen.

Ursprünglich war diese Methode der Eizell-Konservierung für junge, an Krebs erkrankte Patientinnen gedacht, die sich einer Chemotherapie unterziehen müssen.

Legal, aber ethisch doch fragwürdig, finden Kritiker. Das Meinungsinstitut Forsa hatte 2015 eine Befragung unter 18- bis 30-jährigen Deutschen durchgeführt. Das Ergebnis: 64 Prozent von ihnen stehen dem Social freezing offen gegenüber.

„Es können die eigenen Vorstellungen von der Karriereplanungen sein“, sagt Birgit Lühr, „es ist aber oft noch viel banaler. Eine langjährige Beziehung geht auseinander. Die Frau ist Anfang 30 und möchte nicht dem Druck ausgesetzt sein, nun den nächstbesten Mann zu nehmen, um sich mit ihm den Kinderwunsch zu erfüllen. Dann ist das Einfrieren der Eizellen sehr sinnvoll, um sich zu einem späteren Zeitpunkt mit einem neuen, passenden Mann den Kinderwunsch zu erfüllen.“

Frauen verlieren 4800 Zellen pro Jahr

Wie erfolgreich das am Ende verläuft, hängt im Wesentlichen vom Alter der Frau bei der Entnahme ihrer Eizellen ab. Mit etwa 30 Jahren sind noch etwa 7-8 von 10 Eizellen genetisch gesund. Mit 40 Jahren nicht einmal mehr die Hälfte. Aber nicht nur die Gesundheit der Eizellen verschlechtert sich, auch die Anzahl wird immer geringer. Ein Mädchen wird mit etwa einer bis zwei Millionen Eizellen geboren. Mit jedem Lebensjahr werden es weniger. So sind es in der Pubertät noch rund 400 000 Eizellen. Fortan verliert eine Frau etwa 400 Eizellen monatlich, also 4800 im Jahr.

Birgit Lühr weiß, dass die Methode des Social freezing umstritten ist. In den Augen der Ärztin ist es ein weiterer durch die Fortschritte der Medizin möglich werdender Baustein der Familienplanung, für die in der Sozialisation der meisten Deutschen ohnehin viel zu wenig zum Thema gemacht werde. „Wir sprechen und lehren viel über das Thema Verhütung. Das ist wichtig. Aber es ist genau so wichtig, schon in der Schule mit jungen Menschen über das Thema Familienplanung zu sprechen und dem Thema zwischen Beruf- und Karriereplanungen einen Raum zu geben.“ In jedem Menschen stecke der Urwunsch, ein Kind kriegen zu wollen.