Hagen. Vor 100 Jahren herrschten bewegte Zeiten in Hagen. Die Franzosen hatten das Ruhrgebiet besetzt. Auch in Hagen gab es ein Opfer.
Der Malermeister Wilhelm Asbeck hatte mit dem Menschenauflauf, der sich am 12. März 1923 in Eckesey gebildet hatte, eigentlich gar nichts zu tun. Er war wohl eher zufällig vor Ort, vielleicht hatte ihn auch die Neugier getrieben. Kurz darauf lag er schwer verletzt am Boden, acht Tage später war er tot.
Vor 100 Jahren war das Leben in Hagen, wie in ganz Deutschland, von einer Dauerkrise geprägt, von Geldentwertung und hoher Arbeitslosigkeit. Das Trauma der Niederlage im Ersten Weltkrieg wirkte fort, zumal die junge Republik hohe Reparationszahlungen an Frankreich leisten musste. Als Deutschland damit in Rückstand geriet, besetzten die Franzosen im Januar 1923 weite Teile des Ruhrgebiets, um sich der dort geförderten Kohle zu bemächtigen.
Die Bevölkerung reagierte mit passivem Widerstand und Sabotage, ignorierte Befehle der Besatzungstruppen. Außerdem wurde ein Generalstreik ausgerufen.
Heute nicht mehr vorstellbarer Franzosenhass
Auch Hagen als östlichste Stadt des Ruhrgebiets geriet in den Strudel dieser Ereignisse. Französische und belgische Truppen besetzten Teile von Eckesey, Hengstey und Vorhalle, dessen Güterbahnhof schon seinerzeit eine herausragende logistische Rolle spielte – vor allem beim Transport der Kohle. „Deshalb kam es dort auch zu Anschlägen gegen die Transportzüge“, berichtet Dr. Ralf Blank, Fachdienstleiter Wissenschaft, Museen und Archive bei der Stadt Hagen: „Wenngleich die Aktionen gegen die Franzosen nie die Größenordnung wie in Essen und anderen Städten einnahmen.“
Dennoch gärte damals ein heute nicht mehr vorstellbarer Franzosenhass in Deutschland, der wohl maßgeblich zu den Ereignissen, die zum Tode von Wilhelm Asbeck führten, beigetragen haben mag. Stefan Fuhrmann und Thomas Benecke haben in mühevoller Puzzlearbeit recherchiert, was an jenem verhängnisvollen Tag geschah. „Unsere Informationen stammen teils aus dem Stadtarchiv Hagen und teils aus dem Archiv des Hagener Heimatbundes“, berichtet Fuhrmann.
Soldat feuerte in die Menge
Am 12. März stoppten französische Soldaten mit einem Auto in Eckesey nahe der Stahlwerke Harkort & Eicken, die sich ungefähr dort befanden, wo an der Eckeseyer Straße heute der Baumarkt „Bauhaus“ steht. Rasch muss sich eine größere Menschenmenge gebildet haben. Ob es zu Beleidigungen oder Drohungen kam, ist nicht klar, doch feuerte einer der Soldaten – möglicherweise weil er es mit der Angst zu tun bekommen hatte –, auf die Leute. Getroffen wurde der Anstreichermeister Wilhelm Asbeck, er erlitt einen Leberschuss.
Acht Tage später verstarb er im Krankenhaus, so ist es auch in der Jahreschronik des Hagener Stadtarchivs vermerkt.
Stefan Fuhrmann hat herausgefunden, dass Asbeck in der Sternstraße 18 wohnte. Bei seiner Beerdigung, so berichtet es die Hagener Zeitung vom 26. März 1923, hätten tausende und abertausende Hagener Spalier gestanden, die Bestattung geriet zu einer Kundgebung gegen die französischen Besatzer. Asbeck könnte, wie aus einer Todesanzeige hervorgeht, einem Kriegerverein angehört haben.
Zahlreiche Menschen bei Beerdigung
Der Innenminister und die Stadt Hagen ehrten den Verstorbenen, der zwei Tage vor seinem Tode 70 Jahre alt geworden war, mit einem Kranz. Sämtliche politische Prominenz aus Hagen war vertreten, dazu 26 Fahnen und vier Musikkapellen. Pastor Kayser von der Pauluskirche, so heißt es in dem Zeitungsartikel, habe den Tod Asbecks als „Passionsgeschichte“ bezeichnet. Noch lange nach der Beerdigung seien die Straßen Hagens „schwarz von Menschen“ gewesen.
Tatsächlich seien große Aufmärsche und Demonstrationen vor 100 Jahren in Hagen keineswegs ungewöhnlich gewesen, so Stadthistoriker Ralf Blank: „Dazu trugen auch extreme politische Gruppierungen bei – wie das so ist in Zeiten großer wirtschaftlicher Not.“
Hagen sei eine der Städte mit der höchsten Arbeitslosenzahl in Deutschland gewesen, der Alltag sei u.a. von hohen Strompreisen und Energieausfällen bestimmt gewesen. Man dürfe aber die damaligen Verhältnisse nicht mit denen von heute gleichsetzen: „Die Probleme waren 1923 weitaus größer“, betont Blank.
Das Grab von Wilhelm Asbeck befindet sich noch heute auf dem Remberg-Friedhof. Stefan Fuhrmann hat es oberhalb des Ehrenfeldes für die gefallenen Soldaten des Ersten und Zweiten Weltkriegs ausfindig gemacht. Die Friedhofsverwaltung erhält es aufgrund der besonderen Geschichte, die sich mit den Ereignissen vor 100 Jahren verbindet.