Hagen. Der Hagener Finanzdezernent Christoph Gerbersmann hat einen neuen Job: Er repräsentiert als Kämmerer das bundesweite Bündnis der klammen Städte.
Es mag Zweifler geben, ob es tatsächlich ein Ruhmesblatt ist, als Kämmerer einer stetig klammen Stadt in dieser Rolle ausgerechnet zum Bundessprecher der ärmsten Kommunen der Republik gewählt zu werden. Doch für Hagens Finanzdezernent Christoph Gerbersmann stellt sich diese Frage gar nicht: „Wer mich kennt, der weiß, dass ich mich auch bei komplexen Aufgaben nicht wegducke.“ An diesem Wochenende ist der 57-Jährige in Offenbach zu einem von drei Sprechern unter den Kämmerern des „Aktionsbündnis für die Würde unserer Städte“ gewählt worden. Unter diesem Dach versammeln sich 64 Kommunen aus sieben Bundesländern mit einer 36 Milliarden Euro schweren Altschuldenlast, die immerhin 8,5 Millionen Bürger abbilden. Denn jeder zehnte Mensch in Deutschland lebt inzwischen in einer finanziell notleidenden Stadt – darunter eben auch 193.000 Hagener.
Zeitfenster fast geschlossen
Vor dem Hintergrund der aktuell kontinuierlich steigenden Zinsen wird Gerbersmann nicht müde, bei der Rettung der Städte aufs Tempo zu drängen: „Das Zeitfenster schließt sich zurzeit nicht, sondern ist beinah schon zugeschlagen. Als Stadt zahlen wir aktuell 3 bis 3,5 Prozent Zinsen, vor einem Jahr waren es unter 1 Prozent“, skizziert er die Rasanz der Entwicklung. „Ich möchte mir gar nicht vorstellen, wie es wird, wenn in diesem Jahr kein gangbares Modell für eine Altschuldenlösung gefunden wird“, fürchtet das CDU-Mitglied, dass das Thema sonst wieder in einem Landtags- oder Bundestagswahlkampf zerrieben werden könnte.
Allein die Kassenkredite (städtischer Dispo) türmen sich in Hagen aktuell zu einem Minus von 900 Millionen Euro auf. „In der Spitze waren es sogar schon einmal 1,25 Milliarden Euro“, macht der Hagener Kämmerer deutlich, dass der strenge Konsolidierungskurs der vergangenen Jahre in Verbindung mit den Stärkungspakthilfen des Landes durchaus seine gewünschten Effekte hatte. Dennoch liegt die Pro-Kopf-Verschuldung in Hagen weiterhin bei knapp 5000 Euro pro Bürger – im Republikvergleich ein Spitzenwert.
Zinslast steigt um zehn Millionen
Trotz dieses Positivtrends sieht er allerdings die Gefahr, dass diese Erfolge in kürzester Zeit wieder aufgefressen werden könnten: Bis zum Jahr 2026 dürfte die Zinsbelastung bei 28,6 Millionen Euro liegen – zehn Millionen höher als noch vor dem stetigen Drehen an den Zinsschrauben. „Dafür muss ich wieder neue Kassenkredite aufnehmen, die ich umso teurer bezahlen muss“, skizziert Gerbersmann einen Schneeballeffekt aus Zins und Zinseszins, der in allen unter der Altschuldenlast leidenden Städte neue Lücken reißt. Zugleich erinnert er daran, dass die vom Aktionsbündnis dringlich eingeforderte Unterstützung von Bund und Land für deren Kassen bei weiterem Zaudern auch immer teurer wird: „Wir treten hier nicht als Bittsteller auf, sondern können durchaus vorweisen, dass wir alles unternommen haben, um uns aus eigener Kraft zu konsolidieren – das reicht aber eben nicht.“
Städte wollen Eigenanteil tragen
Die 64 Kommunen, die sich in dem „Aktionsbündnis für die Würde unserer Städte“ zusammengefunden haben, leiden alle darunter, dass sie Kredite aufnehmen mussten, um die Pflichtaufgaben, die ihnen übertragen wurden, zu erfüllen. Deshalb zahlen sie seit Jahren vorzugsweise für Zinsen und Tilgung statt wie andere Kommunen in Infrastruktur, Bildung und Zukunftsthemen wie Klimaschutz oder Digitalisierung investieren zu können. Um diese ungerechte Situation zu ändern, verfolgt das Bündnis „Für die Würde unsere Städte“ drei wesentliche Ziele:
1. Altschuldenlösung: Bundesweit leiden die Kommunen aus den genannten Gründen unverschuldet unter Altlasten in Höhe von rund 36 Milliarden Euro sowie den damit verbundenen Zins- und Tilgungspflichten. In den Koalitionsverträgen aus Bundes- und Landesebene ist ein einmaliger Kraftakt zur Lösung des Altschuldenproblems versprochen. Andere Bundesländer haben ihren Anteil bereits geleistet, Nordrhein-Westfalen ist inzwischen das letzte Bundesland, das bislang noch keine Lösung gefunden und umgesetzt hat. Die Kommunen sind hier allerdings ebenfalls auf eine Regelung angewiesen und durchaus bereit, einen Anteil daran zu übernehmen.
