Hagen. Am Tag nach dem Hochwasser steckt vielen noch die Angst in den Knochen. Was wurde in Hagen seit der Jahrhundertflut eigentlich unternommen?
Hier im Garten von Ralf Althoff ist es ziemlich egal, ob es sich beim Hochwasser von Donnerstagabend um ein „fünfjähriges Ereignis“ handelte, wie die Untere Wasserbehörde es rückblickend nennt. Es geht um die Angst. Die blanke Existenzangst. Bis auf zehn Zentimeter rauschte die hier in Rummenohl übers Ufer getretene Volme an seine Türschwelle heran. Die Länge eines Fingers entschied darüber, ob der ganze Horror vom 14. Juli 2021, dem Tag des Jahrhunderthochwassers, von vorn beginnt oder nicht. Diesmal verschonte der Fluss Ralf Althoff. Doch er spülte Fragen an seine Ufer, die in Hagen immer lauter werden: Was genau ist seit dem 14. Juli 2021 eigentlich unternommen worden, um Menschen, Wohngebiete und Häuser entlang der Flüsse zu schützen?
Vieles erinnert an die Flut
Gestern, mehr als 12 Stunden später, rauscht die Volme immer noch mit roher Kraft und bedrohlicher Höhe an mancher Begrenzungskante im gleichnamigen Tal vorbei. Am Haus von Heinz Kröll, der sein ganzes Leben schon an der Delsterner Straße lebt, vorbei. Die ganze Nacht hat er gezittert, dass das Wasser ihn nicht heimsucht. Wenige Zentimeter rauschte es unter den Spitzen der Bögen der historischen Brücke in Dahl entlang. Am Sommerhagener Weg ist die Volme auf angrenzende Felder ausgewichen. Am Finking strömt ein Bach wie ein Wasserfall den Berg herab in den tosenden Fluss. Vieles erinnert an die Nachwehen des Jahrhunderthochwassers vor eineinhalb Jahren.
90 Prozent wieder hergestellt
Hätte es am Donnerstag noch etwas anhaltender geregnet, dann wäre der Fluss wieder über die Ufer getreten. „Und dann?“, fragen sich vor allem viele Volmetaler. Und was ist überhaupt passiert seit dem 14. Juli 2021, als die Flüsse übertraten und in Hohenlimburg etliche wilde Bachläufe quasi explodierten? Die Antwort ist zu einem Teil zufriedenstellend, zum anderen ernüchternd. Zufriedenstellend darf aus Bürgersicht sein, dass der Zustand der Gewässer und ihrer nahen Bereiche zu 90 Prozent wieder so hergestellt ist, wie er vor der Jahrhundertflut war. „In eineinhalb statt wie zunächst geplant in fünf Jahren“, betont Hagens Umweltdezernent Sebastian Arlt zurecht stolz. (Lesen Sie auch: Hagens Silvester-Gewalt bei Markus Lanz: „Nicht immer die Araber-Karte ziehen“)
Geringer Anteil Objektschutz
Tonnenweise Geröll sei abgefahren, durch die Schleppkraft „verschobene“ Flussläufe wieder korrigiert worden. Hindernisse seien beseitigt worden und dazu Hunderte Ortstermine bei Betroffenen gemacht worden. „Wir fragen uns nun aber dennoch: Warum ist es uns nicht gelungen, unser Beratungsangebot an die Leute zu bringen“, so Arlt. Denn neben der städtischen Aufgabe, Retentionsräume zu schaffen – also Flächen, auf die Flüsse kontrolliert ausufern können – sei der private Objektschutz ein Schwerpunkt. „Das ist eine Sache der Eigentümer“, sagt Arlt und bemerkt, dass beispielsweise im Volmetal wenig unternommen worden sei. Korrekt ist aber auch, dass viele Betroffene monatelang Versicherungen hinterhergerannt sind und damit beschäftigt waren, ihr Hab und Gut überhaupt mal wieder herzustellen.
Beckmann reagiert sofort
In Eckesey sei die Stadt bei Gewerbetreibenden und Anwohner gut „wahrgenommen“ worden, erklärt Arlt. Hier seien effektive Maßnahmen getroffen worden. Tatsächlich ließ Matthias Beckmann aus der Geschäftsführung des gleichnamigen Autohauses in der Droste-Hülshoff-Straße vorsichtshalber sämtliche Fahrzeuge auf einen Hof im Hagener Norden bringen. Noch bei der Jahrhundertflut waren hier 200 Autos zerstört worden. Schaden insgesamt: 5 Millionen Euro. In den Keller der Firma Schake (Absperrtechnik und Baugeräte) an der Eckeseyer Straße war Wasser gelaufen. Geschäftsführer Marc Schake: „Es ist kein großer Schaden entstanden, aber die Fahrzeuge der Feuerwehr und der gesamte Einsatz haben uns natürlich schon an die Jahrhundertflut erinnert. Und wir fragen uns schon, was eigentlich seitdem passiert ist.“
Die Stadt erklärt, dass in der Straße Laake in Delstern beabsichtigt werde, nun Retentionsflächen zu schaffen. Was die Instandsetzungsarbeiten angehe, könne man „nur wenig Kritik äußern“, sagt Umweltdezernent Sebastian Arlt. Joachim Bihs, Geschäftsführer des Wirtschaftsbetriebs Hagen (WBH) erklärt, dass es darüber hinaus kaum noch große Schutzpotenziale gebe. „Bei einem Jahrhunderthochwasser wird es uns wieder erwischen. Die Kommunen Volme-aufwärts haben mehr Potenziale“ für den Hochwasserschutz. Von dort komme das Wasser in Ennepe und Volme nach Hagen hinabgeflossen. „Die Kontakte in die Kommunen sind aktiv. Konkrete Projekte können wir aber noch nicht präsentieren“, so Sebastian Arlt.
„In Hohenlimburg mussten wir wiederholt feststellen, dass Schäden nicht durch fließendes Gewässer, sondern durch Wasser aus den umliegenden Hängen verursacht wurden“, so Sebastian Arlt, Umweltdezernent. Der Wirtschaftsbetrieb Hagen arbeite an einer „Starkregenkarte“ für das Nahmertal, um den Hochwasserschutz künftig verbessern zu können. Im Laufe dieses Jahres soll die Karte vorliegen.
Zudem ist eine Retentionsfläche nahe des Kaltwalzwerks Hüsecken Wire geplant, wo sich der Nahmerbach bei Hochwasser ausbreiten kann. Auch soll eine neue Brücke an der Mündung des Nahmerbaches in die Lenne entstehen. Rund acht Millionen Euro an Wiederaufbau-Fördermittel des Landes NRW sind für dieses Projekt zugesichert.