Hagen. Leistungsfähiger, weniger Verletzungen bei Mitarbeitern: Gründer aus Hagen bauen Stützskelette für die Industrie. So funktioniert ihre Idee:
Es gibt viele Knochenjobs. Jobs, in denen Mitarbeiter stundenlang in der Produktion stehen und schuften. Jobs, in denen stundenlang Möbel oder schwere Umzugskartons geschleppt werden. Oder Jobs in der Pflege, bei denen Patienten umgelagert oder hochgehoben werden müssen. „Im Grunde machen sich viele dabei den eigenen Körper kaputt“, sagt Gerrit Agel. Der 24-Jährige aus Hagen hat, gemeinsam mit seinem Freund und Geschäftspartner Luca Peschel, eine besondere Stützstruktur für den menschlichen Körper entwickelt – ein sogenanntes Exoskelett.
„Das Exoskelett an sich ist nicht neu. Aber die Art unserer Umsetzung mit integrierter künstlicher Intelligenz und den geplanten Produktionsabläufen eröffnet ganz neue Möglichkeiten. Besonders wichtig ist, dass es den gesamten Körper, vom Handgelenk bis zum Fuß, unterstützen kann und besonders ergonomisch ist.“ Auf die lange Sicht will das Team es durch die für eine Serienfertigung optimierte Konstruktion für so viele Menschen wie möglich erreichbar machen.
Kritische Gelenke werden entlastet
Dabei geht die Entwicklung des neuartigen Exoskeletts zunächst einmal auf eine etwas verrückt wirkende Idee und die technische Leidenschaft der beiden Entwickler zurück: „Wir wollten ursprünglich einen Iron-Man-Anzug bauen“, sagt Gerrit Agel und lacht. Iron Man, also der „eiserne Mann“, ist ein Superheld. Im wahren Leben ein normaler Mensch. Mit einem besonderen Anzug gewinnt er an Kraft. Ein bisschen, oder zumindest so ähnlich, kann man sich diese Technologie auch vorstellen (nur ohne Raketen- oder Flammenwerfer).
„Das Skelett entlastet die kritischen Gelenke wie Schultern oder Wirbelsäule und folgt automatisch den Bewegungen des Körpers, so können auch Muskel-Skelett-Krankheiten vermieden oder Symptome gelindert werden“, erklärt Agel. Zunächst einmal haben sie ein Oberkörpermodell entwickelt, später soll es auch eine Stützstruktur für die Beine folgen. Ein Beispiel: „Man kann es sich vorstellen, wie den Vergleich zwischen E-Bike und normalem Fahrradfahren. Mit dem E-Bike ist es deutlich leichter für den Fahrer, einen Berg zu erstrampeln.“
+++ Lesen Sie auch: Im „Work Park“ werden Menschen fit gemacht +++
Eine wegweisende Technologie, die auch das Arbeiten in der Zukunft beeinflussen könnte.
Mit Entwicklung des Prototyps beschäftigt
Aber zunächst einmal mehr zu den beiden Gründern: Sie absolvierten zunächst gemeinsam ein Dualstudium bei einem Hagener Betrieb als Mechatroniker. Parallel pendelten sie für ihr Studium (Mechatronik) an zwei Tagen pro Woche nach Mühlheim an der Ruhr. „Wir sind beide begeisterte Bastler und haben in dieser Zeit nach einem Hobbyprojekt gesucht. So kam es dazu, dass wir privat an Exoskeletten geforscht haben. Wir sind dabei auf Ideen gestoßen, mit denen man Exoskelette signifikant günstiger und durch die Nutzung von Technologien wie künstlicher Intelligenz sogar besser herstellen kann“, sagt Agel. Dank der wertvollen Praxiserfahrung in der Ausbildung konnten sie lernen, wie man ein Produkt entwickelt, das als Serienprodukt fertigbar ist. „Das ist ein großer Unterschied zur Prototypenentwicklung. Man muss die Maschinen und Prozesse kennen, man muss Erfahrung haben, um sich vorstellen zu können, wie ein Mitarbeiter die Komponenten später zusammenbaut“, sagt Agel.