2. Reform der Förderpolitik: Es gibt zahlreiche Förderprogramme von Bund und Ländern, an denen sich finanzschwache Kommunen nicht beteiligen können – weil sie nicht das Personal haben, um die umfangreichen Anträge zu bearbeiten, weil sie den erforderlichen Eigenanteil nicht aufbringen oder weil sie die personellen Folgekosten des Förderprogramms nicht stemmen können. Deshalb müssen Bund und Länder den Dschungel der Förderprogramme lichten, stärker auf pauschalisierte Mittel setzen sowie die Folgekosten im Blick haben.
3. Verhinderung von Steueroasen: Es gibt an vielen Stellen der Republik Kommunen, die ihre Gewerbesteuer massiv senken, um so Unternehmen zu bewegen, ihren offiziellen Sitz in diese Kommune zu verlegen und dort Steuern zu zahlen. In der Praxis bedeutet das: Die Produktionsstätten und die mit ihnen verbundenen Belastungen bleiben in den ursprünglichen Kommunen, die Steuereinnahmen wandern in die Städte, in denen sich oft nur ein Briefkasten oder Mini-Büro des Unternehmens befindet. Dieser unfaire „Wettbewerb“ reduziert die ohnehin unterdurchschnittlichen Steuereinnahmen der finanzschwachen Kommunen und müsse deshalb unattraktiv gemacht werden, so das Bündnis.
Der neue Sprecher des Aktionsbündnisses, der mit seiner bislang 17-jährigen Amtszeit einer der dienstältesten Finanzdezernenten einer NRW-Großstadt ist, erinnert an dieser Stelle auch daran, dass bereits die in der Merkel-Ägide von Innenminister Horst Seehofer angeführte „Kommission für gleichwertige Lebensverhältnisse“ identifiziert habe, dass vor allem der Bund einen maßgeblichen Anteil an der Überschuldung der Städte habe. Gerbersmann unterstreicht zugleich, dass das Aktionsbündnis stets überparteilich agiere, um mit seinen klaren Forderungen in keinen ideologisch getriebenen Verdacht zu geraten.
„Wir sind in einer spannenden Phase: Das könnte für unser Bündnis das wichtigste Jahr werden“, setzt der Hagener Finanzdezernent große Hoffnungen in die aktuell laufenden Gespräche mit NRW-Kommunalministerin Ina Scharrenbach, NRW-Finanzminister Marcus Optendrenk, Bundesfinanzminister Christian Lindner und der Staatsministerin im Bundeskanzleramt Sarah Ryglewski an der Spitze: „Dass hier intensiv gesprochen wird, ist neu und lässt uns hoffen, dass wir uns in Richtung einer Lösung bewegen.“
Hauptverursacher ist Berlin
Denn der Bund als einer der wesentlichen Mitverursacher der kommunalen Finanznöte werde gebraucht, weil sonst die Belastung für die Städte zu hoch bleibe. So habe das Saarland eine solitäre Lösung ohne Berlin geschmiedet, die letztlich dazu führe, dass die Gemeinden über weitere 30 Jahre den Gürtel enger schnallen müssten, um am Ende dennoch nicht schuldenfrei zu sein.
Gerbersmann favorisiert daher eine Altschuldenlösung, bei der Bund und NRW sich die Lasten teilen und die Kommunen wiederum einen Teil der Landeslast mittragen: „Das könnten wir durchaus schultern und wären dann in 30 Jahren tatsächlich von den Altschulden befreit.“ Allerdings müsse dann parallel gewährleistet sein, dass bei den laufenden Ausgaben beispielsweise für den Offenen Ganztag, die Flüchtlingsunterbringung oder auch Sozialkosten die Lasten künftig so fair verteilt werden, dass sich dann in den Kommunen keine neuen Schuldenberge auftürmen. Dass dies so kommt, kann der Hagener Kämmerer jetzt künftig in seiner neuen Funktion als Bundessprecher des Aktionsbündnisses in zentraler Rolle mitgestalten.
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