Hagen. Uwe Ziegler leidet an schwerem Rheuma. Er wird in Hagen behandelt. Über den langen Kampf gegen die Krankheit und was ihm geholfen hat.
Er erzählt von früher. Wie er auf die Führerstände der Loks geklettert ist. Wie er als leidenschaftlicher Eisenbahner historische Züge über Strecken kreuz und quer durch ganz Europa gefahren hat. Und dann, wie er auf allen vieren in eine Klinik gekrochen ist. Uwe Ziegler, damals 32 Jahre alt, konnte nicht mehr stehen, er konnte nicht mehr gehen, eigentlich konnte er sich kaum bewegen. Und wenn überhaupt – dann nur unter größten Schmerzen. Er, der im Eisenbahnmuseum Dahlhausen quasi groß geworden war, der bei der Bundeswehr riesige Lkw steuerte, der später Physik studierte und dann im Qualitätsmanagement eines internationalen Stahlbauunternehmens arbeitete, fühlte sich wie ein Wrack.
Uwe Ziegler, 59 Jahre, Patient in der Rheuma-Klinik des Evangelischen Krankenhauses Haspe, ist in mehrerlei Hinsicht eine Ausnahme. Als Mensch, weil der Mann aus Bochum ein echter Typ ist. Aber auch als Patient in Hagen, weil er zu jenen zählt, die diese Krankheit seit Jahrzehnten immer wieder mit voller Wucht trifft.
Medikamente und Therapie helfen
„Viele Rheuma-Patienten können mit ihrer Krankheit gut leben“, sagt Dr. Martin Meier, Chefarzt der Rheuma-Klinik am Evangelischen Krankenhaus Haspe. „Sie sind mit Medikamenten so eingestellt, dass sie das Rheuma im Alltag kaum belastet. Wichtig ist in der Regel, dass die Patienten nach auftreten der ersten Symptome möglichst schnell zu uns kommen. Wir sprechen von einem Window of oportunity – von einem Fenster der Gelegenheit. Die ersten drei Monate sind für viele ganz entscheidend. Wir beginnen heute mit einer starken Dosierung, um Schäden zu verhindern, die man später nicht wieder gut machen kann. Dann ziehen wir uns dann nach und nach zurück, begleitet Physio-, Ergo- und physikalischer Therapie.“
Methotrexat ist das Standardpräparat, das vielen hilft. „Es wirkt bei rund 70 Prozent der Patienten“, so Meyer. Leflunomid sei eine Alternative bei der Erstlinientherapie. Eine regelmäßige Kontrolle des Blutes ist allemal notwendig.
Außergewöhnliche Krankengeschichte
Die, bei denen eine Therapie in dieser Zeit schnell anschlägt, sieht Meyer in der Regel nur selten wieder. Sie werden durch niedergelassene Rheumatologen und ihre Hausärzte betreut, leben oft beschwerdefrei.
Meier und Ziegler aber kennen sich gut und lange. Zu gut und zu lange. Was nichts damit zu tun hat, dass sie nicht miteinander klar kämen, einander nicht vertrauen würden. Aber wenn sich Arzt und Patient so gut und so lange kennen, dann spricht das für eine außergewöhnliche Kranken-Geschichte, für einen besonderen Verlauf, der sich in diesem Fall in einer langen Dokumentation spiegelt, die Martin Meyer vor sich auf dem Tisch liegen hat.
Mit 34 Jahren in Rente
„Kennengelernt“, sagt er, „haben wir uns am 14. Dezember 2001, als ich noch in der Klinik Bergmannsheil in Bochum gearbeitet habe. Die Knie waren dick geschwollen, die Knöchel auch. Das ganze hat sich mehr und mehr in Richtung rheumatische Arthritis entwickelt. Wir haben damals Anti-CCP-Antikörper gefunden – ein deutliches Zeichen.“
0,8 Prozent der Bevölkerung leiden an rheumatischer Arthritis – nur bei wenigen sind die Symptome so ausgeprägt wie bei Uwe Ziegler: „Rheuma war ein Bruch in meinem Leben“, sagt jener Mann, der mit 34 Jahren verrentet wird, weil er einfach nicht mehr arbeiten kann.
Eine Leben voller Ups und Downs
Für Ziegler ist die Diagnose ein Start in ein Leben voller Ups und Downs. Zahlreiche Biologika, die gegen entzündungsfördernde Botenstoffe des Körpers oder direkt gegen Immunzellen gerichtet sind, wirkten nur vorübergehend. Immer wieder. Immer wieder muss er Rückschläge hinnehmen. Immer wieder muss er in die Klinik – bestimmt zwölf Mal – wie er selber sagt. „Unser Ziel ist immer eine Remission“, sagt Meyer, „Rheuma ist nicht heilbar. Aber wir wollen die Krankheit zurückdrängen.“ Mit verschiedenen Mitteln und wenn es sein muss mit immer neuen Ansätzen und Anläufen.
Dass Uwe Ziegler auf einem normalen Stuhl sitzen kann, dass er zu dem Gespräch alleine mit dem Zug (wie auch sonst?) angereist ist, dass er die letzten Meter zur Klinik zu Fuß gekommen ist und dass er nun zumindest relativ entspannt über die Krankheit, die ihn über Jahre so fürchterlich gequält hat, reden kann – all das sind gute Zeichen.
Zurück zu einem normaleren Leben
Upadacitinib heißt das Medikament, das Ziegler nun zu sich nimmt. Ein Medikament, das – auch das ist Teil der Wahrheit – nicht ohne Nebenwirkungen ist und das Immunsystem schwächen kann. Aber letztlich vor allem eben ein Präparat, das hilft und das es einem 59-Jährigen, der seit Jahrzehnten nur noch orthopädische Schuhe tragen kann, wieder ein normaleres Leben zu führen.
„Man merkt, wie es wirkt“, sagt Ziegler, „die Schuhe haben lange Zeit wie eine zweite Haut gesessen. Jetzt haben meine Füße darin Luft. Meine Kniegelenke waren so dick wie Ballons. Auch das hat sich stark verbessert.“
Wirkstoff dockt an Zellen an
Den Effekt von Upadacitinib erklärt Meyer medizinisch so: „Das Medikament zählt zu den sogenannten Januskinase-Inhibitoren. Diese verhindern die Signalübertragung verschiedener Botenstoffe, die an Entzündungszellen andocken, von der Zelloberfläche zum Zellkern.“ Seit Anfang Februar wird Ziegler so behandelt. Wirksam – zumindest bis jetzt.
„Ich nehme morgens eine Tablette – fertig“, sagt Uwe Ziegler. Und: „Momentan fühle ich mich so gut wie lange nicht mehr. An heißen Tagen muss ich mich etwas zurückhalten, muss vorsichtiger sein.“ Und: „Auf eine Lok oder auf einen Lkw werde ich wohl nie mehr klettern.“