+++ Lesen Sie auch: Medizin: Onkologie - man kommt nicht nur zum Sterben +++
Der Entschluss, die Produktion der körperunterstützenden Maschinen als Geschäftsmodell zu verfolgen, kam allerdings erst auf, als beide das Wahlmodul „Startup-Project“ an der Hochschule Ruhr West belegten. Einige Professoren legten ihnen ans Herz, ihre Forschung in ein Produkt weiterzuentwickeln, um damit in Zukunft das Unternehmen „CYBRID“ zu gründen. Mittlerweile wurde das Team um Markas Segalis erweitert, der die nötigen betriebswirtschaftlichen Kompetenzen mitbringt.
„Zusammen sind wir aktuell immer noch mit der Entwicklung unseres Prototypen beschäftigt. Seit einem Jahr arbeiten wir quasi Vollzeit an unserem Herzensprojekt“, sagt der Hagener.
Kraftverstärkung von bis zu 20 Kilogramm
Das entwickelte Exoskelett passt für alle Körpergrößen von 1,50 bis 2 Meter und könne binnen weniger Sekunden an- und abgelegt werden. „Es ist circa sechs bis sieben Kilo schwer und modular aufgebaut. Heißt: Es kann an die individuelle Nutzung angepasst werden“, erklärt Gerrit Agel.
+++ Lesen Sie auch: Medizin - Parkinson-Therapie soll Erkrankten helfen +++
Bei vielen bislang verfügbaren Produkten handele es sich um passive Anzüge. Bei den „aktiven“ Cybrid-Anzügen wird das Exoskelett durch Elektromotoren verstärkt, die über künstliche Intelligenz gesteuert werden und somit flexibel jegliche Bewegung unterstützen. Wenn man etwas hochheben möchte, wird so zum Beispiel der Arm entlastet. Das Skelett ermöglicht eine Kraftverstärkung von bis zu 20 Kilogramm, künftig vielleicht sogar bis über 30. „Es verfügt über einen Akku, der ohne Probleme eine Arbeitsschicht lang reicht und austauschbar ist.“
Produkt könnte noch dieses Jahr auf den Markt gehen
Auf einer Messe in Dortmund haben die Gründer ihren Prototypen und die Vision dahinter bereits vorgestellt – mit überwältigender Resonanz. Bereits 16 interessierte Unternehmen haben eine Interessensbekundung unterzeichnet. „Es ist aber noch sehr viel zu tun, wir profitieren von Förderprogrammen, sind aber parallel auf Investorensuche. Das Exoskelett soll im nächsten Schritt in einigen der Firmen getestet werden“, gibt Agel Einblicke. Derzeit befinden sich drei Patente in der Anmeldung, „und wenn alles gut geht, dann planen wir, im Spätsommer 2024, nach entsprechender TÜV-Prüfung, auf den Markt zu gehen.“
+++ Lesen Sie auch: Medizin - Vom Pfleger zum Arzt +++
Zunächst einmal liege der Fokus auf der Produktionsindustrie – das Skelett ließe sich aber künftig auch in viele anderen Bereichen (Krankenhäuser, Post, Flughafenpersonal etc.) einsetzen. Eben in allen Jobs mit körperlicher Belastung.
Für die Freunde ist ihre Idee der Schritt in die Selbstständigkeit – „wir haben das trotz aller Herausforderungen nie bereut. Aber man muss sich wirklich abkönnen – wir stecken schließlich jede Minute ins Projekt“, sagt der 24-Jährige und lächelt. Parallel ist das junge Team bereits auf der Suche nach Entwicklern, die sie künftig unterstützen und genauso für das Projekt brennen wie sie. Um das Arbeiten für viele Menschen in der Zukunft ein Stückchen leichter zu machen.